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„jana,
vermacht“
Anja
Utlers „jana, vermacht“ ist ein poetischer Monolog
über die Lücke
zwischen Kriegsgeneration und Enkelgeneration, über die
innerhalb der
Familie weitergereichten Erzählungen und die Scheu davor
nachzufragen,
was wirklich war. In der Edition Korrespondenzen ist „jana,
vermacht“
als Buch mit CD erschienen – Kunstradio präsentiert
eine radiophone
Fassung der Arbeit.
Links:
Edition Korrespondenzen
Anja Utler im Interview mit Anna Soucek
Gespräch
vom 8. Juni 2009:
Anna Soucek: Was ist der
Glottisschlag, der in ‚jana, vermacht‘ zu einem
konstituierenden Sprachelement wird?
Anja Utler: Der
Glottisschlag ist ein ganz unauffälliger Laut, der zwar im
täglichen Sprechen dauernd vorkommt, der aber im Deutschen
nicht isoliert auftritt. Wenn ein Wort mit einem Vokal
anfängt, dann ist der Glottisschlag vorangestellt. Da ist so
ein ganz kleines Knacken, das einen harten Wortansatz schafft. Der
Glottisschlag entsteht, wenn der Atemstrom die Stimmlippen auseinander
presst. Das ist wie eine kleine Explosion. Dann geraten die Stimmlippen
in Schwingung. Das ist der organische Vorgang. Wenn ich diese
Schwingung unterdrücke, bekommt es etwas sehr unorganisches,
weil die Schwingung durch das Ausströmen der Luft entsteht.
Am Glottisschlag
hat mich interessiert, dass er eigentlich das Ansetzen von Sprechen
bezeichnet. Wenn ich ihn isoliert gebrauche, wenn der Vokal
wegfällt hinter dem Glottisschlag, ergibt das, dass die
Artikulation in sich selber zurückfällt. Das Sprechen
hebt an und bricht sofort wieder in sich ein und führt ins
Verstummen zurück. Es ist relativ schwierig, diesen
Glottisschlag isoliert einzusetzen, weil es den Atemfluss vollkommen
außer Rand und Band bringt. Ich hatte auch das
Gefühl, dass es relativ schädlich ist für
die Stimme. Einmal, für die Aufnahme, konnte man es machen,
aber jetzt will ich es eigentlich nicht mehr wiederholen.
In ‚jana,
vermacht“ geht es um dieses Fragmentierte, um das
Verschlucken von Rede. In dieser fingierten Großmutter-Rede,
die vielleicht ausgedacht ist oder schlecht erinnert oder halluziniert
– das wird nicht ganz deutlich – geht es darum,
dass Sachen verschwiegen werden. Man weiß nicht, werden sie
verschwiegen, weil sie nicht gesagt werden können, weil man
sie nicht sagen will? Will man sie eigentlich sagen und bricht dann ab,
versucht man um sie herumzukommen? Da fand ich, dass der Glottisschlag
das sehr schön organisch illustriert, wie die Sprache sich
selbst verschluckt, und wie auch dieses Schweigen über etwas,
was man eigentlich artikulieren sollte oder möchte oder sich
nicht traut, dann etwas Würgendes bekommt.
In dem Text ersetzt
der Glottisschlag andere Laute. Diese Laute sind aber nicht eindeutig
decodierbar, sondern es gibt immer mehrere Möglichkeiten an
Lauten, die dann eintreten könnten an diese Stellen der
Auslassungen – einen richtigen Text oder Ur-Text, der
deformiert ist, gibt es nicht. Was bleibt ist diese deformierte
Sprachstufe, die sich in verschiedene Richtungen auflösen
ließe, wodurch auch die Bedeutung dessen, was gesagt werden
sollte, nicht mehr eindeutig rekonstruiert werden kann. Es wird also
nur noch angespielt auf das, was es bedeuten könnte.
Das Schreiben, das
ich betreibe, ist sehr stark ein akustisches Schreiben und orientiert
sich an der rhythmischen und lautlichen Strukturierung der Sprache. Das
ist für mich ein ganz dominantes Merkmal. Eine eigene Sprache
für einen Text zu entwickeln ist natürlich ein langer
Prozess. In diesem Fall war es tatsächlich über ein
Jahr, bis die ersten Texte gestanden sind.
„jana,
vermacht“ ist in der Edition Korrespondenzen als Buch mit
beigelegter CD erschienen – welches Verhältnis
besteht zwischen diesen beiden Medien?
