Eine Radioarbeit im Rahmen von | einem vom BMUK, Land Tirol und dem ORF-Landesstudio Tirol unterstütztem Verein zur Forderung und Realisierung von künstlerischen Projekten im elektronischen Raum, insbesondere im Raum der Massenmedien Radio und Fernsehen. |
Texte: Giorgio Agamben, Walter Benjamin, Isabella Bordoni Musik: Roberto Paci Dalò Mit Isabella Bordoni (Stimme) David Moss (Percussion, Stimme) Marcello Sambati (Stimme) Roberto Paci Dalò (Klarinette, Live Elektronik) Die deutschen Texte wurden von Roland Staudinger gesprochen Regie: Isabella Bordoni, Roberto Paci Dalò Technischer Support: Johann Soukup * Installation, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum (26.10.92 bis 1.11.92) * Live-Performance, ORF Landesstudio Tiro] (26.10.92, 20:00 Uhr) * Radiostück (10.12.92, 22:15 Uhr, Kunstradio, Öl) |
"Niemandsland" war und ist in verschiedenen künstlerischen Präsentationsformen zu sehen und zu hören: Als Videoinstollotion im Tiroler Londesmuseum Ferdinondeum* (26.10.92), als Live-Performance im ORF-Landesstudio Tirol (26.10.), sowie im Kunstradio als eigenständiges Radiostück. "Niemandsland" sind Räume der Bewegung und der Begegnung im Alltag: Wartesääle von Bahnhöfen und Flughäfen, Orte des Treffens und des Abschieds. Diese "Transiträume", auf die das Stück anspielt, rufen Assoziationen an eine Reise durch die Zeit hervor, der Raum scheint Nebensache zu bleiben - eine Reise durch die Kindheit, die Vergangenheit... "Niemandsland" ist aber auch ein "Theater des Hörens" ("Teatro dell' ascolto"), das durch den Gebrauch digitaler Technologien um eine Dimension erweitert wurde. Die Stimmen der Akteure wurden elektronisch modifiziert, was jener Entfremdung entspricht, die im griechischen Theater durch die Verwendung von Masken hervorgerufen wurde. In "Niemandsland" geht es auch um die künstlerische Koexistenz "alter" und "neuer" Medien und um die Geschichte der sogenannten "neuen" Technologien. |
Die TEXTE DER PERFORMANCE: |
l. Ich habe die Zeit des geduldigen Spiels erwartet. Ich habe gewartet, daß die Lilie im Wald aufblühe. Sie ist aufgeblüht. Ich schenke den Blick der Überraschung und dem Schweigen. Ich schlieBe die Vorhänge zum Meer hin. Das Meer schläft. Das Meer lebt. Das was drinnen und das was draußen ist. Öffne die Flügel, nun, und jetzt halte den Atem an. Du bist im Gang, der vom Zimmer ins Bad führt. Entschleiere die Doppelwege Deine Seele aber fordere weder Dunkelheit noch Licht. Dir möge der Blick genügen. Durchdringe den Raum, der übrigbleibt: zwischen Dort und Dort, nur diese Transparenz. 2.
3. Ich habe keine Wohnung schlage ein wenig die Augen nieder, die dünnen hellen Wimpem in den Augen wie Weizenmalz lassen ein Magnificat erklingen Ich habe nicht einmal eine Stadt es ufert aus im Schatten, das ihr Gesicht umwölbt nach jeder Sonnenfinsternis Ich bin geboren als Häsin ihrem hübschen Schlangenmäulchen kann ich nichts Nachsagen Häsin/ ich bin als Häsin geboren zählend die Gewissensbisse auf der Hand, die mich verletzte 4.
5. und stolz. Laß mich erraten - weites Gestein -
Und in dieser Kindheit des Gedankens einen Laut wiedererkennen, einen Geruch, des Daseins, ein plötzliches Altern und die Zeit ist da, den Umfang der Meere und sie ist reine Finsternis, reines Licht. und laß mich heute von ihren Ufern aus mit der Hand die Hypothenuse des rohen Bluts und der Schmerzen zart berühren.
6.
7.
Die Zeit, in der auch derjenige wohnt, der kein Zuhause hat, wird
8. 9.
10. Leben
11. Jetzt, in dieser Stunde ist die Wahrheit übervoll an Zeit, bis zum Zerbersten.
12.
13.
14.
15.
