SONNTAG, 14. Juni 2009, 23:03 - 23:45, Ö1

KUNSTRADIO - RADIOKUNST




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„news from LQD-7 - #541“

von Maria Schubert

Stimmen: Franz Tomandl und Nina Strehlein

Das Projekt „prototyping LQD-7“ ist die Dokumentation einer Expedition zu dem bislang unbekannten Sonnensystem LQD-7. Bei einer Expedition fallen bekanntlich unterschiedlichste Daten und Gegenstände (Proben, Präparate, Videos, Animationen, Daten von Sonden, wissenschaftliche Texte, Tagebücher, ...) in sehr großer Zahl an.

Um dem interessierten Betrachter die Möglichkeit zu geben, sich einen Überblick über LQD-7 zu verschaffen, werden die Daten in einer Datenbank verwaltet und über das Internet zugänglich gemacht – über http://lqd-7.mur.at. Die Kunstradio-Reihe „news from LQD-7“ bringt nun Auszüge aus diesen Expeditionsdokumenten und damit Einblick in die seltsamen Welten von LQD-7.

Das Projekt der bildenden Künstlerin Maria Schubert ist auch eine Reflexion über die wissenschaftliche Berichterstattung bzw. das Dilemma einer hochspezialisierten Wissenschaft, deren Beweise vom Einzelnen nicht mehr durch eigene Erfahrung nachvollzogen werden können.

Statement von Maria Schubert

Link:
http://lqd-7.mur.at


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„jana, vermacht“

von Anja Utler

Anja Utlers „jana, vermacht“ ist ein poetischer Monolog über die Lücke zwischen Kriegsgeneration und Enkelgeneration, über die innerhalb der Familie weitergereichten Erzählungen und die Scheu davor nachzufragen, was wirklich war. In der Edition Korrespondenzen ist „jana, vermacht“ als Buch mit CD erschienen – Kunstradio präsentiert eine radiophone Fassung der Arbeit.

Links:
Edition Korrespondenzen


Anja Utler im Interview mit Anna Soucek

Gespräch vom 8. Juni 2009:
 
Anna Soucek: Was ist der Glottisschlag, der in ‚jana, vermacht‘ zu einem konstituierenden Sprachelement wird?

Anja Utler: Der Glottisschlag ist ein ganz unauffälliger Laut, der zwar im täglichen Sprechen dauernd vorkommt, der aber im Deutschen nicht isoliert auftritt. Wenn ein Wort mit einem Vokal anfängt, dann ist der Glottisschlag vorangestellt. Da ist so ein ganz kleines Knacken, das einen harten Wortansatz schafft. Der Glottisschlag entsteht, wenn der Atemstrom die Stimmlippen auseinander presst. Das ist wie eine kleine Explosion. Dann geraten die Stimmlippen in Schwingung. Das ist der organische Vorgang. Wenn ich diese Schwingung unterdrücke, bekommt es etwas sehr unorganisches, weil die Schwingung durch das Ausströmen der Luft entsteht.
Am Glottisschlag hat mich interessiert, dass er eigentlich das Ansetzen von Sprechen bezeichnet. Wenn ich ihn isoliert gebrauche, wenn der Vokal wegfällt hinter dem Glottisschlag, ergibt das, dass die Artikulation in sich selber zurückfällt. Das Sprechen hebt an und bricht sofort wieder in sich ein und führt ins Verstummen zurück. Es ist relativ schwierig, diesen Glottisschlag isoliert einzusetzen, weil es den Atemfluss vollkommen außer Rand und Band bringt. Ich hatte auch das Gefühl, dass es relativ schädlich ist für die Stimme. Einmal, für die Aufnahme, konnte man es machen, aber jetzt will ich es eigentlich nicht mehr wiederholen.
In ‚jana, vermacht“ geht es um dieses Fragmentierte, um das Verschlucken von Rede. In dieser fingierten Großmutter-Rede, die vielleicht ausgedacht ist oder schlecht erinnert oder halluziniert – das wird nicht ganz deutlich – geht es darum, dass Sachen verschwiegen werden. Man weiß nicht, werden sie verschwiegen, weil sie nicht gesagt werden können, weil man sie nicht sagen will? Will man sie eigentlich sagen und bricht dann ab, versucht man um sie herumzukommen? Da fand ich, dass der Glottisschlag das sehr schön organisch illustriert, wie die Sprache sich selbst verschluckt, und wie auch dieses Schweigen über etwas, was man eigentlich artikulieren sollte oder möchte oder sich nicht traut, dann etwas Würgendes bekommt.
In dem Text ersetzt der Glottisschlag andere Laute. Diese Laute sind aber nicht eindeutig decodierbar, sondern es gibt immer mehrere Möglichkeiten an Lauten, die dann eintreten könnten an diese Stellen der Auslassungen – einen richtigen Text oder Ur-Text, der deformiert ist, gibt es nicht. Was bleibt ist diese deformierte Sprachstufe, die sich in verschiedene Richtungen auflösen ließe, wodurch auch die Bedeutung dessen, was gesagt werden sollte, nicht mehr eindeutig rekonstruiert werden kann. Es wird also nur noch angespielt auf das, was es bedeuten könnte.
Das Schreiben, das ich betreibe, ist sehr stark ein akustisches Schreiben und orientiert sich an der rhythmischen und lautlichen Strukturierung der Sprache. Das ist für mich ein ganz dominantes Merkmal. Eine eigene Sprache für einen Text zu entwickeln ist natürlich ein langer Prozess. In diesem Fall war es tatsächlich über ein Jahr, bis die ersten Texte gestanden sind.
 
