KUNSTRADIO


"Unruhiges Wohnen"


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Text: Elfriede Jelinek

Musik: Roman Haubenstock-Ramati


"Unruhiges Wohnen" - eine Produktion der Ars Electronica 91 und des Züricher Opernhauses - hat eine einfache, grausame Geschichte zum Inhalt: ein Kind wird von seinen Eltern getötet, indem es im Wohnzimmer an die Wand geschlagen wird. Das Kind stört. Es ist zu laut. Mit seiner Lebendigkeit steht es den Eltern im Weg.

Wie schon in ihren bisherigen Erzählungen, greift die Autorin auch in diesem Text die Monströsität, das Alptraumhafte des "Normalen" in unserem Zusammenleben auf. Denn es ist "normal", daß Kinder die Ruhe in Wohnhäusern stören, es ist "normal", daß sich Mann und Frau in ihren Wohnburgen einschließen, ineinander verschließen und das "Andere", das Kind, das ihnen den gegenseitigen genußvollen Verzehr verleidet, ausgeschalten werden muß.

Erst durch den Kindsmord wird das Alltägliche zur Schlagzeile. Wie kann diese Grauen vertont werden, ohne in den Geruch von Pietätlosigkeit gegenüber dem Leben eines Kindes zu geraten? "Kunst ist im Grunde dazu da, das Leben erträglicher zu machen" erklärt Haubenstock-Ramati dazu. "Für mich gab es nur die Möglichkeit, das Ganze zu poetisieren".

Der Alptraum dieser schrecklichen Tat ist die Dimension, die ihm den Raum für den musikalischen Zugang öffnet. Hauptelement der Vertonung ist die Stimme Jelineks, ganz ohne Ausdruck. Sie liest den Text wie einen Krankheitsbefund. Schließlich wird die Stimme mittels Elektronik, Computer und Synthesizer verändert. Aufsplitterung der Sprache in mehrere Schichten: wie von fern, ganz leise, dann multipliziert. Die Klangveränderung erzeugt Effekte in Form einer männlich harte Sprache einerseits, der Stimme des Kindes andererseits.

Die verschiedenen Stimmschichten sind von einer Hülle von Geräuschen und harmonischen Klängen umgeben, die zwischen secco und weit ausladenden, lang verhallenden Tönen liegen.

Auf seiner Suche nach "richtiger" musikalischer Umsetzung, gelang Haubenstock schließlich zur Entscheidung, der Sprache harmonische Klangwelten gegenüberzustellen. Das Resultat: "eine Kunst-über Kunst Relation", wie es Haubenstock nennt, bei der das Grauen in eine Form gebracht wird, die diesen Prozeß am Rande der Unerträglichkeit zum Schluß als Teil des lebens-erträglich machen soll. Haubenstock-Ramati: "Es ist eine Art Sehnsucht in diesem musikalischen Ganzen. Eine Sehnsucht nach Ruhe. Auch nach einem Kind".

"Unruhiges Wohnen" wird im Rahmen der Ars Electronica in Linz als Ballett-Aufführung (Choreographie: Bernd R. Bienert) am 12. 9. zu sehen sein.



1991 CALENDAR 2