KUNSTRADIO


LANDSCAPE SOUNDINGS I



von Bill Fontana
Produktion: ORF-Kunstradio, WIENER FESTWOCHEN, 1990
Technische Leitung: Ing. Gerhard Wieser

Kunstradio Editions - Landscape Soundings CD


sound
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Dauer: 44'30"

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In "LANDSCAPE SOUNDINGS" läßt Bill Fontana an einer Stelle der Stopfenreuther Au von ORF-Technikern ein Abhör- bzw. Überwachungssystem mit 16 Mikrofonen installieren: überwacht und abgehört werden Vögel, Frösche, Insekten, das Wasser, Flugzeuge, Glocken und zufällig vorbeikommende Menschen. Das Abhörsystem registriert 14 Tage lang rund um die Uhr sämtliche akustischen Signale und Daten in seiner Reichweite. Die Mikrofone sind an 16 Postleitungen angeschlossen. Diese führen bis zu einer vom ORF errichteten Richtfunkstrecke mit wiederum 16 Audio-Kanälen, auf denen die Signale aus der Au zum Kahlenberg und von dort ins Kunsthistorische Museum gefunkt werden. Bei den Audiokanälen handelt es sich eigentlich um zwei, in kleinere Einheiten aufgeteilte Videokanäle, deren Signale im Kunsthistorischen Museum wieder in Tonfrequenzen zurückverwandelt werden, bevor sie an 70 auf dem Platz und an den Museumsfassaden verteilte Lautsprecher weitergehen. Sowohl die Installation der Mikrofone in der Au wie die Lautsprecher am Maria Theresien-Platz (und in den Kuppeln der Museen) ist von Fontana sorgfältig geplant und darauf ausgerichtet, mit Hilfe von Tönen Räume nachzuzeichnen. In der Au ergeben sich diese Zeichnungen im Sinne des "objet trouvé" von selbst:

Spechte im Hintergrund, Vögel, die zufällig direkt bei einem Mikrofon Laut geben, ein Wildschwein, das näherkommt, Insekten, die um das Mikrofon herumschwirren, das Flugzeug, das weit oben den Himmel durchquert, und vor allem der weittragende Schrei von Vögeln, der unmittelbar nacheinander mehrere Mikrofone passiert. Auf dem Maria Theresien-Platz dienen die entkörperlichten, übertragenen Klänge zur Erforschung, Sicht- bzw. Hörbarmachung eines Resonanzraumes: die dabei entstehende Skulptur beinhaltet neben vielen anderen Räumen vor allem auch den Raum zwischen dem Maria Theresien-Platz und der Au. Dieser Raum ist der der Simultaneität.

Fontana macht Gebrauch von der psychologischen Situation des Live-Radio-Erlebnisses des Sich-gleichzeitig-an-zwei-Orten-Befindens: an einem regnerischen Morgen klingen aus den Lautsprechern am Maria Theresien-Platz die Live-Geräusche des Regens und der auf den Regen reagierenden Tiere aus der Au. Das Erlebnis dieser Gleichzeitigkeit der Ereignisse macht den Raum zwischen der Au und dem Maria Theresien-Platz als Differenz zwischen den beiden Schauplätzen erst wahrnehmbar (Originalschauplatz vs. Übertragungsort).

In Bill Fontanas "Landscape Soundings" überlagern sich dieser Raum der analogen (Simultan) Radio-Übertragung und der elektronische Raum der digitalisierten Kommunikationstechnologien. Und es überlagern sich damit zwei völlig unterschiedliche Betrachtungsweisen der Welt: an der Oberfläche der Skulptur befindet sich die Narration: in der Zeit entfaltet sich eine linear dem Ablauf des Tages und der Nacht folgende akustische Live-Erzählung aus der Au. Wie in einem surrealistischen Gemälde (oder Alptraum) öffnet sich hinter dieser linearen (dem industriellen Zeitalter zuzuordnenden) literarischen Abfolge, in der das Wort durch Töne und Geräusche ersetzt ist, eine Tür zum elektronischen Raum einer Simultaneität, die die Linearität des industriellen Zeitalters durchdringt und ablöst.In diesem Raum geht es um die gleichzeitige, augenblickliche, potentiell allerorten oder zumeist vielerorts simultan vorhandene - also zwischen dem Terminal nebenan und dem antipodischen Terminal Äquivalenz herstellende Verfügbarkeit und Abrufbarkeit von im Moment der Registrierung auch schon gespeicherten Daten. Diese gegenüber der analogen Übertragung noch weiter entkörperlichten, ihrer auf einen bestimmten Wahrnehmungssinn gerichteten Identität entkleideten Daten können (siehe Videoleitung) genausogut als Klänge wie als Diagramme, also in den verschiedensten Formen abgerufen werden. (Es gibt keinen Originalschauplatz mehr, die Schauplätze der Information sind gleichwertig.)