 „jana, vermacht“ ist in der Edition Korrespondenzen als Buch mit beigelegter CD erschienen – welches Verhältnis besteht zwischen diesen beiden Medien?
Für mich stehen Buch und CD gleichberechtigt nebeneinander. Ich habe von Kritikern schon häufig zu hören bekommen, die Texte seien eigentlich eine Partitur, die eine Realisation durch die Leser verlangt. Das ist richtig, mir gefällt der Begriff „der Leser“ und auch „der Hörende“, der immer einen aktiven Part hat. Der Leser/Hörer ist immer derjenige, der eine Relation herstellen muss zu dem Gesagten, und sich in diesen semantischen Raum hineinbegeben muss. Dennoch würde ich sagen, dass das Schriftliche und das Gesprochene zwei Gestalten, zwei Ausprägungen eines Textes sind, und ich glaube, dass man in jeder Erscheinungsform eines Textes ganz spezifische Erfahrungen machen kann, die durch das andere nicht aufgehoben werden. Meine Idealleserin würde hin- und hergehen, zwischen dem zu Hörenden und dem Geschriebenen, und würde sehen, welcher Raum zwischen diesen beiden Textgestalten entsteht. Ich glaube, das ist auch der Raum, wo der Leser oder die Leserin am meisten Platz hat.
Ich denke, dass meine Art den Text zu sprechen eine Art ist und nicht unbedingt die einzige. Die Leserin oder der Leser könnte auch dadurch Platz in dem Text bekommen, dass sie selbst in das aktive Nachsprechen hineingehen. Das muss noch nicht einmal tatsächlich artikuliert sein, wobei die Artikulation natürlich immer wieder was interessantes ist, weil man mit dieser organischen Dimension konfrontiert wird, auch mit den Schwierigkeiten der Artikulation. Es kann ja auch eine stille Artikulation sein, wo man der inneren Stimme nachspürt.
 
