“Nyepi” heißt ein auf der Insel Bali
zelebriertes Ritual, das weltweit seinesgleichen sucht: es ist der Tag
der Stille. Der Aufenthalt im Freien ist für die Dauer von 24
Stunden untersagt, auch verkehren keine Autos, öffentliche
Transportmittel und Flugzeuge. Die Ausführung der Stille wird von
Hilfssheriffs kontrolliert. Die Künstlerin Gertrude Moser-Wagner
hat den Tag der Stille auf Bali verbracht und gestaltet für
Kunstradio eine neue Arbeit: „Jam Karet“ bedeutet
übersetzt „Gummizeit“.
Gespräch mit dem Fischer (Foto: Eric Letourneau)
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An diesem Versuch einer Harmonie mit dem Universum zeigt sich die Lautstärke der Welt.
Der Neubeginn ist Zero, Neujahr beginnt in Stille. Nyepi heißt
Stille. Erst Tags darauf ist wieder die Hölle los. Bali, die
quirlige Ferieninsel Indonesiens, empfängt keine Touristen, die
Flugzeuge landen nicht und alle Taxis stehen still. Der Verkehr
schweigt und die Menschen bleiben für 24 Stunden im Haus.
Das Kunstradiostück entwickelt sich aus verschiedenen
Kommentaren Einheimischer zu Nyepi: ein Fischer, ein Ober, ein
Fremdenführer, ein Polizist und ein Hausbesitzer kommen zu Wort.
(Ihre Erzählung auf den Punkt brächte NYEPI als Akronym
für: Not Your Energy Please Interrupt.)
Der stille Tag verdichtet sich akustisch mit dem lauten Tag zuvor.
19. März 2007: Besänftigung der Dämonen, OGOH-OGOH
genannt. Wochenlang von der Dorfjugend gebaute riesige
Dämonenfiguren werden unter Lärmorchester auf
Straßenkreuzungen gebracht, einige Male dort rituell herumgedreht
(verwirrt), und danach zerlegt und verbrannt. Sie finden nicht
zurück, ist doch nächstentags die Insel komplett still und
dunkel.
20. März 2007: Stille ab Tagesanbruch für 24 Stunden. Nyepi ist auch immer an Neumond.
„Nyepi“ ist für uns KünstlerInnen ein Anlass
für die „15. Performance Art Konferenz“ (kuratiert von
Boris Nieslony und Melati Suryodarmo). Es ist vorgesehen, dass wir bei
Einheimischen in Bedulu untergebracht sind.
Mehr zum Projekt: http://www.lemahputih.com/undisclosedterritory.html
Ich bin bei der balinesischen Familie Sang. Der Mann
(Madé) ist Gamelanspieler, die Frau (Sitiarí) hat drei
Gäste im Haus. Ein Haus umfasst auf Bali viele Gebäude eines
Familienklans, kleinere Gärten. Balés (überdachte
Pavillons) und Altäre für die Ahnen, die immer mitbedacht
werden bei Opfern an die hinduistischen Götter.
Alle Personen halten sich meist im Garten auf, ein Beo im Käfig
gibt den Ton an, er spricht überaus gern in mein Mikrofon –
ein bemerkenswerter Imitator. Eine taubstumme Verwandte macht sich
aufgeregt akustisch bemerkbar. Ihr ist der Tag der Stille einerlei, sie
interessiert sich nur für uns Fremde. Mein Gastgeschenk ist ein
Memory-Spiel mit Europa-Motiven. Hörbar haben alle Spaß am
Spiel, nicht nur die Kinder. Es ist ein entspannter Abend. Die Zeit ist
gar nichts, null. Ein dehnbarer Begriff, Jam Karet, Gummizeit. Ich habe
sie in meiner anschließenden Performance in Solo, Java,
verarbeitet, und ihr meine europäisch strukturierte Zeit
gegenübergestellt.
Gregory Bateson (Ökologie des Geistes, Suhrkamp
1985) über Bali: „Unterschiede müssen dort in gewisser
Weise wechselseitig redundant sein: sie müssen Teil eines
größeren Musters sein...“
Text: Gertrude Moser-Wagner
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