Quelle: Collage/Foto von Lili Fischer / Georg Jappe aus "Ästuarien & Limikolen"

"Ein kanadischer Künstler hatte einmal das Privileg eine Wüste 24 Stunden lang über Äther hörbar zu machen. Ich bin schon sehr froh, dass es das "Kunstradio" im Österreichischen Rundfunk gibt...."
(Georg Jappe in "Schreibtischblätter", Hamburg 1996)

 

Georg Jappe war mit den eingebauten Barrieren einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt aus seinen Begegnungen mit deutschen Sendern zu vertraut, um dem Kunstradio je einen Vorschlag zu unterbreiten, der über die vorportionierte Zeit der wöchentlichen Sendung auf Österreich1 hinausgegangen wäre. Stundenlanges Radio in den Sprachen der Vögel und manchmal auch der Menschen - wir hätten es nicht durchsetzen können. Trotzdem: es tut uns sehr, sehr leid, Georg, und wir wissen, es wäre sehr schön gewesen und radikal wie im Radio nur Kunst sein kann....

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"Der Poet lauscht den Stimmen statt von ihnen zu erzählen... Es sind nicht die Kraniche selbst, das Lauschen auf die Kraniche ist das poetische Ereignis."
(Georg Jappe in "Schreibtischblätter", Hamburg 1996)

Georg Jappe nimmt mit seinen ungewöhnlichen Naturlautgedichten für Radio eine singuläre Position innerhalb der Radiokunst der letzten zwei Jahrzehnte ein. Er zählte diese Arbeiten, die nur ein Teilbereich seines vielseitigen Schaffens sind, zur Ornithopoesie. Diesen Begriff hatte er 1981 selbst geprägt.

Quelle: Foto von Lili Fischer / Georg Jappe aus "Polare Gestade"
Foto von Lili Fischer / Georg Jappe, aus "Polare Gestade"

"Jahrhunderte lang haben Dichter die Vögel besungen, Komponisten ihre Gesänge in Noten zu transkribieren versucht. Die Elektronik machte es möglich, die Vögel in ihrer Sprache zu Wort kommen zu lassen. Gewiss, eine Aporie: erstmals erlaubt es die Technik, reproduzierte Natur authentisch zu Gehör zu bringen. - Nun nicht das Mikrophon einfach in die Gegend halten, oder dem Brutvogel vor den Schnabel - die Laute haben Bedeutung, sind somit Sprache; und sie sind Bewegung im Raum. Aus Vogelsprachen ein Gedicht bauen: das ist Ornithopoesie. Ein Gedicht ist, was die Mathematik "die elegante Lösung" eines umständlichen Verfahrens nennt, in diesem Fall eine Beschreibung in Prosa. Der Poet ist der Ersthörer. Nichts weiter, oder doch: er gibt das Gehörte weiter in einer für Menschen nachvollziehbaren Ordnung."

Georg Jappe nahm auf Ausflüge und auf seine vielen Reisen immer einen kleinen Kassettenrecorder mit. Wenn er beispielsweise als Vizepräsident des internationalen Kunstkritikerverbandes AICA an Konferenzen in Polen, Russland oder China teilnahm, verschwand er diskret, während seine Kollegen Stadt- und Ausstellungsbesichtigungen unternahmen. In Hochgebirgstälern, in Wäldern, Wiesen und Feldern, in Sumpfgebieten, an Seen, Flüssen und Meeren pirschte er sich mit aufnahmebereitem Gerät so nahe wie möglich an von lokalen Ornithologen empfohlene Biotope heran, um ganz bestimmte Vogelarten aufzufinden und zu belauschen. Da konnte es dann schon vorkommen, dass die Mücken, die den geduldigen Ornithopoeten stundenlang umschwirrten, auf der Kassette deutlicher zu hören waren als die Sprache des beobachteten seltenen Vogels.