Wie gestaltest Du die Lesungen vor Publikum?
Bei Lesungen von „jana, vermacht“ wird die tragende Stimme über Lautsprecher zugespielt, und dazu lese ich Passagen vor.  Das ist natürlich etwas anderes, als wenn ich mir selber etwas vorlese oder vorspreche. Es ist wirklich eine ganz besondere Konzentration, die ich dann auf der Bühne habe. Dadurch, dass das Publikum da ist, und ich diejenige bin, die aufführt, entsteht eine besondere Präsenz des Textes, die ich sehr schätze und mag, und die außerhalb dieses Aufführungsrahmens eigentlich nicht entstehen kann. Im Radio hat es auch eine Präsenz, aber eine andere. Es ist eine, wo viel mehr Distanz dazwischen ist, und die für mich gerade dadurch einen Reiz gewinnt, dass ich als Person, als Autorin nicht präsent bin, sondern dass man nur den Textkörper hat und den Geist des Rezipienten, und diese in eine direkte Interaktion eingehen, bei der ich als Person überhaupt nicht mehr sichtbar bin.
 
Was für Ebenen kommen bei der Radioübertragung noch dazu?
Für mich hat das Radio in diesem Fall einen ganz besonderen Reiz, weil es in diesem Text nicht nur um das geht, was man verschweigt, sondern auch um Erinnerungsproblematiken. Es geht darum, was man vergisst, was man sich in der Erinnerung falsch zurecht konstruiert, und um diese Bereiche, wo man nicht mehr sicher ist, was hat man eigentlich gehört, hat man überhaupt was gehört, war das richtig? Da ist das Radio natürlich das ideale Medium, weil es diesen Flüchtigkeitsaspekt hat. Das Gehörte geht vorbei und lässt mich zurück mit einer gewissen Unruhe : was ist es, dem ich gerade begegnet bin. Ich habe dann zwar, denke ich, einen gewissen emotionalen Abdruck von dem, was ich gehört habe, und auch einen gedanklichen Abdruck, aber die Konturen bleiben unscharf. In diesem unscharfen Raum kann es sehr reizvoll sein, sich als Hörer zu bewegen.
Die Möglichkeit der Wiederholung fällt im Radio weg, und das ist etwas sehr schönes, weil es in diesem Buch auch darum geht, dass man verpasst hat, ein Gespräch zu führen, man hat verpasst die Großeltern-Generation direkt zu befragen nach den eigenen Erlebnissen und nach der eigenen Haltung, die sie eingenommen haben in der Geschichte. Dieses Element des Verpassens, Versäumens, des nicht Wiederholbaren, das ist natürlich im Radio ganz präsent und notwendigerweise stärker präsent als auf der CD, wo ich immer wieder an beliebiger Stelle einhaken kann.
 
Das Thema, das in „jana, vermacht“ behandelt wird, ist wohl prägend für unsere Generation.
Es ist eines der Merkmale unserer Generation, dass wir vieles verpasst haben. Wir haben verpasst, mit der Kriegsgeneration ins Gespräch zu gehen. Ich habe das selber an mir beobachtet, und ich habe auch beobachtet, welchen Schmerz und welches Verlustempfinden mir das beschert. Andere Leute in meinem Alter haben genau das gleiche Problem: Wir haben versäumt, dieses Gespräch zu führen.
Ich persönlich habe es deswegen versäumt, weil ich dachte, es sei in der Erkenntnis des Paradoxes schon alles getan. Ich habe den Eindruck gehabt, als Jugendliche auch, es gibt dieses Paradox, es gibt auf der einen Seite die Großeltern, mit denen man aufgewachsen ist und die man geliebt hat, und auf der anderen Seite sind es die Leute, die in dieses Menschheitsverbrechen involviert waren, auf welche Art und Weise auch immer, die da beteiligt waren, wie aktiv oder passiv das gewesen sein mag. Ich hatte das Gefühl, dieser Widerspruch ist nicht auflösbar und mit diesem Widerspruch wird man leben müssen. Erst später, zu spät, habe ich gemerkt, dass man in diesen Widerspruch noch stärker hätte eintauchen können und müssen. Und zwar nicht indem man weitere Fakten rekonstruiert – die Rekonstruktion von Fakten, von dem was wirklich gewesen ist, ist eine sehr wichtige Aufgabe, und ist gut gelöst worden, wird immer noch gut gelöst – aber mir war wichtig, das emotionale Moment rauszustellen, jenseits aller Fakten, zu fragen: wie hast Du als Mensch das empfunden? Wir hat es Deine Sicht auf die Welt verändert oder zerstört? Wie war Dir danach ein Leben möglich? Welche Haltung hast Du eingenommen?
Das zu erfahren hätte das Paradox weiter strukturiert, sodass man leichter mit ihm hätte umgehen können und selber eine klarere Haltung hätte einnehmen können zu dieser Generation. Eine klarere, eigene Position. Gleichzeitig glaube ich, die Erkenntnis, dass man etwas verpasst hat, gibt einem auch die Möglichkeit darüber jenseits von einer rein anklagenden Position zu sprechen. Denn natürlich ist das Element der Verurteilung, der Anklage in der Auseinandersetzung mit dieser Generation immer präsent. Ich denke, in diesem Fall öffnet sich auch die Möglichkeit zu sagen: Man hat selber auch versäumt, dieser Generation eine Möglichkeit zu verschaffen sich differenziert auszudrücken – ohne das Ausmaß der Schuld, das da angehäuft worden ist, zu verringern.
 
