KUNSTRADIO
RP4
BEISPIELE
ÖSTERREICHISCHER
RADIOKUNST

CD Box by Helmut Mark
17 Hörstücke aus dem digitalen
Hörspielstudio des ORF von Komponist/innen,
Literat/innen und bildenden Künstler/innen.


"Stück für Küchenradio"
von
Ferdinand Schmatz


Dauer: 23' 14"


Das Einfache ist klar. Das Klare ist nicht einfach Information. Wie verstehen wir eine Nachricht? Diese Frage wollte ich nicht rethorisch beantworten. Die Antwort sollte erzeugt werden, als praktische Kunst, indem ich verschiedene Informationsträger verwendete und sie gleichberechtigt nebeneinander stellte und ineinander führte: Einer allein wäre nicht "mein" Radio gewesen. Ich wollte wählen können und lassen, ohne technischen Firlefanz (und trotzdem im besten Studio des Hauses). Eine Drehung am Sendeschalter - und schon verwandelt sich "Whole Lotta Love ..." von Led Zeppelin in das Sirenengeheul von Radio Bagdad während des Luftangriffes der Amerikaner auf Bagdad. Das herrliche Rauschen dinet als suchende Frequenz gleichsam vorsprachlicher Information: Jetzt! Gleich! Bald - kommt etwas anderes. Das Andere - dieses zu Erwartende, oder die Hoffnung auf Veränderung sollte die Simulation des Systems im System hervorrufen. Beobachter des Hörens, Sendens, Verstehens sind dabei alle und niemand. (Verstehen ist Tautologie)

Die Trennung von Kunst und Radiokunst im Zeitalter der medialen Revolution ist zuende. Längst hat das Medium die Rolle des Mäzens (Ausbeutung) und Vermittlers (Brot und Spiele) an sich gerissen und fördert alles (bis zum Verschwinden). Schamlos läßt es Radiokunst nur zu - um zu verschweigen, daß es selbst Kunst der Kommunikation zu sein hätte. Jetzt will die Kunst im Radio die Macht des Machens in jedem Moment, an jedem Ort, zu jeder Zeit.

Für Ferdinand Schmatz zählt das Medium Radio zum Inventar des alltäglichen "normalen" Umfeldes schlechthin. Die Geräusche unseres täglichen Tuns, der Routine Abläufe zu Hause und auf der Straße (im Auto) verbinden sich mit bewußt hergestellten Klängen: mit Musik aus dem Radio. Oder auch mit hergestellter Öffentlichkeit: der Stimme eines politischen Machtträgers aus dem Äther.

Der Autor hört - wie viele andere - in dem Wohnbereich Küche Radio. Naheliegend deshalb seine Begriffskreation "Küchenradio". Sein Anliegen im Hörstück: es bietet Gelegenheit, "den ästhtischen Normalzustand des Radios herzustellen".

"Stück für Küchenradio" ist gleichzeitig auch eine Reflexion über das Medium Radio, an der der Autor selbst, aber auch der Zuhörer von außen beteiligt ist. Es ist eine Montage von "Elementen", die eigentlich nicht zusammengehören; ein Zusammensetzen, teils auch eine Überlagerung verschiedener Elemente "sozialen Materials", wie es Schmatz ausdrückt.

Zu hören sind: ein fiktives Gespräch zwischen dem Autor und Lukas Cejpek, ein von Heidi Grundmann gelesener Text aus einem Lexikon, der die Begriffe "Kommunikation" und "Interaktion" definiert. Und dazwischen immer wieder "Radio Bagdad" (CNN-Übertragung einer Rede von Saddam Hussein), unterbrochen von Led Zeppelins Hardrock-Klängen, der Stimme von Sänger Robert Johnson (Pop und Rock steht bei Schmatz für Massenkultur).

Dazwischen ist vom KUNSTRADIO-Hörer (von außen) jener Hörbereich zu vernehmen, in dem sich Saddams Stimme, Led Zeppelins Klänge, ein Streitgespräch und die Erklärungen zum Begriff Kommunikation mit den Geräuschen "aus dem normalen Leben" vermischen: die Küche. Mit der Mutter, die mit ihrer fettigen Schürze dasteht und das Fleisch brät, mit den Geschwistern, die in ein Würfelspiel vertieft sind, während sich der Zeiger der Küchenuhr weiterbewegt. Man kann beim Hören von "Stück für Küchenradio" das gebratene Fleisch, die fettig-warme familiäre Küchenatmosphäre fast riechen. Und man erschrickt, wenn Saddam Husseins Stimme plötzlich in die Idylle von Geborgenheit einbricht. Das ist vom Autor beabsichtigt: "Die einzelnen Hörelemente sind gebündelt und springen den Hörer an ..." Ein Anstoß des Autors zur Selbstreflexion jeden Hörers über seine eigen Sensibilität in der zuhörenden Rolle: nehmen wir es noch wahr, wenn sich in unserer heimeligen Küchenatmosphähre akustische Schreckenselemente des Kriegs und der Zerstörung aus dem Radio plötzlich zwangslos mit den uns so vertrauten Geräuschen vermischen?




1991 Calendar 1