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SONNTAG, 30. Oktober 2005, 23:05. - 23:45, Ö1

KUNSTRADIO - RADIOKUNST


Frequency Post curated by Andrew Garton



II. Radio Namings

von Warren Burt

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A CASSETTE OF THIS PROGRAM CAN BE ORDERED FROM THE "ORF TONBANDDIENST"


"Frequency Post" ist ein Projekt, das von den Materialien des Radios handelt – dem Spektrum der Frequenzen, deren Verwendungen, deren Geschichte. Meine ursprüngliche Idee war es, die Bürokratie und Verwaltung von Radiofrequenzen in Australien zu untersuchen. Ich wollte herausfinden, wer welche Entscheidungen wann getroffen hatte und warum wir die Namen dieser Entscheidungsträger nicht kennen. Im Laufe meiner Recherchen über die Geschichte des Radios entdeckte ich allerdings etwas viel interessanteres und faszinierenderes: die Frühzeit des Radios in Australien als es Amateure gab, die Experimente anstellten, frühe Radiomacher, Techniker, Erfinder UND Bürokraten, die alle zur frühen Entwicklung des Radios beitrugen. Ich entdeckte eine Reihe an Parallelen zwischen den Anfängen des Radios und der gegenwärtigen Hysterie bezüglich der Entwicklung des Internet. Es war alles schon da, utopische Träume, idiotische Versuche der Regulierung und wahnwitzige Versuche, Platz für kommerzielle Entwicklungen in einem bis dato noch nicht da gewesenem Medium zu vereinnahmen.

Die meisten Texte, die in diesem Stück vorkommen, bestehen ganz einfach aus Namenslisten von Wissenschaftlern, Technikern, Amateuren, Radiomachern, Verwaltungskräften, Klangeffektemachern, und – den herausragendsten von allen – von den Leuten, die den Royal Flying Doctor Service of Australia entwickelten, der Radio benutzte, um Menschenleben zu retten – und auf einzigartige Weise der rauhen, verstreuten Geografie Australiens entgegen kam. Manchmal tauchen dieselben Namen in mehreren Listen, weil manche dieser Radiopioniere unterschiedliche Funktionen zu verschiedenen Zeiten inne hatten, sich zwischen den Rollen vom laienhaften Experimentierer, Techniker, Radiomacher / Redakteur und regulierendem Organ bewegten. Zusätzlich verwendete ich drei kurze Texte aus den frühen 20er Jahren, die ein wenig den Geist dieser Frühzeit des Radios vermitteln: ein utopisches Statement von J. W. Hambly-Clark; eine Beschreibung einer seiner frühen experimentellen Sendungen, die sehr wahrscheinlich einige der frühesten Beispiele experimenteller Musik in Australien (!) beinhaltet und ein Regierungsbeschluss von 1924, der in seinem Missverständnis von Technologie derart lächerlich ist, dass er – sowohl auf englisch als auch auf deutsch – als Urbeispiel einer anhaltenden Geschichte von regulativen Idiotien und Fehlern, die unvermindert bis zum heutigen Tag andauern, steht.

"Frequency Post" hatte eine zweifache Vorgabe, sollten die Stücke für die Serie sich nicht nur mit der Geschichte von Radio befassen, sondern zugleich Beispiele generativer Musik sein. Dem entsprechend verwendet jede der 10 Teile des Stückes mindestens 5 oder 6 unterschiedliche generative Prozesse sowohl für die Musik als auch für den Text. Die Originaltexte werden durch die Textmodifizierungsprogramme Anagram Genius und Brekdown bearbeitet, was fragmentierte oder abstrakte Editierungsprozesse zur Folge hat. Diese Texte werden meist mit Computerstimmen gesprochen oder gesungen, die Aufnahmen dieser Computerstimmen werden dann wiederum mittels verschiedener generativer Prozesse bearbeitet. Weiters wurden generative Prozesse auf das musikalische Soundmaterial jedes Abschnitts angewendet. Jeder Prozess verwendet die Texte des jeweiligen Abschnitts für eine Vielzahl an Konvertierungen in Musik. Eine beispielsweise erstellt Pläne von mikrotonalen Tonhöhen auf der Computertastatur (das gesamte Stück bewegt sich in der Skala von 26 gleichmässig temperierten Höhen pro Oktave, wobei jeder Ton einem Buchstaben des englischen Alphabets entspricht) und tippt entsprechende Texte, um Musik zu erzeugen, das dem Rhythmus des Tippens unterliegt. Ein anderer Vorgang lädt die Zeichen des Textes im ASCII-Format in einen MIDI-Sequencer und behandelt dieses Material als Quelle für eine automatisierte Auswahl an Höhen, Längen, Dynamiken, Oktaven und Tempi für jeden Abschnitt. Da die Selektionsvorgänge in unterschiedlichen Geschwindigkeiten passieren, weisen die erzeugten Melodien eine Art fraktaler Selbstähnlichkeit mit diesen auf. Eine andere Technik legt ein Summen von Basspfeifen über zwei Oktaven (die niedrigere Oktave entspricht dabei Grossbuchstaben, die höhere klein geschriebenen), die Höhen der Bässe werden durch die Namen oder Initialien der Texte festgelegt. Beispielsweise sind die vibraphonähnlichen Akkorde im ersten Teil eine Instrumentierung des Namens J W Hambly-Clark, während die Akkorde der Blasinstrumente des letzten Teils die Instrumentierung des Namens Alfred Traeger, der einer der vielgestaltigen / schillernden Erfinder des Radios in Australien war. Eine andere interessante Technik bedeutete, Bilder, Fotos von den frühen Radiopionieren und deren Aktivitäten zu machen und diese in Sound umzuwandeln, indem Slow-Scan-TV Übertragungstechnologien angewandt wurden, die heutzutage von Radioamateuren benutzt werden. Eine Vielzahl an unterschiedlichen Übertragungsstandards werden verwendet, wovon jeder ein Bild in unterschiedlich modulierte Signale umwandelt; diese werden üblicherweise auf Kurzwelle mit sehr niedriger Leistung gesendet, um am Ende des Empfängers das Bild zu reproduzieren. Für meine Zwecke verwendete ich sie allerdings als Soundmaterial und transponierte, modulierte, fragmentierte diese und verwendete sie dann als Texturen, die die Texte und deren von Computern gesungene Fragmentierungen begleiten.

Das Stück ist recht dicht in seinen Texturen und ziemlich unerbittlich. Es spielt mit den Unterschieden zwischen den narrativen und abstrakten Präsentationen des Materials. Ich hoffe, dass ich hiermit eine Hommage an diese frühen Radiopioniere geschaffen habe; dass ich meine nicht ganz subtile Kritik an staatlichen Regulierungen im Bereich der Klangtextur und nicht primär in Worten gefasst habe; und dass ich die kindliche Freude an der Welt der Soundeffekte im Radio teilen konnte.

Dank an John Tranter, der mich mit dem Textumwandlungsprogramm Brekdown vertraut machte, an Jon Rose für Samples des Zusammenspiels seines berühmten Vorgängers Jo "Doc" Rosenberg mit Hambly-Clark in Adelaide, an Stephen Gard, der mich in die frühe Geschichte des Radios in Australien einführte, an Andrew Garton für den Auftrag, dieses Stück zu produzieren und an Gudrun Markowsky und Catherine Schieve für ihre Stimmen und Übersetzungen. Das Stück wurde zur Gänze von mir auf zwei Windows-Rechnern in meinem Heimstudio in Wollongong, NSW, Australien, produziert.


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