(Übersetzung: Dr. Roland Walther, Italienisches Kulturinstitut, lnnsbruck, 11. 12. 92) |
NIEMANDSLAND von Romana Froeis |
"Niemandsland" war ein Projekt, welches aus drei Teilahschnitlen besteht: einer Videoinstallation, einer Live-Performance und einem Radiostück, das sich aus der aufgeführten Performance ergab. Einer der Aspekte bei "Niemandsland" war der Versuch, die Geschichte der Neuen Medien narrativ und deskriptiv zu reflektieren. Die Videoinstallation, als erste Sequenz des dreiteiligen Projektes, befand sich in der Studiogalerie des Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum. Den Mittelpunkt der Installation bildet eine mechanisch betriebene Schaukel (ein "mechanismo") auf einem leicht erhöhten Podium. Mittels eines Antriebsimpulses wird die Schaukel in Bewegung gesetzt. Auf dem hölzernen Brett ist eine Eisenrinne in Form einer Sinuskurve montiert, sodaß beim Vorgang des Wippens eine in dieser Rinne liegende Eisenkugel rollend dieser Form folgt. Hat die Kugel das Ende der Rinne, also den jeweils tiefsten Punkt erreicht, so drückt sie in rhythmischen Abstänckn durch ihre Masse auf einen Hebel, der jenen Mechanismus auslöst, der das Umschalten der Monitore steuert. Rechts und links der Schaukel waren je vier Monitore in annähernd halbkreisförmiger Anordnung auf dem Boden plaziert. Unmittelbar vor dem "mechanismo" stand ein weiterer Monitor. Dieser und zwei andere Bildschirme (rechts und links) zeigten konstant die gleichen Motive. Auf dem einen Monitor war ein Frauenkopf (Isabella Bordoni), auf den beiden anderen eine Live-Zuspielung des Flußufers mit Eisenbahnbrücke vom Inn bei Innsbruck zu sehen. Dazu wurde die gerade aktuelle Akustik, die am Flußufer vorherrschte, live ins Museum übertragen." Die anderen sechs Monitore - hier waren vorproduzierte Videos zu sehen - schalteten sich, in regelmäßigen Abständen wechselnd, abhängig von der gleichförmigen Bewegung der mechanisch-gesteuerten Schaukel, rechts bzw. links der Schaukel ein und aus.
Der Frauenkopf war für den Betrachter, wegen der sich ständig verändernden Lichtführung, nie im gesamtem Umfang zu erkennen. Es waren nur partiell Gesichtsteile wahrnehmbar, andere Teile des Kopfes blieben im Verborgenen, schattenhaft verdeckt. Eine große Folie in einen Alurahmen gespannt, war an der Decke befestigt und befand sich frei über dem Schaukelmechanismus und den Bildschirmen. Darauf war mittels eines Dia das Bild einer Sternenwolke projiziert. Ein Bild unserer artifiziellen Natur wird uns hier gezeigt. Wir leben schon lange in einer artifiziellen Natur, einer Natur, die durch technische Umarbeitung erzeugt wird und als Natur an sich nicht mehr existiert. Nur als Stilleben, als "nature morte", aus der Vergangenheit heraus, versuchen wir sie imaginär wiederzubeleben, aber gemäß dem gegenwärtigen Zeitparadigma verläuft die Zeit irreversibel. Die gesamte Installation evozierte eigentlich eine Zeitmeßmaschine, ein pendelndes gleichmäßiges Uhrwerk, was für den länger verweilenden Besucher deutlich erlebbar war. Unsere Zeiteinteilung beruht auf den Bewegungsmomenten der Planetenlaufbahnen und ist mit ihrer Determiniertheit seit der Antike bekannt. Im Mittelalter versuchten die Naturwissenschaftler die Bewegung der Planetenlaufbahnen mechanisch zu simulieren. Dabei entstand das Problem, eine gleichförmige Bewegung darzustellen. Den Durchbruch brachte die Erfindung des Zahnrades und mit ihm der mechanischen Hemmung, die das "Zerhacken" in kleinste Schritte ermöglichte. Mit der Entdeckung des Zahnradgetriebes konnte die Bewegung der Planetenlaufbahnen nachgeahmt werden (auch die ersten Uhrwerke beruhten auf dem Zahnradprinzip). Für das christliche Mittelalter war die Darstellung dieser einen zeitlichen Dimension unvollständig. Der Inhalt der Heilsgeschichte mußte miteingeschlossen werden. Riesige figurale Uhrwerke waren besonders an Kathedralen und Domen üblich und erinnerten an wesentliche Ereignisse der Heilsgeschichte. Das mittelalterliche Uhrwerk stand somit im Kontext zum christlichen Dogma und wurde als ein Sinnbild kosmischer Ordnung akzeptiert. Das Funktionieren dieser