27. Februar 1997

KUNSTRADIO



aphasie - jenseits des hörbaren
ab 22:17 live im Ö1-Kunstradio und im Internet


ein hörwerk von ercüment aytac


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Das zentrale Motiv dieses Hörwerks von Ercüment Aytac ist der Verlust der Sprache - die Aphasie - und damit auch die Entfremdung vom eigenen Ich.

Die technologische Entwicklung der letzten 10 bis 15 Jahre hat - so der Autor - zu einer Informationsflut aus allen Richtungen und in beinahe allen Lebensbereichen beigetragen. Eine Informationsflut, die den Menschen seiner Ansicht nach in einer gefährlichen Art und Weise attackiert:

"Eine der großen Belastungen des modernen Menschen ist, daß ein vernünftiger Umgang mit dieser unvorstellbaren Informationsflut bereits gar nicht mehr funktioniert. Die biologische Aufnahmefähigkeit des Menschen hat sich nicht vergrößert. Deshalb bewirkt dieses Übermaß an Informationen in der Folge die Aphasie, den Verlust der Sprache. Die vielen Sinnketten, die an sich eine Sprache ausmachen, erscheinen nunmehr als wesenlose Träger einer allgegenwärtigen und pausenlosen Informationsdichte. Ein Mensch, der seine Sprache zu verlieren beginnt, scheint schrittweise zugleich auch die Verbindung zum eigenen Wesen zu verlieren, denn er kann diese Verbindung nicht mehr auf sprachlicher Ebene transformieren und entfalten.

Aytac benennt eine der Hauptursachen für diese Entwicklung: Die Gestaltung der Kommunikation richtet sich nach der medialen Attraktion und nicht nach dem, was wesentlich ist.. Authentizität verkommt zu einem vernachlässigbaren Faktor.

Das Hörwerk "aphasie - jenseits des hörbaren" schildert einen Tag, der im Zeichen des Verlustes von Sprache und eigenem Wesen steht. In den "sprachfreien/zwanglosen Raum" (E. Aytac) - dargestellt durch dreistimmige Klangelemente in ruhigem Moll (Geräusche geblasener Flaschen) - und in den akustischen Raum der Natur (Wind, Blätterrascheln, Feuer sowie Atemgeräusche, Herzklopfen, u. ä.) und des kulturellen Lebens (Stimmen, Instrumentalmusik, usw.) dringen immer wieder und in immer penetranterer Form Geräusche, die zum übrigen Umfeld einen immer "ohrenfälligeren" Kontrast bilden. Ihre befremdende akustische Wirkung, ihre phänomenale Distanz "natürlichen" Klangräumen gegenüber, kann nicht verhindern, daß sie diese durchschneiden und durchdringen, sie schließlich sogar aus dem Bereich des Wahrnehmbaren verdrängen: Die moderne Kommunikationstechnologie füllt unseren Alltag mit einer Flut von Informationen aus, die von bestimmten Geräuschen und elektronischen Signalen begleitet werden.

"aphasie - jenseits des hörbaren" beschreibt den (vergeblichen) Versuch, diese Informationsflut samt ihren akustischen Erscheinungsformen zu überwinden, um sich selbst wahrzunehmen, erklärt der Autor: Gespräche zwischen Menschen ersticken im Zeitungsgeraschel, musikalische Motive von Faxgeräuschen auf mehreren Kanälen unkenntlich gemacht. Die Sprache wird von "Sprechern" vereinnahmt: auch sie verbreiten sich im Raum auf mehreren Kanälen. Telefongeräusche lösen Stimmen ab, Telefonverbindungen erleiden aufgrund von Informations-und Datenströmen den totalen Zusammenbruch. Das Besetztsignal ist zu hören. Tageslärm, Tagessprecher, elektronische Signale von verschiedenen Kommunikationsgeräten lähmen die Menschen, entfernen sie immer mehr von sich selbst und übertönen die Geräusche der Natur.

Nur in der Nacht wird so manches wieder hörbar: der leichte Wind, das Rascheln von Pflanzenblättern, die Stille ..



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