24. NOVEMBER 1988



WHISPERING ELMS

Radioversion einer Klanginstallation

von Ed Tomney





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A CASSETTE OF THIS PROGRAM CAN BE ORDERED FROM THE "ORF TONBANDDIENST"
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"Whispering Elms" von Ed Tomney ist die Radioversion einer Klanginstallation, die Ed Tomney beim "sterischen herbst" im Rahmen des Symposiums "With the eyes shut/Bilder im Kopf. Zur Theorie und Praxis der Radiokunst" verwirklichte. Als Basismaterial verwendet Tomney Ausschnitte aus Radiosendungen der verschiedensten Länder, vorwiegend Gesprochenes und Dialoge, das neu montiert und streng geschlechtsspezifisch dem linken und rechten Stereokanal zugeordnet wurde. Den verschiedenen "Charakteren" des Stückes werden in der Installation verschiedene Orte im Stiegenhaus des Palais Attems zugewiesen.

Das Vorwort zum genannten Symposium gibt einen interessanten Einblick über die damalige Situation der Radiokunst:

"1989 schrieb Bellamy, Amerikas hervorragender Utop, die Kurzgeschichte "With the eyes shut", eine Vision zukünftiger Kommunikationsstrukturen. Er beschrieb den Traum eines Eisenbahnpassagiers, der sich plötzlich in eine komplett neue Welt von medialen Apparaten versetzt sieht. Aufgenommene Bücher und Magazine haben die gedruckten in den Eisenbahnwaggons ersetzt. Uhren geben die Zeit mit Zitaten der großen Autoren an. Briefe, Zeitungen und Bücher werden auf Tonträger aufgenommen und werden anstelle gelesen zu werden von Audio-Boxen gehört. Jeder trägt eine unentbehrliches Ding mit sich herum, eine Kombination aus Kassettenrecorder und Phonograph. Bellamy schien äußert beunruhigt darüber zu sein, daß der Hörsinn den Sehsinn überlegen werden zu drohte. Was aber in seiner Fabel besonders hervorsticht, ist die grenzenlose Auswahl von Programmen, unter denen das Individuum auswählen kann." (Daniel J. Czitrom: Media and the American Mind. The University of North Carolina Press. 1982).

"Niemand weiß ganz genau, was das ist: "Radiokunst/Radioart". Trotzdem taucht der Begriff immer häufiger auf. Er bezeichnet auf eine eigenartig schillernde Weise einen Bereich akustischer Kunst, in dem sich Einteilungen in Sparten wie Musik, Literatur oder Bildende Kunst auflösen.

Wer nach den historischen Wurzeln dieser "Kunst fürs Radio" sucht - wie etwa der Hörspielexperte Klaus Schöning in der Audiothek der Documenta 8 in Kassel (3. 12. 1987) - stößt zwangsläufig auf die grenzüberschreitenden Kunstströmungen des frühen 20. Jahrhunderts. Nach dem 2. Weltkrieg waren es wiederum intermediale Tendenzen und eine neuerliche Erweiterung des Kunstbegriffes, die dazu führten, daß Töne, Klänge und Geräusche - auch solche aus dem Radio und für das Radio - zum Material für Kunst und Künstler wurden. Mit Hilfe des Tonbandes hatte sich der aufgezeichnete Klang inzwischen von der Ästhetik der Filmmontage emanzipiert. Die Musique Concrete analysierte, collagierte und montierte auf Tonband gespeicherte Töne und Klänge.

Innerhalb der Offenen Dramaturgie des Neuen Hörspiels, die sich in den 60er Jahren als Reaktion auf die Fernsehkonkurrenz entwickelte, hatte John Cage Gelegenheit, aus Tausenden von Originaltönen Collagen zu mischen, die zu Meilensteinen der Geschichte der akustischen Kunst im Radio geworden sind. Während in Europa die großen Rundfunkanstalten Träger der Entwicklung des Neuen Hörspiels, der elektronischen Musik und des Bereiches dazwischen waren, entstanden in Nordamerika und Australien immer mehr unabhängige Produktionen, die in den einschlägigen experimentellen Sendungen von Radiocooperativen und Universitätssendern Verbreitung finden.

Es gibt inzwischen ein weltweites, zu Radiostationen hin offenes Netz zum Austausch von Toncassetten mit akustischer Kunst. Aber nicht nur Werke für das Radio werden produziert, das Radio selbst, seine Formen und Inhalte, sind Gegenstand einer neuen "Kunst im öffentlichen Raum".