alten Monumental-Uhlwerke beruhte auf einer rein mechanischen Arbeitsweise.1) Diese fand auch bei der Video-Installation ihre Anwendung, doch der christlich-theologische Kontext fiel weg. Statt dessen wurde hier eine "simple" mechanische Konstruktion mit der zukünftigen digitalen Technologie verbunden, und paradoxelweise war es die Mechanik, die die digitale Technologie steuerte. Befinden wir uns auf dem Weg des Rückschrittes? Betreiht der Künstler hier nicht einen Anachronismus? Wird etwa gar die längst durch Galileo Galilei abgelöste Impetustheorie neu belebt? Die Impetustheoretiker waren jene Denker, die versuchten ein Bindeglied zwischen alter und neuer Physik herzustellen. Begründer dieser Theorie war Philoponos von Alexandria im 6. Jhd . Deren Neubelebung versuchten im 14. Jhd. die Spätscholastiker Buridan und Oresme. Ende des 16. Jhd. vollzog dann Galileo Galilei den entscheidenden Schritt zur Technik, indem er sich der Aufgabe der Abbildung der Naturphänomene in Zahlenwerten widmete.2 Die theoretischen Grundlagen zur digitalen Technologie entstandt"n bereits im 17. Jhd. durch den Philosophen und Mathematiker Rene Descartes. Er beschäftigte sich nicht mehr so sehr mit den Naturgesetzen, sondern war bemüht die Abbildqualität von Zahlenwerten zu verbessern. Wie lassen sich die ermittelten Werte und ihre Relationen optimal darstellen ? Descartes wählte das Koordinatensystem mit einer waagrechten x-Achse und der senkrechten y-Achse. So konnte damals (wie auch heute) jeder einzelne Punkt auf dem Weg des freien Falles mit Hilfe der Zeit/Weg - Kurve berechnet werden. Mit dem Denkansatz Descartes wurde die Abbildung der geometrischen Kurve nebensächlich, was übrig blieb, war die Rechenoperation. Damit begann das eigentliche digitale Zeitalter. Das Abbild konnte verschwinden, die Wirklichkeit, die Realität letztendlich auf rein rechnerische Gesetzmäßigkeiten reduziert werden. (Bei der Generierung von Computerbildern ist der Prozess der Entstehung umgedreht - aus der Rechenoperation kann eine Vielfalt von Bildern erzeugt werden.) Diesen geschichtlichen Folgeprozeß will uns der Videokünstler idetisch näherbringen: eine Entwicklungsgeschichte der technischen Medien: vom Ursprung der Mechanik bis zum digitalen Zeitalter. Bewußt gesetzt war die Auswahl der Videobänder und die Art ihrer Präsentation. Die Videobänder: eine nächtliche Autofahrt durch Mailand, Stadtszenen und TV -Bilder des Mannes im Eis ("Ötzi") am Fundort wechselten ständig ihre Projektionsräume, wogegen die Videobänder mit dem weiblichen Antlitz bzw. die Live-Bilder des Flußufers auf ein und demselben Monitor konstant stehen blieben. Letztere versuchen eine Gegenposition einzunehmen, einen vielleicht hoffnungslosen Widerstand zu disponieren rür unser gegenwärtiges Zeitgefühl, das immer schneller und flüchtiger wird. Ging es bei der Installation um eine visuelle Rückschau von der technischen bis zur digitalen Entwicklung, so kamen beim Live-Event akustische Elemente gleichberechtigt zur Anwendung. Roberto Paci Dalò bezeichnet seine Art der Performance als "Teatro dell'ascolto", also als "Theater des Hörens". Bei der Videoinstallation war das Phänomen der Zeit der wesentlichste inhaltliche Aspekt. Die Performance fügte dem Aspekt der Zeit, jenen des Raumes hinzu. Ein Hörraum wurde herauskristallisiert und mit technischen Bild-Projektionen durchschnitten. Einer der wichtigsten Bestandteile bei dieser Arbeit war die Sprache. Die vier AkteurInnen auf der Bühne im ORF Landesstudio Tirol, links die Sprechenden (Bordoni, Sambati) und rechts die Musiker (Dalò, Moss), agierten annähernd statisch im Rahmen der sich ständig verändernden Kulisse. Ähnlich wie die Schauspieler des griechisch-antiken Theaters mittels der aufgesetzten Masken eine variable Sprach-Akustik erzeugen konnten, wurden hier zur Stimmverfremdung Vocoders verwendet. Damit kann ein und dieselbe Person unterschiedliche Idenlitäten annehmen. Die Gesamtinszenierung vermittelte dem Rezipienten einen collageartig, fragmenthaft, brüchigen Eindruck. Identifizierbare Räume wurden durch imaginäre Räume ersetzt. Die