Es geht also bei "Landscape Soundings" nicht um das Erschaffen eines illusionistischen Raumes oder Bildes "Au" auf dem Maria Theresien-Platz, ein Bild, das tatsächlich "besser" und "schöner" mit Hilfe aufgenommerner, d. h. in ihrer Abfolge und Mischung vorhersagbarer Klänge zu erstellen gewesen wä,re, sondern um das Bild einer Welt, in der ständig Informationen von einem Kontext in den anderen versetzt werden, abgerufen werden: um den Begriff der viel-ortigen Gleichzeitigkeit, der den Begriff des Nacheinander in der Zeit abgelöst hat. Es geht um das Bild einer Welt der Fernbedienung, deren Gegenwart sich mehr und mehr aus aus der ferne abgerufener, in der Ferne abgehörter, aufgezeichneter Information zu einem neuen Raum der Simultaneität zusammensetzt (und eben nicht mehr aus dem, was sich an den jeweiligen, einander folgenden Aufenthaltsorten des Individuums nacheinander als Narration in der Zeit abwickelt).

Während der gesamten 14 Tage wurde die eigens errichtete Stereo-Postleitung vom Mischpult im Kunsthistorischen Museum zum Funkhaus aktiviert: "Landscape Soundings" wurde im gewohnten Programmablauf eines Sendetages des ORF-Hörfunks immer wieder zur Live-Radioskulptur. Bil Fontana mischte dazu die 16 Signale aus der Au mit Aufnahmen ihres Echos am Maria Theresien-Platz und anderen Live-Parametern, und seine Mischung wurde live an alle Hörer von Österreich1, aber auch mit kurzen Live-Einstiegen von Ö3, weitergegeben: jedem Hörer, jeder Hörerin je nach dem (akustischen) Kontext, in dem er/sie sich befindet ihre/seine eigene Soundskulptur. Radio wird nicht, wie das üblicherweise geschieht, als Quelle von Information, Unterhaltung oder Kultur betrachtet. Bill Fontana will die Aufmerksamkeit vielmehr auf den Schauplatz (Wohnzimmer, Küche, Auto, Walkman) gerichtet wissen, in dem die von ihm gemischten Töne ankommen, um sich mit dem an diesem Schauplatz gerade bestehenden akustischen Umfeld zu einer neuen Skulptur zu vermischen, die zu ihrer Fertigstellung allerdings der im Duchampschen Sinne aktiven Mitarbeit des Rezipienten bedarf. Doch wieder überlagern sich die analoge Vergangenheit und die digitale Gegenwart und Zukunft: die Aufmerksamkeit wird auf ein Daten ausstrahlendes Gerät gerichtet, das sich in einem Raum befindet, den wir als persönlichen Wohn-, Arbeits-,Fahr- oder einfach Hörraum empfinden. Diese intime Nische persönlicher Freiheit entpuppt sich als Anachronismus. Den Geräte, die Klänge digital empfangen, können sehr wohl Informationen auch wieder ausstrahlen, und seien es (vorläufig) nur solche, die der Rezeptionsforschung darüber Auskunft geben, wie oft welche Programme und Sendungen genutzt worden sind. Das Auto, ja der Mensch selbst sind längst zu Trägern von jederzeit als Position im Raum, Lebenslauf, Kontostand, Gesundheitszustand etc. abrufbaren Daten geworden ("Radio Man" nennt der Grazer Künstler Richard Kriesche den Menschen im elektronischen Raum). Der Kreis von der Abhör- bzw. Überwachungssituation in der Au, die u. a. auch als ein Bild von überwachten Feldern, überwachtem Wetter, überwachten Lebewesen in Versuchsanordnungen aller Art usw. gelesen werden kann, zur von elektronischen Technologien strukturierten urbanen Gesellschaft schließt sich zu einer vereinheitlichten Welt, in der Unterschiede zwischen Technologie und Natur (zu der auch der Mensch zählt) oder gar zwischen Kunst und Natur sich in der Künstlichkeit der Daten auflösen.

Wenn man Radiokunst u. a. als eine Kunst definiert, die die spezifischen Eigenschaften des Mediums Radio, den Radioraum als solchen sichtbar macht, ist "Landscape Soundings" ein für diese Art von Medienkunst geradezu exemplarisches Stück. Von der Live-Übertragung aus einem schwer zugänglichen Gebiet mit Hilfe von Mikro- und Hydrofonen, Postleitungen und Richtfunk über die Live-MIschung und Live-Sendung bis zur Studio-Produktion und Sendung von Ausschnitten aus einer CD wird eine Vielfalt von Methoden der Aufzeichnung, Übertragung und Sendung, eine breite Palette der zeitgenössischen Radiotechnologie also, thematisiert. Der Radioalltag wird aufgerauht, gegen den Strich gebürstet, und zwar nicht nur durch einen vorgefunden und doch unüblichen Inhalt, sondern vor allem mit Hilfe der durch das Konzept des Künstlers in alle Stadien des Projektes eingebauten Selbstreflexion und Positionierung des Mediums Radio im neuen elektronischen Raum.

Heidi Grundmann


[ LANDSCAPE SOUNDINGS II]

1990 Calendar 1