SONNTAG, 14. Mai 2006, 23:05. - 23:45, Ö1
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KUNSTRADIO - RADIOKUNST



Radio Roadmovie curated by Matt Smith


2. "Guantánamo Express" (for Jesús Ávila Gainza y su hermano Julio)

von Quiet American (Aaron Ximm)

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A CASSETTE OF THIS PROGRAM CAN BE ORDERED FROM THE "ORF TONBANDDIENST"


 

"Guantánamo Express" ist in erster Linie ein Porträt von Jesús Ávila Gainza und seinem Bruder Julio. Es wurde mit den Soundaufnahmen produziert, die ich in ihrem Beisein gemacht habe: mit den Klängen ihres Alltags, ihrer Familien, ihres Zuhauses; von der Zeit, die wir miteinander verbracht haben – und, an erster Stelle, mit den Klängen ihrer Musik. Es ist nicht nur ein Stück über sie; ich habe dieses Stück für sie gemacht.

Meine Frau und ich lernten die Ávilas, beide außergewöhnliche Musiker, während einer Reise nach Havanna Anfang 2004 kennen. Wie wir sie trafen ist auch die Art und Weise, wie wir sie am besten kennen: durch ihre Musik und ihre ansteckende gute Laune. Nachdem wir einander kennen gelernt hatten, luden uns Jesús und Julio ein, mit dem Nachtzug in ihre Heimatstadt Guantánamo zu fahren und ihre Familien kennen zu lernen. Ihre wunderbare Gesellschaft im allgemeinen, und diese Reise im besonderen, waren die Höhepunkte unseres Aufenthalts in Kuba, der mit sechs Wochen viel zu kurz war.

Wie die meisten Porträts versucht auch dieses, mehr einzufangen, als dieser Rahmen bequem umfassen kann. Neben der Wiedergabe des Talents, der Beziehungen und des Humors der Ávilas soll "Guantánamo Express" an die einzigartige Erfahrung erinnern, bei Nacht mit dem Zug durch ein fremdes Land zu reisen. Im Dämmerzustand zu sein, aber nie ganz zu schlafen, den Rhythmus der Schienen immer im Ohr, während nur halb verstandene, halb-beleuchtete Bilder an einem zeitweise unkritischen (unaufmerksamen) Verstand vorüberziehen … Dies ist für mich die eigenartige, aber verführerische Verheißung der Straße.

Nichts an dieser Verheißung ist wirklich behaglich oder wirklich sicher; aber es gibt zumindest diese trügerische Vorahnung, dass man für eine Weile ganz eins ist mit dem Leben. Dieser unbekannte Horizont untermauert den Amerikanischen Mythos (und den Imperativ), erst im Unterwegssein richtig zu leben.

Als Amerikaner wollte ich letztlich Guantánamo etwas zurückgeben – eine kleine Reflektion / Wahrnehmung dessen, was es ist (oder zumindest dessen, was es für mich bedeutete): eine Stadt mit einem bestimmten Charme und bestimmten Problemen, voll von speziellen Klängen.
Das ist nicht viel, aber ich biete es als absichtlichen Widerspruch zu dem, was mein Heimatland sonst daraus gemacht hat: von einer ehemals meist zu vernachlässigenden Fußnote zum heute berüchtigten Marinestützpunkt.

Als Soundkünstler stellt dieses Stück für mich in mehrerer Hinsicht einen Wendepunkt dar. Zum einen hat es eine Dimension, die ich selten angestrebt habe. Es ist in der Tat die längste monolithische Komposition, die ich je gemacht habe. In Anbetracht dessen bringen Sie beim Zuhören vielleicht etwas mehr Geduld und Wohlwollen auf.

Noch wichtiger ist: ich begreife "Guantánamo Express" als kontrapunktisches Duett. Es ist ein Zusammenspiel zwischen meinen Aufnahmen und meiner Komposition, und der Musik der Ávilas, die das primäre Thema des Stücks ist.

Ebenso wie das Repertoire der Ávilas traditionelle Lieder und Lieder der Zeit aus vielen verschiedenen Quellen umfasst, dehnt sich meine Arbeit, um wiederum ihre aufzunehmen. Ich habe mich bemüht, diesen Prozess offen zu lassen: ich trete mehrmals sozusagen zur Seite, um die Ávilas für sich selbst sprechen zu lassen.

Ich hoffe es ist klar, dass ich mir in solchen Momenten nichts mehr umhefte, als brauchbare Aufnahmen gemacht zu haben. Ich bin froh, die Gelegenheit zu haben, das Talent der Ávilas mit einem breiteren Publikum teilen zu dürfen.

Doch bin ich auch stolz, etwas Neues gemacht zu haben.

Anmerkung zum Arbeitsprozess

Wie die meisten meiner Arbeiten basiert auch diese ausschließlich auf Feldaufnahmen. In diesem Fall wurde das gesamte Tonmaterial in Kuba aufgenommen, entweder in oder auf der Fahrt nach Guantánamo.

Als Aufnahmegerät diente mir ein gewöhnlicher Minidisc-Rekorder – ein Format, das ich seit langem befürworte – und Sonic Studios quasi-binäre DSM-6/EH Mikros: dies ist eine Kombination, die beim Reisen Diskretion bietet und sehr bedienerfreundlich ist. Es wurden keine weiteren Soundquellen herangezogen, doch wurden einige Aufnahmen für die Komposition bearbeitet.

Die von mir benutzten Mikrophone bieten eine Kompromisslösung zwischen echten binären Aufnahmen und herkömmlichen Stereoaufnahmen, was dazu führt, dass das Stück mit konventionellen Lautsprechern gut klingt, aber ich empfehle dennoch, es mit Kopfhörern zu hören, um das volle Hörerlebnis zu genießen.

Anmerkung zum weiteren "Werdegang" des Stücks

Nach der Ausstrahlung von "Guantánamo Express" wird das Stück auf CD mit schooner Verpackung erhältlich sein: Die Einnahmen aus den verkauften CDs gehen an die Ávilas und deren Familien. Für weitere Informationen lesen Sie mehr unter: quietamerican.org.

Dank

Ein Dankeschön an Matt Smith und Kunstradio dafür, dass Sie mir die Gelegenheit geboten haben, dieses Stück zu produzieren und mit anderen – via Übertragung – zu teilen. Danke auch an Molli Simon, die Hilfe bot, als wir diese am meisten brauchten.
Danke an Leonard Lombardo von Sonic Studios für seine Mikros, die immer noch meine Lebens- und Arbeitsqualität verbessern. Wie immer, ein Danke an Bronwyn für ihre Unterstützung (und, auf dieser Reise, für ihre ausgezeichneten Spanischkenntnisse und ihr unermüdliches Übersetzen).
Der größte Dank geht an Gracile, Roli und Raúl und selbstverständlich an die Ávila-Brüder und deren Familien für alles, was sie getan haben.



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