unterschiedlichsten Themen (philosophische, historische, soziale, psychologische etc.) wurden verbal fragmenthaft aufgenommen, collageartig rezitiert und in einem neuen Kontext montiert. In der Bildenden Kunst ist diese Arbeitsweise in gewisser Hinsicht den MERZ-Bildern von Kurt Schwitters vergleichbar. Das flexible Bühnenbild entstand durch das permanente Einblenden von visuellem und akustischem Material, das mittels verschiedener Geräte erzeugt wurde: Diaprojektoren, Super 8-Projektoren, Schwarz-WeißFernseher, Videotapes und eine Livezuspielung eines Videobandes aus der Installation im Landesmuseum Ferdinandeum. Die Bühne wurde zu einem Laboratorium zur Elforschung theoretischer Zeit-Raum Modelle. "Niemandsland" bezeichnet einen Raum, eine Zeit, eine Bedingung, die durch Instabilität und Unstetigkeit gekennzeichnet sind. Wie die Zeit der Kindheit ist das Niemandsland ein Territorium der fragmentierten Erinnerung, die wir später als Zeit der Desorientierung und des Verlustes erfahren. Deshalb befinden wir uns ständig auf der Suche nach unserer verloren geglaubten Identität. Die Erinnerung an die Kindheit ist nur partiell erfahrbar. Eine komplexe Erinnerung (Identität) würde wegen ihrer Pluralität zum Überhandnehmen widersprüchlicher Elemente führen und folglich im Zustand der permanenten Mobilität der Gedanken verbleiben. Über die technisch eingespielten Bilder wird uns unsere eigene Bewegung, Veränderung, die Flüchtigkeit unseres Lebens bewußter gemacht. Anspielungen auf unsere körperliche (Im)Mobilität werden vollzogen. Den Begriff "Transit" verbinden wir gewöhnlich mit der Vorstellung von Mobilität, Verkehr, Fortbewegung, Oltsveränderung, den des "Transitraumes" mit Orten des Aufbruchs, der Bewegung, des Durchgehens und des Ankommens. Wartesäle auf Bahnhöfen, Schiffs- und Flughäfen, etc. sind Orte / Räume die "niemandem" gehören, gleichzeitig aber von vielen benutzt und belebt werden. Diese Transit-Räume wurden bei der Performance "Niemandsland" imaginär für den Rezipienten konstruiert. Im Ort / Raum, der eigentlich nicht vorhanden war, wurden Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nebeneinandergestellt. Fragen: Woher kommen wir? Wo sind wir? Wohin gehen wir? werden hier thematisielt. Die Antworten erhofften wir uns über den Weg der Technologie. Fast resignierend müssen wi r feststellen, daß jeder Antwort auf eine Frage immer eine neue Frage folgt. Je mehr Wissen wir uns aneignen, je mehr Technik wir anwenden, desto komplexer wird das Fragenspektrum. Die Antworten bleiben als Fragmente stehen. "Mehr noch als sich die Bedeutung der Welt für den Menschen verringert, verringert sich dadurch die Bedeutung des Menschen für die Welt. Die menschlichen Weltbilder und Selbstbilder sind Ergebnisse eines irreversiblen Zeitprozesses. Sie sind das Produkt einer menschlichen Vernunft, die selbst das Ergebnis eines den Zeithorizont des menschlichen Lebens sprengenden Prozesses ist. Der Mensch kann das Unendliche nicht begreifen.'" Der dritte Teil des Gesamtkunstwerkes "Niemandsland" war die Ausstrahlung als Hörstück im Rahmen der ORF-Sendung "KunstradioRadiokunst" in Öl. Der eigentliche physikalische Raum kann bei einem Hörstück nicht übertragen werden. Dieser fehlende, bei der Pelformance reale Raum war beim Radiostück "Niemandsland" latent vorhanden und wurde akustisch durch Sprache und Musik elfahrbar gemacht. Eigentlich wurde ein weit größerer Raum durch die Radiosendung mit "Niemandsland" bzw. jetzt "Jedermannsland" besetzt. Das Volumen, die Materialität des Raumes (Bühne) wurden dem ProzeB der Entkörperlichung ausgesetzt, dennoch konnte sich der Radiohörer (als psychologisches Wesen) einen imaginären Raum scharfen, als Ersatz für den verlorenen, für ihn visuell nicht sichtbaren physikalische Raum. Dabei wurde das Hörstück mit der gleichen Akustik, die bei der Liveperfoi'mance produziert wurde, also ohne Überarbeitung des Audioschnittes, gesendet. Das Hörstück wurde durch den Einsatz der akustischen Materialien (Stimme und Musik) selbst zur Raumkunst. Romana Froeis (aus TRANSIT #1)
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