Die jüngste technologische Entwicklung (z.B. das Sampling) ermöglicht eine neue Art der Untersuchung der Bedeutung von Klängen, z.B. ihrer Kodifizierung durch die Massenmedien. Zugleich zeichnet sich immer deutlicher die Auflösung des Begriffs "Medium" im digitalen Datenfluß ab, aus dem sich - um das einfachste Beispiel zu nennen - eine beliebige Information sowohl in akustischer wie auch in visueller Form abrufen läßt.

Das Symposium beim steirischen herbst wird einer der ersten Versuche sein, aufzuzeigen, wie Theoretiker sich mit zunehmendem Interesse den vielfältigen Ansätzen zu einer spartenübergreifenden Kunst für das Radio sowie deren medienpolitischen und technologischen Rahmenbedingungen annähern und in diese übergreifende philosophische, soziologische oder kunstwissenschaftliche Fragestellung einordnen.

aus: Radiokunst beim Steirischen Herbst 88 "With the eyes shut - Bilder im Kopf", Zur Theorie und Praxis der Radiokunst. Symposium.

"Ich war immer der Auffassung, daß der Zauber von Klängen darin besteht, daß sie nur eine Zeit lang verweilen und dann verschwinden und verklingen - manchmal für immer" (Ed Tomney).

Vielleicht weil er sowohl bildender Künstler wie auch Komponist und sonst noch in allem Medien zu Hause ist, ist er im internationalen Kunstbetrieb der 80er Jahre ein wenig zwischen die Stühle gefallen. In der Ausstellungsszene amerikanischer und japanischer Künstler allerdings ist Ed Tomney seit einigen Jahren präsent. Und zwar vor allem durch Soundinstallationen, die zusammen mit Jonathan Borovsky macht. Borovsky wiederum ist in Europa bestens bekannt durch die Dokumenta 7, von der Zeitgeist-Ausstellung und vielen anderen Großausstellungen der 80er Jahre, zu denen er seine Installationen von überlebensgroßen umrißhaft bedrohlichen Gestalten beitrug. Beide haben auch schon gemeinsam für das Radio gearbeitet. Und zwar für die Radioreihe "The territory of art" des Museum of Contemporary Art in Los Angeles.

Ed Tomney begann schon während seines Kunststudiums mit Tonbandexperiementen und der Erforschung visueller Kompositionsmethoden. 1977 war das Jahr, in dem sich Ed Tomneys Band "The nesessaries" formierte. 9 Jahre später, 1986 entstand "Ed Tomney and the Industrial Orchester", dazwischen gab es Video, Malerei, Arbeiten mit Computern, Installationen, Ausstellungen, Theater und Filmmusik.

"The major influence of the Industrial Orchester and a lot of the sound work I have been doing in the past eight years has really come from a realisation of the urban environment that I have been living in most of my life. This is not an unusuall realisation but I come from a the industrial north east of America. I had the best combination of all sounds; I was right near an airport, I was right near a factory and very close to a very busy highway. And one day I was composing and I sudden realized that all these elements were influencing all the way I was writing, the way I was preciving large columns of sounds, massive sound, mechanise sound and preciving them as beautiful sounds too having no problem with the asthetic of an engine. In the modern climate of technology we have the best of tools, a very wide range of musical instrumental tools to chooce from and to me all sound is materials: noise, sound is music and music is sound, they are interchangeable. The only difference is when we concentrate on but: noise can be an irritating element, but if we put noise on stage is an entirely differnt matter." (Ed Tomney).

Ed Tomney, der nie ohne Cassettenrecorder unterwegs ist, hat sich in den 80er Jahren intensiv mit den Möglichkeiten des Computers auseinandergesetzt. Und zwar ging es ihm nicht so sehr darum Töne zu erzeugen oder zu speichern, sondern zuerst einmal um die Veränderung von Notenfolgen, der Instrumentierung, der Dauer des Rhythmus und ähnlicher Parameter in Übereinstimmung mit zufallsgesteuerten Befehlen aus dem Computer. Wenn er oft auf diese Art ein Zufallsmoment in seine Musik einfügt, und zumindest einen Teil seiner Entscheidungen von denen man annimmt, daß sie einen Autor erst definieren an eine Maschine weitergibt, und zudem häufig vorgefundenes Material verwendet, dann befindet sich Tomney natürlich schon in einer sehr langen Tradition von Künstlern und Musikern dieses Jahrhunderts. Tomney, der also die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine aufzulösen versucht und sich durch Befehle aus dem unbelebten Computer wenn schon nicht dirigieren sondern anregen läßt, geht es umgekehrt auch darum, Eigenschaften die dem lebendendigen Musiker, dem biologischen Musiker, wie er es nennt, auf Maschinen zu übertragen. Nicht ohne dabei auf Begriffe von John Cage wie Zufall und Unbestimmtheit anzuspielen.

