KUNSTRADIO


II.

"Werbung - eine Radiokunst?"


ein Radioessay von Armin Medosch

sound PLAY

Armin Medosch hat sich in seinem Radioessay zu etwas Gedanken gemacht, das uns
überall entgegentritt, auf uns einhämmert, in uns eindringt, uns beeinflußt und manipuliert,
auch wenn wir das nicht wollen und versuchen, uns zu entziehen.
"Radiowerbung ist die schönste Radiokunst - oder etwa nicht?"

Ein medien-soziologischer Essay
von Armin Medosch:

"Wenn heute von Werbung gesprochen wird, dann oft mit den hinlänglich bekannten Schlagworten Manipulation oder Propaganda. Und es fallen Phrasen, die jedes Schulkind schon auswendig weiß. Deshalb erscheint es mir wichtig neue Ansatzpunkte für eine andere Auseinadersetzung mit Werbung zu finden. Die Meßlatte liegt hoch, wenn ich vorweg behaupte, daß Radio Comercials - als experimentelle Kurzform betrachtet - eigentlich die bedeutenste Form von Radiokunst in der Gegenwart sind, oder sein könnten. Damit nicht genug, sollen soziologische Implikationen einiger Werbespots untersucht werden. Denn ganz allgemein und wertfrei gesagt, verkauft uns die Werbung ja nicht nur Produkte, sondern auch ethische Werte, Haltungen und Lebenseinstellungen. Jeder einzelne Werbespot liefert explizit im Text oder implizit in der Machart ein komplexes Szenario meschlicher Wertvorstellungen. Diese Dinge sollen anhand von Beispielen untersucht werden. Fallbeispiele, die Angesichts der Qualität vieler hierzulande gehörter Radio Comercials nur allzu leicht zu Fallbeil-Spielen ausarten könnten.

Fallbeil die Erste: Das Klangbild der meisten Radio-Jingels wird von aggressiven Männerstimmen dominiert, besonders drastisch war das, als eine neue Zeitgeist-Illustrierte begann, sich ihre Marktanteile zu erobern. Jedesmal bei der Ewähnung des Namens der Zeitschrift erklang ein Geräusch wie unter Gewalteinwirkung geborstenen Glases. Reichskristallnacht? Wie fern liegen solche Implikationen wirklich? In der Reklame wird viel Glas zerbrochen und kaum jemand kümmert sich um die herumfliegenden Splitter. Eine Spur stilvoller, aber nicht minder aggressiv, die Werbung des Konkurrenzproduktes. Nachdem sich diese Blätter selber gerne als Zeitgeist-Illustrierte bezeichnen, läßt sich für diesen nur das Schlimmste befürchten. Ich sehe eine Horde aufgepulverter Manager vor mir, die einem Wolfsrudel gleich, nachts das Bermuderdreieck in der Wiener Innenstadt durchstreifen. Das Prinzip das hier zur Anwendung kommt, ist das des Marktschreiers. Lautstärke ist für ihn das beste und einzige Argument. Daß es auch anders geht, zeigt ein Werbespot jüngeren Datums. Der Spot nimmt sich vergleichsweise schmucklos aus im Meer der wogenden Syntheseizer-Klaviere und im Stakkato der Elektroschlagzeuge. Ein kurzer Dialog, der eine Alltagssituation stilisiert. Die dramaturgische Schlichtheit des Aufbaus, macht das Hinhören leicht. Allein der komödiantisch überspitzten Sprachführung vertrauend, wird eine Pointe gelandet, von der zwanglos zum Produkt übergeleitet werden kann. Aber wird nicht durch die starke Kontrastierung von Männer- und Frauenstimme ein konservatives Rollenverständnis der Geschlechter zum Ausdurck gebracht, sodaß sich die Nackenhaare jedes guten männlichen Feministen sträuben müßen? Soziologische Feinfühligkeit jedenfalls, ist auch hier nicht angesagt. Bei vielen Firmen und Werbebüros scheint es ein Selbstverständnis zu geben, wonach Werbung strikte an das gebunden ist, was man den Geschmack der breiten Masse - den kollektiven Konsens einer Nation - nennt. Andersherum stellt sich die Frage, kann Werbung progressiv, bewußtseinsbildenden sein, ohne damit im kommerziellen Sinn zu versagen?

In letzter Zeit macht sich ein Trend zu auffällig verrückt gestalteten Spots bemerkbar. Ich nenne sie die Super-Modernen, obwohl diese Formen nicht wirklich etwas Neues bringen. Immer schon war die Werbung in formaler Hinsicht eine progessive Ausdrucksform: rasante Schnittfolgen, gewagte Bild- und Trickästhetik, irrationale Textmontage, nicht-kausale Storylines - die Ausdrucksmittel der Avantgarde also - kamen in der Werbung zur Anwendung, lange bevor sie vom großen Kino und vom Fernsehen adaptiert wurden. Doch formale Progressivität ist noch kein inhaltlicher Fortschritt an sich. Und damit wären wir auch schon beim Dilemma der Super-Modernen.