Wie lässt sich das lyrisch umsetzen?
    Ich will zeigen, was denn eigentlich passiert, wenn man das sprachlich sichtbar machen möchte, also es nicht narrativ verhandeln möchte, mit irgendwelchen Sätzen und Formulierungen, die bereits da sind, sondern wenn man eine direkte Reaktion herbeiführt zwischen diesem Verschwiegenen, dem Verschluckten, vielleicht nicht Formulierbaren und der Sprache. Diese chemische Reaktion wollte ich hervorrufen um zu sehen, was sich eigentlich ausbildet an sprachlichem und klanglichem Material. Und nachdem ich lange genug versucht hatte, diese Reaktion durchzuführen, bin ich eben zu genau dieser Sprache gelangt, die immer wieder abbricht, einbricht, schwarze Löcher in sich trägt, wo die Sprache wie einen Gravitationsstrudel gezogen wird auf die schwarzen Löcher zu. Und wo gleichzeitig diese Vieldeutigkeit besteht, wo man nie weiß, was wird eigentlich gesagt, was würde passieren, wenn man diese Lücken auffüllen würde, man würde feststellen, es gibt keinen eindeutigen Text, der dahinter zum Vorschein käme, sondern in seiner Vieldeutigkeit eine Art schwankender Boden.
Die Pausen zwischen den Lauten eröffnen Möglichkeiten. Das ist wie eine  Bedeutung, die man hochnimmt und die ausstrahlt in verschiedene Richtungen, die plötzlich mehrere verschiedene Richtungen einschlagen kann, und die dann gerade durch diese Vieldeutigkeit zu Staub zerfällt, so wie das versäumte Gespräch zu Staub zerfällt.

In welche Stimmen ist der Text aufgeteilt?
Auf der einen Seite gibt es die dominante Stimme der Großmutter-Rede und diesen ansetzenden und abbrechenden Dialog zwischen der Großmutter und der Enkelin. Bei dieser Rede ist nie ganz klar, wer spricht eigentlich, ist es eine rekonstruierte Rede, ist es etwas das tatsächlich gesagt worden ist, oder ist es etwas, was einfach nur ausgedacht ist. Auf der anderen Seite ist eine Stimme, die wesentlich seltener auftritt, die Stimme der Enkelin in der Gegenwart, als erwachsene Person. Sie versucht in ein Verhältnis mit der Großmutter-Stimme zu treten und hat eine Art chorische Kommentar-Funktion hat. Aber an dieser Kommentar-Aufgabe scheitert sie eigentlich und bleibt in Hilflosigkeit, Ratlosigkeit gefangen. Das ist eine Stimme, die nicht heraustreten kann aus dem Bann des Gehörten.