SONNTAG, 12. Dezember 2004, 23:05. - 23:45, Ö1

KUNSTRADIO - RADIOKUNST



Literatur als Radiokunst (kuratiert von Christiane Zintzen)



I: Tell me - von Michael Lentz


II: Aber die Schuldfrage lassen wir heut beiseite; ja? - von Projekt Fritzpunkt



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Es gibt keine Unschuld im Erzählen. Sofern überhaupt noch Erzählen möglich ist. Beide Arbeiten, welche die Dezember-Ausgabe der Reihe "Literatur als Radiokunst" vorstellt, konturieren - obgleich auf gegensätzliche Weise - diesen Befund. Als Parabel vom beschädigten Individuum zieht Michael Lentz Hans Christian Andersens Märchen "Der standhafte Zinnsoldat" für seine Arbeit "Tell me" heran: "Erzähle doch, erzähle!" ist vergebliche Ermunterung und reale Störung. Mit nichts als seiner - elektroakustisch vervielfältigten - Stimme führt Lentz furios vor, wie eine Geschichte nie zum Ende kommt: Der Erzähler fällt sich selbst ins Wort, während sein Material - Zinnsoldaten, Wörter, Laute - sich verselbständigen.

Zu keinem Ende kommt auch das narrative Universum der Marianne Fritz. Seit über zwei Jahren setzt sich das Projekt Fritzpunkt dem Experiment fortgesetzter "Aneignungen" des legendären Riesenwerkes "Naturgemäß" aus. Wo angesichts der Unendlichkeit des weiter wucherndes Textes keine Lektüre das letzte Wort haben kann, gestaltet sich deren Ver-Lautbarung im Medium Radio konsequenterweise als "Belangsendung". Christiane Zintzen, Kuratorin


I: "Tell me"

von Michael Lentz

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http://stream.mur.at:8000/kunstradio/mp3/2004B/MP3/12_12_04a.mp3

Michael Lentz über seine Produktion TELL ME – ERZÄHLE:

«Erzählen und Erinnern. Diese eine Geschichte. Eine Liebesgeschichte, eine Geschichte vom Krieg. Die Erinnerung als Wiederholung, die keine Worte hat. Die ins Stottern gerät, wenn es um diese eine Geschichte geht. Diese eine, nie zu Ende erzählte Geschichte vom standhaften Zinnsoldaten, dem schönsten und traurigsten Märchen.

Aufschub und Verhinderung, Realitätseinbruch und Traumgestalt, TELL ME – ERZÄHLE verhörbildlicht das Erzählen. Das flüchtig Wahrgenommene, das nur zu deutlich Gehörte. Zuhörend begegnet dem Erzählten immer die eigene Lebensgeschichte - von der es nicht zu trennen ist. Ist das Erzählen ein orales Medium, so versinnlicht wie kein anderes das Medium Hörspiel die einander überlagernde Dreieinigkeit Wahrnehmen - Erinnern - Wiederholen. Inklusive der paradoxen Erfahrung, dass das soeben Gehörte im momentan ausgestrahlten Hörspiel nicht wiederholt werden kann. Ein ideales Hörspiel wäre also dasjenige, das nicht von der Stelle kommt. TELL ME – ERZÄHLE erzählt kein Märchen.»


II: Aber die Schuldfrage lassen wir heut beiseite; ja?

von Projekt Fritzpunkt

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http://stream.mur.at:8000/kunstradio/mp3/2004B/MP3/12_12_04b.mp3

Seit über zwei Jahren setzt sich das Projekt Fritzpunkt dem Experiment fortgesetzter «Aneignungen» von Marianne Fritz’ legendärem Riesenwerk «Naturgemäss I» aus. Wo angesichts der Unendlichkeit des weiter wucherndes Textes keine Lektüre das letzte Wort haben kann, gestalt sich deren Ver-Lautbarung im Medium Radio konsequenterweise als «Belangsendung». Gerade in der akustischen «mise en abyme» (Lacan) konturiert das Projekt Fritzpunkt, dass die Sprengung des landläufigen Erzählens eine Angelegenheit ist von hohem philosophischen und ästhetischen Belang. (Christiane Zintzen)


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