 

Quelle: Georg Jappe "Schreibtischblätter"
Quelle: Georg Jappe, "Schreibtischblätter"

Sein reiches Wissen über die Vogelwelt hat sich Jappe seit seiner Kindheit in Südtirol angeeignet. Das Besondere war, dass er sein Ornithologen-Wissen - anders als seine Wissenschaftler-Kollegen - nicht nur mit seinen kulturhistorischen Kenntnissen und Forschungen in Bezug setzte, sondern auch mit seiner Lebens- und Kunstphilosophie und der daraus resultierenden Ästhetik. Selbst die Vogelnamen, darunter auch die oft deskriptiveren alten Volksnamen, wurden ihm dabei zur Poesie.


In Jappe's ornithopoetischen Radio-Arbeiten werden Natur- und Sprach-Aufnahmen als "akustische Zitate aus Natur und Gesellschaft" aus unterschiedlichsten Gegenden von Spitzbergen bis nach Afrika, von Inseln im Atlantik bis nach China zusammengeführt. Der Topos des Weges beschäftigte ihn dabei als eigene Erfahrung und Voraussetzung für seine "akustischen Erinnerungsbilder" an ein Geschehen an bestimmten geographischen Orten und in ihnen abgewanderten Räumen. Der Weg als solches interessierte Jappe aber auch in den möglichen Analogien zwischen den "Zugwegen" von Vögeln und den Reise-und Wanderwegen von Menschen, zwischen den Wegen der durch Gestirne bestimmten Abläufe von Tages- und Jahreszeiten und die durch diese führenden Lebenswege, oder etwa auch in Bezug auf den Weg von Klängen durch die Sphären des Kosmos.


"Die Sprache der Vögel und die Sprache der Menschen sind als gleichwertig aufzufassen"
, postulierte Jappe, und so verwundert es nicht, dass er unter anderem auch aussterbende Menschen-Sprachen in seine Arbeiten mitaufnahm und immer wieder nach alten Mythen und Erzählungen suchte, die davon handeln, wie die Menschen verlernen die Sprachen der Natur zu verstehen.


Georg Jappe arbeitete fern von Sentimentalität und jeder leeren Klimakatastrophenrhetorik. Das Ausmass der Veränderungen der Umwelt zeigte sich ihm auf jedem seiner Wanderwege symptomatisch am Habitat und Verhalten von Vögeln, aber etwa auch in den zunehmenden Hintergrundgeräuschen, "immer der Mensch als Motor dahinter", in seinen Aufnahmen: sein über viele Jahre angewachsenes Archiv von Tonbandaufnahmen wurde auch zu einem Archiv zur fortschreitenden Veränderung und Einschränkung der natürlichen Lebensräume von Vögeln und ihrer Anpassung daran. Als Künstler, der sich schon in den 1960er Jahren im Naturschutz engagierte, ging es Jappe um die Überwindung der Dichotomie von Gesellschaft und Natur und vor allem auch jener von Kunst und Leben. Damit stand er, der Beuys gut kannte und als Kunstkritiker schon früh unterstützte, Fluxus sehr nahe. In diesem Sinne waren allein schon die Titel der von ihm konzipierten und vorangetriebenen Pilot-Ausstellungen "1. Friedensbiennale" (1985/86 Hamburg) und "Ressource Kunst" (1989/90 Berlin, Budapest, München, Saarbrücken) Programm. Seine Ornithopoesie wollte Jappe, der ja auch Schriftsteller, Lyriker und Verfasser vieler Haikus war, denn auch ausdrücklich nicht als "literarische Spielart" verstanden wissen, sondern als "eine Variante von Kunst = Leben".

Quelle: Georg Jappe "Aufenthalte"
Quelle: Georg Jappe, "Aufenthalte"

"Die Astronomen protestieren verzweifelt und ungehört gegen die Satelliten, gegen die zunehmende Besetzung aller Funkfrequenzen für private Telephongespräche, die Forscher können ihre schwachen Signale hinaus ins Weltall und zurück nicht mehr überprüfen, auch wenn man ihnen Radiowellen freilässt, die direkt daneben rücksichtslos starken Störsendern dienen - die Erde umgeben von einem Ring von egozentrischen Rückkoppelungen, der Menschen Schmoren im eigenen Saft erstarrt zu einem isolierenden Kopfhörer, über den ganzen Planeten gestülpt. Gibt es, gab es je eine lautere Spezies im Kosmos?"

Heidi Grundmann