von Herbert J. Wimmer
"Laute Prosa" von Herbert Joseph Wimmer bezieht sich auf seinen Beitrag
"Laute Prosa 8-12" aus dem Band "Anmerkungen" (gemeinsam mit anderen
Autoren). Für die radiophone Umsetzung wurden die Stücke 1, 2 und
verwendet. "Laute Prosa" ist ein "work-in-progess", das solange dauert, wie
der Autor Fehler auf seiner Schreibmaschine macht und zur Ausbesserung
dieser das Korrekturband benützt.
"Angefangen hat alles mit dem Erwerb einer elektrischen Schreibmaschine mit
einer Korrekturtaste. Ein kontemplativer Blick auf ein ausgeschriebenes
Korrekturband ließ einen langgehegten Wunsch in mein Bewußtsein
treten: eine Möglichkeit für das Erfinden einer Kunstsprache zu entdecken. Ich
schrieb das erste Korrekturband ab und hatte damit eine neue nur auf meine
Literatur bezogene Schriftsprache, deren Wortschatz und didaktische
Möglichkeiten mit jedem neuen Korrekturband erweiterten. In der Produktion
und in der Weiterentwicklung der sich in Prosastücken von annähernd
gleichem Umfang darstellenden Sprache kam, was mir immer gefällt, das
Prinzip von Zufall und Notwendigkeit zur Geltung. Aus dem zufälligen
Zusammentreffen einer Schreibmaschine mit einem Korrekturband mit dem
Einfall eines Schreibenden, die gelöschten Fehler zu einer neuen Prosa zu
verarbeiten, entstand durch die vom Typenrad vorgegeben Zeichenanzahl
sofort nachdem Beginn des erstmaligen Abtippens des Korrekturbands eine
neue Sprache, in der alle Gesetze gelten, in der Zeichen vorhanden sind.
Wie bei allen lebenden Sprachen ist auch diese in ihrer Entwicklung noch
lange nicht abgeschlossen. Beendet wird sie erst dann sein, wenn ich
entweder keine Schreib oder Tippfehler mehr mache oder wenn ich in der
Zukunft Schreibgeräte benützen werden, die keine
Korrekturbänder mehr haben
werden. Die Prosastücke enthalten nicht nur alle fehlerhaften übrigen
literarischen Arbeiten, etwa Bücher wie "Innere Stadt" und der
"Nervenlauf", sondern auch alle in die Maschine geschriebenen Notizen,
Briefe, Rezensionen und vor allem die Fehler, die mir beim Abtippen der
Korrekturbänder passiert sind.
Ein zweiter kontemplativer Blick auf das erste Stück der neuen Prosa ließ mich an ein Gespräch mit Ernst Jandl denken, in dessen Verlauf ich fragte, ob er sich jemals mit dem Verfassen von Lautprosa beschäftigt habe: er verneinte. Die Erinnerung an dieses Gesprächsdetail hatte den Entschluß zur Folge, diese neue Sprache auch vorzutragen; aus den geschriebenen Korrekturen gemäß der erlernten Ausprachegewohnheiten der deutschen Sprache neue Lautfolgen zu bilden, womit die "Laute Prosa" ihren Ursprung gefunden hatte. Interessant wird auch sein, welche Klangfarben und Bruchstücke "Native Speakers" anderer Sprach-Kulturen aus "Laute Prosa" herausholen können. Natürlich ist dieses erste Stück Ernst Jandl gewidmet. Der dritte kontemplative Blick ließ zwangsläufig den Wunsch nach unterschiedlichen akustischen Verarbeitungs- und Präsentationsformen wachwerden. Eine erste Realisationsmöglichkeit hat mir die Sendung "Kunstradio-Radiokunst" geboten. Die sprechlich-musikalische Folge, die durch die radiophone Aufbereitung der Nummern 1, 2 und 7 der "Lauten Prosa" entstanden ist, wird auch in Zukunft eine starke Anregung für eine weitere Beschäftigung mit akustischen wie visuellen Präsentationsformen dieser experimentellen Literatur sein." |