Christian Scheib zu:

Obduktion

von Elisabeth Schimana





Die reflektierten Texte erklingen kaum hörbar und verfremdet. Das reinigende Wasser erklingt laut und wie mit einer Lupe betrachtet. Die Obduktionsgeräusche erklingen artifiziell und ohne jeden Anspruch auf realistische Abbildung. Diese drei Erzählebenen finden sich im Radiostück "Obduktion" analog zu ".txt", ".wasser" und ".öffnung".

"Obduktion" legt bloß wie sehr der sezierende Eingriff und Autonomisierung der Teil jüngerer Kunststrategien ist: In einen Klang hineinzugehen mit digitaler Klangbearbeitungstechnologie als Seziermesser ist eine der Strategien, Klänge bis zur Unkenntlichkeit zu verdeutlichen eine andere, das unauflösbare Verhältnis von Losigkeit und Kontext in den Mittelpunkt zu rücken ein weiteres, eine Erzählung aus Mobile-artigen Einzelteilen zu formen noch eine.

In ".txt" sind die einzelnen Textbausteine auf unterschiedliche Weise verfremdet, und auf zwei Monospuren angelegt. Jede dieser Spuren kann durch die Bedienung des Panoramareglers solo gehört werden. Leise, eben gerade an der Hörschwelle abgehört, kann ohne die Texte zu verstehen eine klangliche Entwicklung mitverfolgt werden. Kaum einer der Texte erzählt von Obduktion; die Kapitel umkreisen lebenserhaltende Strategien - "Autonomie ergibt sich aus der rekursiven Struktur des Systems" oder "Das Wesentlich am Stoffwechsel ist, daß es dem Organismus gelingt, sich von der Entropie zu befreien, die er, solange er lebt, erzeugen muß" -, um über das Thema Obduktion zu in Beziehung gesetzten Phänomenen zu gelangen, zu Organhandel, Antropophagie, Kannibalismus. Einem geduldigen Hörer wird nachvollziehbar, daß die Gedankenschleifen sich akustisch wiederspiegeln als Zyklen in der Verfremdung der Stimmebenen.

".wasser" - "Was immer man hört beim Sezieren, ob brechende Knochen, Sägen oder Ärztegemurmel: Eingebettet ist alles in das ständige Geräusch des gurgelnden, sprudelnden, rauschenden Wassers das die Seziertische umspült und ständig für Hygiene und Reinigung sorgt." (E. Schimana) Das dahingurgelnde Rauschen ist ersetzt durch einen winzigen, einige Sekunden langen Ausschnitt, der auf eine Länge von sieben Minuten gespreizt ist. An die Stelle der Kontinuität des Wasserrauschens tritt die künstliche Kontinuität eines aufgespannten, zerdehnten, vergrößerten Klangs. Voraussetzung für diese Dehnung ist das Analysieren des Klangs, also der dem Sezieren äquivalente Arbeitsschritt.

Aus den gewonnenen Einzelinformationen lassen sich jene Klangschichtungen konstruieren, die , mit hoher Lautstärke gespielt, akustische Einblicke in das Innenleben diese Rauschens gewähren. Einzelne Frequenzbänder gewinnen für einige Zeit die Oberhand, in einem Wechselspiel mit eben vergehenden und sich langsam herausschälenden. Die Klänge scheinen in ihren Schichtungen Eigenleben zu gewinnen, einzelne Stimmen heben sich ab.

In ".öffnung" gleiten langsame Chöre durch den Raum, Obertonstrukturen entblößend, die Geräusche des Knochenbrechens und Rumpfsägens kontrapunktierend und verbindend. Alles ist extrem artifiziell und nicht als jenes erkennbar, das es ist oder wenigstens einmal war. Aus dem Klangkontinuum der Prosektur ist nicht nur das Wasser separiert und als solches weiterverarbeitet, sondern auch umgekehrt die perkussiven, rhythmischen Klänge des Brechens und Schabens vom Rauschen des Wassers isoliert und befreit. Knochenbrechen, Knochensägen, Knochenschaben und Rumpfsägen wurden solange und sooft von ihren akustischen Hintergrund abgelöst, bis sie zur Unkenntlichkeit verdeutlicht waren.

Nicht das Eindringen in eine nachgestellte Prosektur ist das Ziel dieser Komposition, sondern die künstlerische Erkundung ihrer akustischen Ränder und inhaltlichen Wucherungen. Der Klang und seine Charakteristik hat sich von der Erzählung selbst unabhängig gemacht.

Die Erzählung hätte so enden können, doch da ist - als vielleicht einzige naturalistische Spur - das Herzklopfen. Der Klang von Elisabeth Schimans Herzschlagen pulsiert, einmal kurz akustisch wahrnehmbar, als der allem zu Grunde liegende Rhythmus in ".öffnung". Das schlagende Herz ist nicht nur Erinnerung an ehemals Lebendes, sondern konkrete Anspielung auf eine Praxis, die festschreibt: "Als Zeitpunkt des Todes gilt derjenige der Diagnose des Todes".(Senat der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften, 6. Mai 1983) Gemeint ist damit, daß nicht das Schlagen des Herzens als Zeichen des Lebens gilt, sondern der durch Fachkräfte festgestellte (Hirn)tod. Von diesem Zeitpunkt an ist der Körper ein Leichnam und damit freigegeben zur Organentnahme. Das Herzschlagen ist als akustischer Rand einer der Verweise auf inhaltliche Wucherungen rund um das Thema.


Christian Scheib
    Produktionsteam:

    Tonaufnahmen in der Pathologie St. Pölten: Andrea Sodomka, Elisabeth Schimana
    Stimmaufnahmen: Martin Leitner, Rupert Huber, Bernhard Gal
    Klangbearbeitung: Martin Leitner, Norbert Math, Elisabeth Schimana
    Aufnahme der Herzspur: Norbert Math, Rupert Huber
    Stimme und Herz: Elisabeth Schimana

    Produktion: ORF/ Kunstradio, Offenes Kulturhaus Linz


    Die verwendeten Textbausteine in ".txt" stammen von:
    • Erwin Schrödinger "Was ist Leben?" 1946, Francke AG Verlag Bern 2. Auflage
    • Gregory Bateson "Geist und Natur" 1979, Suhrkamp TBW 691 Frankfurt 3. Auflage
    • Gabriele Weiss "Elementarreligionen" 1987, Springerverlag Wien New York
    • Ewald Volhard "Kanibalismus" 1939, Strecker und Schröder/Verlag Stuttgart


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