Fallbeil die Zweite: Eine neue Modefirmer bedient sich popiger Klänge und einer pseudo jungen Neusprache, woraus sich die Zielgruppe unschwer erkennen läßt. Es sind die Jungen, die Popfans, die Jeansgirls und -boys die solcher Art umworben werden. Reißgeräusche, knallhartes Elektroschlagzeug und emphatische Stimmen. Ein Stakkato antournender Botschaften - zumeist Satzbrocken aus dem Kanon der Drogenkultur - wie das Wort antournen selbst. Timothey Leary empfahl: tune in, tourne on, drop out. Doch ein drop out ist sicher nicht das Ziel dieses Werbespots, sondern eher schon das Einsteigen. Der Drogencharakter der Konsumgesellschaft kommt unverblümt zum Ausdruck. Eine Werbung die süchtig machen will, die Menschen so behandelt, als wären sie Maschinen, bei denen man nur die richtigen Knöpfe zu drücken braucht. Es ist kein Zufall welche stilistischen Mitteln hier zur Anwendung kommen. Das cut-up Verfahren, also Textteile in nicht-kausaler Weise zu verbinden, wurde von William Burroughs in seinem brühmten Buch "The naked Lunch" benutzt, um der Intensität seiner Empfindungen im Drogenrausch in literarischer Weise gerecht werden zu können. Der Versuch auch die Gleichzeitigkeit emotionaler Eindrücke im Moment der Inspiration sprachlich zu verfestigen. Doch was in der Literatur zum Ausdurck fundamentaler Gesellschaftskritik benutzt wurde, dient in der Werbung zum falschen Versprechen eines intensiven Lebens. Eine Rattenfänger-Ideologie die es auf Jugendliche abgesehen hat. Leider kein Einzelfall. In einer Kinowerbung heißt es sogar: "Gib dir den Schuß". Gemeint ist zwar nicht der goldene Heroinschuß, aber ein alkoholisches Mixgetränk, sollte es fürs erste doch auch tun. Was dem einen die harten Drogen, sind dem anderen die menschlichen Gefühle.

Fallbeil die Dritte: Sphärische Klänge füllen den Raum. Sie kommen aus dem Radio. Nun werden sie von einer menschlichen Stimme überlagert. Sie ist angenehm, sie ist sanft, sie spricht von Gefühlen. Da war dieser einzigartige Moment, als der Funke übersprang und er wußte, sie ist es.

Sie? Nein keine gutgebaute Blondine ist gemeint und auch keine rassige Schwarzhaarige. Sie ist ein Feuerzeug. Das Beispiel bedarf kaum einer weiteren inhaltlichen Erläuterung. Die Verdinglichung der Welt ist also schon soweit fortgeschritten, daß der exemplarische Werbemann zwischen einem menschlichen Wesen und einem Produkt nicht mehr unterscheiden kann. "Liebes Auto bevor du dir im nächsten Winter die Hohlräume entzündest.."

Ist das lustig? Was Disney mit Tieren gemacht hat, macht die Werbung mit Dingen: sie vermenschlicht sie. Die umgekehrte Induktion was das betrifft, bekamen wir schon vor Jahren in einem Fernsehwerbespot zu sehen. Da war ein wunderschönes, abstraktes Environement im Bild. Malevic würde staunen welche Fortführung seine suprematistischen Visionen heute in der Vulgärkunst finden. Und Mitten in dieser Welt abstrakter Formen bewegt sich eine Frau - nackt. Die Krone der Schöpfung. Dann, oh Wunder, regnet es an einer bestimmten Stelle vom Himmel. Die schöne Frau räkelt sich unter der willkommenen Dusche. Aber schließlich hat die zwechkfreie Schönheit ein Ende, denn - zack - wird das Bild der Frau genau an derselben Stelle in derselben Größe und mit ähnlichen Proportionen vom Bildnis einer Plastiktube Duschgel ersetzt. Surrealismus in der Werbung? Ein Kapitel für sich. Menschen treten aus Videowänden oder verschwinden darin. Autos starten sich von selbst, bringen ihren Besitzern das Frühstück oder fahren wilde Rennen ohne Piloten. Plakatfiguren werden lebendig und bedrohen Passanten. Comicfiguren und überdimensionale Plüschtiere mischen sich unerkannt unter die Lebenden. Andre Bretton hätte seine Freude und die Dadaisten bekämen hochbezahlte Jobs als Werbetexter. Das Ende der Kunst? Man braucht es nicht herausposaunen. Es wird tagtäglich in der Werbung zelebriert. Schauen sie nicht so ernst Herr Kafka. Sie denken viel zu viel über alles nach. Was sie brauchen ist ein Bausparvertrag und eine Lebensversicherung. Oder etwa nicht?"



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