Für mich
stehen Buch und CD gleichberechtigt nebeneinander. Ich habe von
Kritikern schon häufig zu hören bekommen, die Texte
seien eigentlich eine Partitur, die eine Realisation durch die Leser
verlangt. Das ist richtig, mir gefällt der Begriff
„der Leser“ und auch „der
Hörende“, der immer einen aktiven Part hat. Der
Leser/Hörer ist immer derjenige, der eine Relation herstellen
muss zu dem Gesagten, und sich in diesen semantischen Raum
hineinbegeben muss. Dennoch würde ich sagen, dass das
Schriftliche und das Gesprochene zwei Gestalten, zwei
Ausprägungen eines Textes sind, und ich glaube, dass man in
jeder Erscheinungsform eines Textes ganz spezifische Erfahrungen machen
kann, die durch das andere nicht aufgehoben werden. Meine Idealleserin
würde hin- und hergehen, zwischen dem zu Hörenden und
dem Geschriebenen, und würde sehen, welcher Raum zwischen
diesen beiden Textgestalten entsteht. Ich glaube, das ist auch der
Raum, wo der Leser oder die Leserin am meisten Platz hat.
Ich denke, dass
meine Art den Text zu sprechen eine Art ist und nicht unbedingt die
einzige. Die Leserin oder der Leser könnte auch dadurch Platz
in dem Text bekommen, dass sie selbst in das aktive Nachsprechen
hineingehen. Das muss noch nicht einmal tatsächlich
artikuliert sein, wobei die Artikulation natürlich immer
wieder was interessantes ist, weil man mit dieser organischen Dimension
konfrontiert wird, auch mit den Schwierigkeiten der Artikulation. Es
kann ja auch eine stille Artikulation sein, wo man der inneren Stimme
nachspürt.
Wie gestaltest Du
die Lesungen vor Publikum?
Bei Lesungen von
„jana, vermacht“ wird die tragende Stimme
über Lautsprecher zugespielt, und dazu lese ich Passagen
vor. Das ist natürlich etwas anderes, als wenn ich
mir selber etwas vorlese oder vorspreche. Es ist wirklich eine ganz
besondere Konzentration, die ich dann auf der Bühne habe.
Dadurch, dass das Publikum da ist, und ich diejenige bin, die
aufführt, entsteht eine besondere Präsenz des Textes,
die ich sehr schätze und mag, und die außerhalb
dieses Aufführungsrahmens eigentlich nicht entstehen kann. Im
Radio hat es auch eine Präsenz, aber eine andere. Es ist eine,
wo viel mehr Distanz dazwischen ist, und die für mich gerade
dadurch einen Reiz gewinnt, dass ich als Person, als Autorin nicht
präsent bin, sondern dass man nur den Textkörper hat
und den Geist des Rezipienten, und diese in eine direkte Interaktion
eingehen, bei der ich als Person überhaupt nicht mehr sichtbar
bin.
Was für
Ebenen kommen bei der Radioübertragung noch dazu?
Für mich
hat das Radio in diesem Fall einen ganz besonderen Reiz, weil es in
diesem Text nicht nur um das geht, was man verschweigt, sondern auch um
Erinnerungsproblematiken. Es geht darum, was man vergisst, was man sich
in der Erinnerung falsch zurecht konstruiert, und um diese Bereiche, wo
man nicht mehr sicher ist, was hat man eigentlich gehört, hat
man überhaupt was gehört, war das richtig? Da ist das
Radio natürlich das ideale Medium, weil es diesen
Flüchtigkeitsaspekt hat. Das Gehörte geht vorbei und
lässt mich zurück mit einer gewissen Unruhe : was ist
es, dem ich gerade begegnet bin. Ich habe dann zwar, denke ich, einen
gewissen emotionalen Abdruck von dem, was ich gehört habe, und
auch einen gedanklichen Abdruck, aber die Konturen bleiben unscharf. In
diesem unscharfen Raum kann es sehr reizvoll sein, sich als
Hörer zu bewegen.
Die
Möglichkeit der Wiederholung fällt im Radio weg, und
das ist etwas sehr schönes, weil es in diesem Buch auch darum
geht, dass man verpasst hat, ein Gespräch zu führen,
man hat verpasst die Großeltern-Generation direkt zu befragen
nach den eigenen Erlebnissen und nach der eigenen Haltung, die sie
eingenommen haben in der Geschichte. Dieses Element des Verpassens,
Versäumens, des nicht Wiederholbaren, das ist
natürlich im Radio ganz präsent und notwendigerweise
stärker präsent als auf der CD, wo ich immer wieder
an beliebiger Stelle einhaken kann.
Das Thema, das in
„jana, vermacht“ behandelt wird, ist wohl
prägend für unsere Generation.
Es ist eines der
Merkmale unserer Generation, dass wir vieles verpasst haben. Wir haben
verpasst, mit der Kriegsgeneration ins Gespräch zu gehen. Ich
habe das selber an mir beobachtet, und ich habe auch beobachtet,
welchen Schmerz und welches Verlustempfinden mir das beschert. Andere
Leute in meinem Alter haben genau das gleiche Problem: Wir haben
versäumt, dieses Gespräch zu führen.
