SONNTAG, 30. April 2000, 23:00. - 24:00, Ö1

KUNSTRADIO - RADIOKUNST



I:
"Anrufen und senden lassen"
von Irene Athanasakis und Rosa von Süss
II:
"destination: nyc"
und
"5 vor 12"
von gal


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I:
"Anrufen und senden lassen"
von Irene Athanasakis und Rosa von Süss



Dauer: 16'49


DIE SITUATION: Die Politiker streiten, die EU sanktioniert, die inländischen Presse teilt sich in ihren Ansichten und Berichten in pro und contra, die ausländische Presse beschimpft, einige demonstrieren. In den öffentlichenVerkehrsmitteln,an Arbeitsplätzen, in Familien und in Lokalen wird debattiert, die Gemüter erhitzen sich. Die Menschen sprechen wieder über Politik, sind angehalten oder haben das Bedürfnis
sich zu äußern. Es geht darum sich zu bekennen, sich zu entscheiden: Fronten kristallisieren sich heraus, Feindbilder scheinen konkret zu werden.
Es ist eben nicht so einfach, auf einmal sich eine politische Meinung zu bilden und diese auch zu äußern.
Diskussion ist gefragt. Aber nicht alle wagen einen Diskurs, manche sprechen moderat, obwohl sich Emotionen anstauen. Was denken die Menschen wirklich? Wie formulieren sie ihren Yrger, ihre Enttäuschung, ihre Angst? Bekannt ist, daß das Gegenüber, die Gesprächspartner, die Äußerungen jedweder SprecherInnen beeinflussen, Formulierungen abschwächen oder radikalisieren. Einsch¸chterung und Gruppendynamik verzerren Wortlaut und Inhalt.

DER AUFRUF: Eine über Internet, Mailinglisten, Inserate (Presse, Standard), Flugzettel verteilte Rufnummer, erreicht zufällige und (möglichst auch) viele Schichten der Bevölkerung, um die anonyme Möglichkeit zu bieten, per Telephon ein persönliches (gehörtes, wiederholtes, gelesenes, meinungsgebildetes...) Statement auf einer Maschine zu hinterlassen, welches von dort aus per Kunstradio einem radiohörenden Publikum zugetragen wird.

DIE AUFNAHME: Maschinen gelten als neutral und verläßlich, Meinungen und Subjektivität zu überwinden, sie arbeiten nach ihrem Programm. Gelten als Spiegel von Emotionen und Interessen. Aufnahmegeräte können als Beichtmaschinen, als Katalysatoren genutzt werden, Meinungen, Emotionen und Yrger aufnehmen, ohne ebenso emtional zu reagieren und somit die geäußerten Meinungen und Gefühlszustände zu beeinflussen verzerren.

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II:
"destination: nyc"
und
"5 vor 12"
von gal


"destination: nyc"



Dauer: 25'48

Das Stück "destination: nyc" besteht aus Klangmaterial, das der österreichische Komponist, Klangkünstler und Musikwissenschafter gal seinen beiden in New York entstandenen Kompositionen "bestimmung new york" und "68th Street" entnommen und für das Kunstradio neu editiert hat.

bestimmung new york ist ein Zyklus von "voice sculptures". gal bat fünfzehn Menschen unterschiedlicher Herkunft ein und den selben Text in ihrer Muttersprache zu sprechen. Die Aufnahmen bearbeitete er schließlich mittels digitalem Sampling und diverser Audiosoftware. Dabei stellte der Künstler nicht den Inhalt des Textes, sondern den individuellen Sprachrhythmus und die individuelle Sprachmelodie ins Zentrum seiner Arbeit. Befreit von semantischen und funktionalen Bezügen entwickelt gal aus jeder Stimme ein kurzes musikalisches Portrait und bietet somit eine rein klangliche Wahrnehmung von Sprache an.

"68th Street" basiert auf einer Aufnahme, die gal im Frühjahr 1998 gemacht hat: "Damals habe ich versucht, die unvergleichliche Atmosphäre einer New Yorker U-Bahnstation während der Rush Hour einzufangen - im speziellen diese hohen Töne, die immer dann zu hören sind, wenn jemand sein Ticket durch den Ticketautomaten schiebt und die gleich darauffolgenden Geräusche der nachfedernden Drehbalken." "68th Street" beginnt fragmentarisch. Nach und nach wird eine etwa fünfminütige Sequenz aus der ehemaligen Originalaufnahme erreicht, die schließlich — voll entfaltet - den Mittelteil des Stückes markiert. Danach schwillt die Komposition wieder ab. Am Ende ist der Anfang.


"5 vor 12"



PLAY

Dauer: 7'07

Die Idee zu diesem Stück kam gal über einen Kompositionswettbewerb der Initiative Minderheiten, bei dem es um die Vertonung und künstlerische Interpretation des Minderheitenartikels (Artikel 7) des österreichischen Staatsvertrages ging.

Die Grundlage für die Komposition "5 vor 12" bilden der Text des Minderheitenartikels (auf slowenisch, burgenländisch-kroatisch und deutsch), Tonmaterial, das der Künstler während verschiedener Demonstrationen gegen die derzeitige österreichische Regierung aufgenommen hat, sowie kurze Statements von 26 Menschen unterschiedlicher Herkunft, die in Wien leben und sich jeweils in ihrer Muttersprache vorstellen.

gal: "Diese Komposition ist selbstverständlich als Stellungnahme gegen die rassistische und ausländerfeindliche Politik der FPÖ gedacht, soll aber auch auf die ästhetische und klangliche Qualität der massiven Klangkörper der Demonstrationen aufmerksam machen, z.B. des "tausendstimmigen Geräuschorchesters" der Demonstrationszüge und der von den Häuserreihen reflektierten Beats der mitfahrenden DJ's. Der Klang von hunderten "Schlüssel gegen Schüssel" hat bereits Symbolcharakter.

Da ich die Betonung der Rechte der im Staatsvertrag explizit genannten slowenischen und kroatischen Minderheiten auch als Symbol für die Gleichstellung und Gleichbehandlung aller in Österreich lebenden Menschen sehe, möchte ich auf die wichtige und wünschenswerte kulturelle Vielfalt Österreichs hinweisen und habe als weitere Komponente kurze Statements von verschiedensten in Wien lebenden Menschen in die Komposition verwoben, und zwar auf arabisch, armenisch, bulgarisch, burgenländischem kroatisch, mandarin, deutsch, finnisch, französisch, hebräisch, isländisch, italienisch, japanisch, kantonesisch, koreanisch, kroatisch, persisch, polnisch, portugiesisch, rumänisch, slowakisch, slowenisch, spanisch, tschechisch, türkisch, ungarisch und vietnamesisch."

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