"Radio kann nicht auf Senden und Empfangen, auf Kommunikation und Herrschaft reduziert betrachtet werden. Eine Radiotheorie kann nur auf der Basis einer allgemeinen Datentheorie entwickelt werden: vor einer Radio-, TV-, Video- oder Telekommunikationstheorie steht eine Theorie des Hintergrundes an, auf dem sich die obgenannten Medien abbilden lassen. Daß dieser Hintergrund ein Zeit/Raum ohne Raum und ohne Zeit sein muß, ist evident. Vorzustellen ist er hingegen schwer ..."
(Richard Kriesche).
Die Radiokunst kann auf eine verhältnismäßig lange Geschichte zurückblicken: Künstler wie z.B. Duchamp, Hausmann, Schwitters entwickelten bis heute nachwirkende Voraussetzungen; der Futurist Marinetti proklamierte in seinem Manifest "La Radia" (1933) und in seinen "5 Sintresi dal Teatro Radiofonico" eine Reihe von gerade heute aktuellen Ansätzen zu einer als Teil der Medienkunst verstandenen Radiokunst: Diese sollte zu einer "universellen, kosmischen, menschlichen Kunst" führen, zu einer Welt ohne "Zeit, Raum, gestern oder morgen". Dabei sollten die Eigenheiten des Mediums genutzt werden: "Interferenz, Statik (das Prasseln der Signale im Äther) und die Geometrie des Schweigens".
Die Geschichte der Radiokunst spiegelt die technischen und gesellschaftlichen Veränderungen des Mediums genauso wider wie die Wandlungen des Kunstbegriffes in unserem Jahrhundert. In Zusammenhang mit der musique concrete, John Cage, u.a. gibt es musikwissenschaftliche Arbeiten zu einer radiophonen Kunst. Besonders das sog. "Neue Hörspiel" regte Literaturwissenschaftler an, sich mit einer Radiokunst auseinanderzusetzen, an der vor allem Literaten und Künstler im Umfeld der konkreten/visuellen Poesie beteiligt waren. Und auch Bildende Künstler stießen seit den interdisziplinären Anfängen der Avantgarden unseres Jahrhunderts zunächst auf Sound/Worte als Material und, sobald es das Medium gab, immer wider auch auf das Radio. Zahlreiche Veranstaltungen der 70er und 80er Jahre trugen u.a. diesem Phänomen Rechnungen: z.B. "Für Augen und Ohren", Berlin 1980, "Sound als Medium Bildender Kunst", Wien 1980, "Documenta 8", Kassel 1987, "steirischer herbst", 1988, "Ars electronica", i.bes. 1989 "Im Netz der Systeme", "Biennale Sydney", 1988, "Wiener Festwochen 1990" usw.: Radio wird als vorgefundenes Material (unter vielen anderen) verwendet, zur Untersuchung des Phänomens der Präsenz an vielen verschiedenen Orten, des Phänomens der Simultanität, als skulpturaler Raum, als Medium zur Erzeugung von "Bildern im Kopf", etc.
Aufgrund der relativen Zugänglichkeit des Medkums und seiner Technologie für Künstler ist ein umfangreiches Anschauungsmaterial an Radiokunst als Medienkunst/Kunst im öffentlich/elektronischen Raum entstanden, realisiert von Künstlern, die keineswegs nur, aber eben auch mit diesem Medium arbeiten. Dieses Material sollte zu einer Theorie der Kunst der postindustriellen Gesellschaft einiges beitragen können. |