Ich
persönlich habe es deswegen versäumt, weil ich
dachte, es sei in der Erkenntnis des Paradoxes schon alles getan. Ich
habe den Eindruck gehabt, als Jugendliche auch, es gibt dieses Paradox,
es gibt auf der einen Seite die Großeltern, mit denen man
aufgewachsen ist und die man geliebt hat, und auf der anderen Seite
sind es die Leute, die in dieses Menschheitsverbrechen involviert
waren, auf welche Art und Weise auch immer, die da beteiligt waren, wie
aktiv oder passiv das gewesen sein mag. Ich hatte das Gefühl,
dieser Widerspruch ist nicht auflösbar und mit diesem
Widerspruch wird man leben müssen. Erst später, zu
spät, habe ich gemerkt, dass man in diesen Widerspruch noch
stärker hätte eintauchen können und
müssen. Und zwar nicht indem man weitere Fakten rekonstruiert
– die Rekonstruktion von Fakten, von dem was wirklich gewesen
ist, ist eine sehr wichtige Aufgabe, und ist gut gelöst
worden, wird immer noch gut gelöst – aber mir war
wichtig, das emotionale Moment rauszustellen, jenseits aller Fakten, zu
fragen: wie hast Du als Mensch das empfunden? Wir hat es Deine Sicht
auf die Welt verändert oder zerstört? Wie war Dir
danach ein Leben möglich? Welche Haltung hast Du eingenommen?
Das zu erfahren
hätte das Paradox weiter strukturiert, sodass man leichter mit
ihm hätte umgehen können und selber eine klarere
Haltung hätte einnehmen können zu dieser Generation.
Eine klarere, eigene Position. Gleichzeitig glaube ich, die Erkenntnis,
dass man etwas verpasst hat, gibt einem auch die Möglichkeit
darüber jenseits von einer rein anklagenden Position zu
sprechen. Denn natürlich ist das Element der Verurteilung, der
Anklage in der Auseinandersetzung mit dieser Generation immer
präsent. Ich denke, in diesem Fall öffnet sich auch
die Möglichkeit zu sagen: Man hat selber auch
versäumt, dieser Generation eine Möglichkeit zu
verschaffen sich differenziert auszudrücken – ohne
das Ausmaß der Schuld, das da angehäuft worden ist,
zu verringern.
Wie lässt
sich das lyrisch umsetzen?
Ich
will zeigen, was denn eigentlich passiert, wenn man das sprachlich
sichtbar machen möchte, also es nicht narrativ verhandeln
möchte, mit irgendwelchen Sätzen und Formulierungen,
die bereits da sind, sondern wenn man eine direkte Reaktion
herbeiführt zwischen diesem Verschwiegenen, dem Verschluckten,
vielleicht nicht Formulierbaren und der Sprache. Diese chemische
Reaktion wollte ich hervorrufen um zu sehen, was sich eigentlich
ausbildet an sprachlichem und klanglichem Material. Und nachdem ich
lange genug versucht hatte, diese Reaktion durchzuführen, bin
ich eben zu genau dieser Sprache gelangt, die immer wieder abbricht,
einbricht, schwarze Löcher in sich trägt, wo die
Sprache wie einen Gravitationsstrudel gezogen wird auf die schwarzen
Löcher zu. Und wo gleichzeitig diese Vieldeutigkeit besteht,
wo man nie weiß, was wird eigentlich gesagt, was
würde passieren, wenn man diese Lücken
auffüllen würde, man würde feststellen, es
gibt keinen eindeutigen Text, der dahinter zum Vorschein käme,
sondern in seiner Vieldeutigkeit eine Art schwankender Boden.
Die Pausen zwischen
den Lauten eröffnen Möglichkeiten. Das ist wie
eine Bedeutung, die man hochnimmt und die ausstrahlt in
verschiedene Richtungen, die plötzlich mehrere verschiedene
Richtungen einschlagen kann, und die dann gerade durch diese
Vieldeutigkeit zu Staub zerfällt, so wie das
versäumte Gespräch zu Staub zerfällt.
In welche Stimmen
ist der Text aufgeteilt?
Auf der einen Seite
gibt es die dominante Stimme der Großmutter-Rede und diesen
ansetzenden und abbrechenden Dialog zwischen der Großmutter
und der Enkelin. Bei dieser Rede ist nie ganz klar, wer spricht
eigentlich, ist es eine rekonstruierte Rede, ist es etwas das
tatsächlich gesagt worden ist, oder ist es etwas, was einfach
nur ausgedacht ist. Auf der anderen Seite ist eine Stimme, die
wesentlich seltener auftritt, die Stimme der Enkelin in der Gegenwart,
als erwachsene Person. Sie versucht in ein Verhältnis mit der
Großmutter-Stimme zu treten und hat eine Art chorische
Kommentar-Funktion hat. Aber an dieser Kommentar-Aufgabe scheitert sie
eigentlich und bleibt in Hilflosigkeit, Ratlosigkeit gefangen. Das ist
eine Stimme, die nicht heraustreten kann aus dem Bann des
Gehörten.
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