"I thought it would be interesting, to automate instruments to a degree where they would have certain characters, characteristics of the biological musician, the human being. And the solution in making machines that are making sounds is to use the random function of a computer. This would give the machine a sense of unprotectable patterns and an indeterminate direction much like the human being." (Ed Tomney)

Aus solchen Überlegungen entstanden schließlich ungewöhnliche Klangskulpturen. 1986 kaufte Tomney, dessen Vorliebe billiger überholter Technologie gilt, in der Pfandleihanstalt einige elektrische Gitarren und dazu einige Robotermotoren mit deren Hilfe die Gitarren geschlagen werden können. "Ich brachte Robotermotoren an den Gitarren an; diese montierte ich auf Metallständer und nannte sie Gitarrenbäume. Das Ungewöhnliche an den Gitarrenbäumen ist, daß sie Computergesteuert sind. Sie werden manchmal 20 mal pro Sekunde ein- und ausgeschaltet. Daraus entstehen sehr ungewöhnliche Klänge. Serien von digitalen Echos und Flangings. Manachmal klingen sie wie Stimmen, dann wieder wie Kreissägen oder Motorräder und manchmal auch wie Geigen." (Ed Tomney)

Tomney Gitarrenbäume finden verschiedenartige Anwendung. Als Gitarrenbäume werden sie auf Knopfdruck in Gang gesetzt. Bei Performances werden sie zu Mitgliedern des Industrial Orchesters, die vorprogrammiertund mechanisch wie elektronisch bedient werden können. "Mich haben Menschenmaschinen immer schon fasziniert. Und auch die Frage, was man tun kann, um aus ihnen ein weniger kaltes Medium zu machen. In dieser Hinsicht scheint mir das Element der Überraschung sehr wichtig, d.h. also die Zufallsfunktion des Computers. Die Gitarrenbäume spielen manchmal ganz allein, ohne menschliches Dazwischentreten. Bei Live-Performances des "Industrial Orchesters" gibt es 4 Musiker: das Orchester besteht also halb aus Maschinen, halb aus Menschen. In seiner letzen Version besteht das Orchester aber nur mehr aus Maschinen. Die Performances werden zu einer Serie von mechanischen Vorgängen, dazu gibt es Filmhintergründe und Projektionen. Es ist ein rein mechanisches Environment." (Ed Tomney).

Mit dem Cassettengerät, das ihn überall hin begleitet nimmt Ed Tomney auch sehr viele Radiogeräusche auf, aus Radiosendungen und dem Funk. "Ich höre im Radio viele Dingen, die mir gefallen. Ich bin ständig am Aufnehmen. Radio ist für mich eine sehr interessante Sache, schon deswegen weil es eine fortlaufende Geschichte hat und weil es diese sich weiterentwickelnde Geschichte hat, reflektiert es solche Vorstellungen wie die, daß der Welt immer neue Menschen und neue Gegenstände hinzugefügt werden. Radio, besonders Rundfunk hat zwei Aspekte: einmal den sehr realistischen neuer Gegenstände, neuer Menschen, neuer Situationen, neuer Informationen, die der Welt hinzugefügt werden und zum zweiten ist es die Schönheit der Radiowellen, die von der Atmosphäre zurückgeworfen werden und in den Weltraum hinausgehen um sich in der Unendlichkeit zu verlieren. Radio als Klang hat genau die Eigenschaften, die den Klang aufregend machen. Es läßt die Moleküle in der Atmosphäre schwingen, es besetzt einen Raum nur für eine bestimmte Zeit, man hört es kann es aber nicht berühren oder sehen und dann verschwindet es, und manchmal für immer. Das ist Schönheit." (Ed Tomney).






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