SONNTAG, 13. Februar 2005, 23:05. - 23:45, Ö1

KUNSTRADIO - RADIOKUNST




"die winterreise dahinterweise"
ein zyklus von zwölf hörbildern

von Gerhard Rühm


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http://stream.mur.at:8000/kunstradio/mp3/2005A/13_02_05.mp3

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[ English Version ]

Am 12. Februar feiert Gerhard Rühm seinen 75. Geburtstag. Aus diesem Anlass präsentiert Kunstradio die Radioarbeit "die winterreise dahinterweise" - ein Zyklus von Zwölf Hörbildern. Diese Arbeit des Mitbegründers der Wiener Gruppe und künstlerischen Grenzgängers Gerhard Rühm ist das Ergebnis seiner literarisch-radiophonen Auseinandersetzung mit Franz Schuberts berühmten Liederzyklus "Die Winterreise". Ursprünglich als Bühnenstück im Auftrag des steirischen herbsts 1990 konzipiert und komponiert, ersetzte Rühm die Originaltexte Wilhelm Müllers durch eigene. Darüber hinaus entwickelte er eine kürzere Radioversion für Kunstradio, welche zugleich eine Reise in die Vergangenheit wie in die unmittelbare Umwelt skizziert.
1997 war Rühms Radioarbeit nochmals im Rahmen der Präsentation der Wiener Gruppe im Österreich-Pavillon auf der Biennale in Venedig und im Kunstradio zu hören.

listen Gerhard Rühm über "die winterreise dahinterweise" :

die idee, die texte zu dem bekannten liederzyklus "die winterreise" von franz schubert neu zu dichten, geht auf eine anregung des "steirischen herbstes" zurück - eine anregung, die ich, offen gesagt, anfangs nur zögernd aufgriff. ich halte wilhelm müller für einen durchaus bedeutenden dichter, dessen verse auch ohne schuberts geniale vertonung keineswegs an reiz verlieren, ja für sich gelesen oft erst ihre eigenständigen qualitäten offenbaren. Als ich mich doch auf eine neudichtung zu den melodien schuberts einliess, erschien es mir daher angemessen, in irgend einer form auf die originaltexte wilhelm müllers anzuspielen. Ich entschied mich schliesslich für eine strenge phonetische bezugsmethode, die die vokalstruktur (und noch dazu so viel wie möglich vom konsonantenstand) des müllerschen zyklus beibehält, und liess mich auf dieser basis fortlaufend zu neuen wörtern in einem neuen satzverbund inspirieren. bei näherem hinsehen erweist sich diese methode als gar nicht so äusserlich, wie man vorschnell meinen könnte. die auf diese weise eigentümlich verzerrt wirkende klanggestalt der gedichte signalisiert eine halluzinative aussageschicht, die "dahinter", nämlich hinter den originalworten, zu liegen scheint und sie zugleich konterkariert. übrigens kann man ja häufig bei gesungenen texten die einzelnen wörter nicht mehr genau identifizieren, so dass eine gewisse semantische unschärferelation, gleichsam eine sinn-vernebelung entsteht, die eine tagträumerische assoziationstätigkeit in gang setzen mag. So verrät das "dahinterweise" im titel nicht nur etwas von dem formalen prinzip der neudichtung, sondern verweist auch auf einen tiefenpsychologischen be-deutungshintergrund in der für unbewusste inhalte spezifischen mischung von irritierender direktheit und traumsymbolischer verschlüsselung.

Von den 24 liedern mit rezitation, die als live-performance beim "steirischen herbst 1990" in graz uraufgeführt wurden, habe ich für die eigenständige rundfunk-realisation 12 ausgewählt und mit ebenso vielen, entsprechend langen geräuschfeldern gekoppelt. Diese 12 schallereignisse, die von geräuschhaften bezeichnenden wörtern meines textes abgeleitet sind, sollen konkrete stimmungsräume schaffen und zugleich die beim hörer geweckten assoziationen noch komplexer vernetzen. Es handelt sich bei der "winterreise dahinterweise" ja nicht nur um eine reise in die innenwelt, beherrscht von bildern im spannungsfeld von thanatos und eros, sondern auch - mit liedern aus dem 19. jahrhundert - um eine reise in die vergangenheit, deren erlebnisweise stets die der gegenwart bleibt.


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