SONNTAG, 17. Februar 2002, 23:00 - 24:00, Ö1

KUNSTRADIO - RADIOKUNST



I. "Birds in Sweden"
II. "The Holy Torsten Nilsson"

von Öyvind Fahlström

frontpage of the book birds in sweden

[ english ]

 

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"Birds in Sweden"


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"Manipulate the world - take care of the world" hat der Künstler Öyvind Fahlström (1928-76) als sein zentrales Anliegen formuliert und dies auch in den unterschiedlichsten Formen durchgespielt. Als "Pionier einer interaktiven multimedialen Kunst" geltend verknüpft er konkrete Poesie, Konzeptkunst und Popart miteinander und konstruiert in verschiedenen Medien aus alltäglichen Materialien - aus Bildern, Tönen, und Worten - komplexe Beziehungen, die sich "unmöglich als einfache Geschichte lesen lassen" (Mike Kelley).

Die Radiocollage "Birds in Sweden" ist ein frühes Beispiel einer medienbezogenen und medienreflektierenden Kunst, wie es sie bis dahin im schwedischen Radio noch nicht gegeben hat, und gab maßgebliche Anstöße zu einem neuen Genre von Text-Sound-Kompositionen. "Birds in Sweden" wurde 1962 für das Schwedische Radio produziert, und hier auch erstmals 1963 als Beitrag zu einer Reihe über neue Stimmkunst in Literatur und Musik gesendet, vorgestellt als ein "Stück konkreter Poesie". Verschiedenen Materialien - eigene Texte sowie fremde, meist fragmentarisch verwendete Sprach- und Soundmaterialien - , die ursprünglich nicht für das Radio gedacht waren, laden sich gegenseitig mit Bedeutung auf und decken inhärente Inhalte auf. Wie häufig für seine Happenings verwendet Fahlström für die Radiokompositionen eine Auswahl von Musik, die die Genregrenzen überschreitet, mischt mit Selbstverständlichkeit Oper, Klassik und Popmusik - verbunden mit konkreter Poesie, neuen "Monstersprachen", ebenso wie mit Vogelstimmen. Ohne Erzählung im traditionellen Sinne ergibt dies dennoch eine ganz eigene verwobene Struktur, die neue Kontexte schafft: eingeleitet wird "Birds in Sweden" mit dem Geräusch von Treppensteigen und einer zuschlagenden Tür, gefolgt von einem Zitat aus dem Buch "Parapsychologie" aus dem Jahr 1959, übergehend in die Musik des Science Fictions-Films "Forbidden Planet" aus dem Jahr 1954, die wiederum abgelöst wird von einem Gedicht, das der Autor im Kanon mit sich selbst liest. Beendet wird die Radiocollage schließlich mit dem Geräusch einer startenden Rakete, die sich über den zuvor collagierten Raum erhebt.

In seinem "Manifest für konkrete Poesie" aus dem Jahr 1953 definiert Fahlström Sprache als etwas, mit dem es zu spielen gilt. Das linguistische Material soll "geformt" und "geknetet" werden, und dazu dient auch das Einbringen anderer Sprachsysteme. So tauchen in dem Stück in unterschiedlichen Abständen Vogelstimmen auf, die Fahlström aufgenommen, verfremdet oder imitiert hat und in unterschiedlichen Variationen auf unsere Sprache zurückwirken läßt. Das titelgebende klassische Vogelbuch "Faglar i Sverige" (Vögel in Schweden, 1953) dient ihm als Ausgangsmaterial seiner Sprachkreation "Birdo" - keine neue Geheimsprache, sondern eine Anlehnung an die im Buch beschriebenen und "transkribierten" Vogellaute, die in dem Stück mit Originalgeräuschen konfrontiert und zu neuen Wörtern zusammengesetzt werden. Potentielle Möglichkeiten von Sprache tauchen auf und zeigen, dass vieles, was wir für selbstverständlich halten, wie z.B die Wiederspiegelung der Welt in der Sprache, beliebig ist und auf Konventionen beruht. Die Radiohörer selbst können wiederum ebenfalls ihre ‚Zungen' einbringen: sie werden aufgefordert, ihre Zungen zwischen die Lippen zu stecken und nach und nach weiter hinauszubewegen. Somit werden sie Teil einer ortsübergreifenden Performance - ganz im Sinne von Fahlströms Anliegen, Kunst möglichst für alle und unter aktiver Einbeziehung des Betrachters/Hörers stattfinden zu lassen

"Birds in Sweden" bringt Fragmente der Wirklichkeit aus den verschiedensten Formen der populären Kultur in einen neuen Rahmen und vermittelt eine "totale Bedeutungslosigkeit von Kombinationen, da alle möglich sind" und damit auch auch eine Bedeutungslosigkeit der gesellschaftlich konstruierten Zusammenhänge. Man muss die Gesellschaft nicht ernst nehmen, so Fahlström, denn erst wenn wir dies nicht mehr tun, können wir die Welt und uns selbst neu sehen.




"The Holy Torsten Nilsson"

Chapter 1, Ö.F. eavesdrop
Chapter 5, First visit to the institution
Chapter 28, Sweden the underdog

Die akustische Komposition "The Holy Torsten Nilsson", 1965 für das Schwedische Radio produziert, ist das wohl komplexeste und umfangreicheste von Fahlströms Radioarbeiten. Sie verfolgt die Idee eines "blinden Filmes" fürs Radio, konzipiert als Paraphrase von Thrillern oder Agentenfilmen. Weder satirisch noch romanhaft angelegt, soll es dabei künstlerische Möglichkeiten des Radios ebenso untersuchen wie die Möglichkeiten der Literatur in Zeiten der Massenmedien. Deren Möglichkeiten, live-Material direkt einzubringen wird von Fahlström genutzt, um "so called art" und "so called life" zu verknüpfen und die Zuhörerreaktionen einerseits durch die "aesthetic conventions" und andereseits den "conventions of real life" hervorzurufen. Reale Personen werden, wie häufig auch in Fahlströms Bildern und Happenings, in einen in 23 Kapiteln entwickelten Kontext gestellt. Das schwedische Königshaus, Politiker und Stars mischen sich mit Agenten, verrückten Wissenschaftlern und amerikanischen Civil Rights Aktivisten. Dabei werden diese zunehmend zu von ihrem realen Kontext unabhängigen Figuren und die Zuhörer erfahren, "wie eine echte Person eine unechte Situation erlebt". Fragmente von Interviews mit Personen, die einen Selbstmordversuch unternommen haben, ihr Geschlecht änderten oder Drogen genommen haben, fließen darin ein und tragen zu der, so der Künstler, "poetischen und nachdenklich stimmenden Vorstellung eines anderen Schweden" bei.


Die Sendung ist ein Beitrag des Kunstradios zur Ausstellung "Öyvind Fahlström. The complete Graphics, Multiples and Sound Works", vom 7.12.01-3.3.02 in der Bawag Foundation, Wien

Aus urheberrechtlichen Gründen können die beiden Kompositionen an dieser Stelle nur als kurze Ausschnitte gehört werden.



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