"Die schwarzen Wiesen der Acqua Santa", oder einfach "Acqua Santa" nannte Pier Paolo Pasolini in seinen "Mondänen Gedichten" von 1962 einen Landschaftsraum, der sich im Süden Roms, so wende ich seine vage Beschreibung für mich an (und wandle sie ab), unweit der Porta San Sebastiano, bzw. der Porta Latina erstreckt, begrenzt, in etwa, durch die Via Appia Antica, die Via Ardeatina im Westen und die Via Latina im Osten, bzw. durch die Abfüllstelle der von den Römern bis heute als Heilwasser geschätzten Egeriaquelle im Süden, und darüberhinaus entgrenzt bis zu den Wiesen und Weiten (Weiden) der Aquädukte.
Er sah diesen tiefen Kulturraum als eine Art Weltbühne, und ich mit ihm, auf der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft einander in einer ekstatischen, unsterblichen Natur begegnen, Lebende und Tote sich die Hände reichen über die Gräben der masslosen Verbrechen, der ungeheuren sozialen und kulturellen Umwälzungen und Verwüstungen der Zeit und der Menschen - Geschichte hinweg.
"Pagus Triopius" hiess das antike Landgut an der Via Appia im Besitz einer der bedeutendsten römischen Adelsfamilien, der Annier, das später in den persönlichen Besitz der römischen Kaiser überging. Bedeutende Brennpunkte der Stadtgeschichte Roms befinden sich auf diesem Tableau der Jahrtausende, wie das Naturtheater des Ninfeo di Egeria, wo in dem, in einem Ensemble aus Hügeln und Tälern, Schafweiden und Wäldchen vorsprechenden Quellhain, die Nymphe Egeria (im Auftrag der Göttin Diana, wie uns Livius überliefert), Roms Priesterkönig Numa Pompilius, dem sie Lehrmeisterin und geheime Gefährtin war, im 8. Jh.v.Chr. die weltlichen und spirituellen Gesetze der künftigen Weltmacht Rom kommunizierte, ein von weiblichem Wissen bestimmtes Fundament eines vereinten Europa, auf dessen fernen Nachhall, obwohl weithin verdrängt und verschüttet, das heutige doch mit beruht, der Quellhain der Egeria als eine der mythischen Gründungsstätten europäischer Kultur, Spiritualität und Staatsauffassung.
In unmittelbarer Nähe zur Egeriaquelle befindet sich der heilige Hain der Göttin Kybele, zu Ende des zweiten Weltkriegs schwer zerstört, inzwischen wiederbegründet, in Sichtweite das Heiligtum der Ceres, einer der wenigen fast vollständig erhaltenen antiken Tempel, heute San Urbano. Bis in die Spätantike wurde im Rahmen des jährlichen Frühlingsfestes zu Ehren der Mutter Kybele ihre Statue im Wasser des heiligen Flusses Almo, heute Almone oder/und Caffarella, der das Tal der Caffarella, wie die Gegend heute genannt wird, in zahlreichen Kanälen, Verzweigungen, Mäandern durchfliesst, gewaschen.
Da sind die etruskischen Grabhöhlen an der Via Latina zu nennen, eingeschnürt von der römischen Vorstadt, dem Quartiere Appio Latino, Appio Pignatelli, deren wuchernde Ausbreitung dem Tal in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts beinahe ein jähes Ende bereitet hätte.
Dem betonierten Horizont gegenüber liegen versteckt zwischen Pinien, Pfahlrohr, Olivenhainen die Villen und Clubs der antiken und der modernen Prominenz an der Via Appia Antica.
Ein wenig weiter westlich an der Via Ardeatina erinnert der Komplex der ardeatinischen Höhlen mit seiner eindrucksvollen Gedenkstätte an den 24. März 1944, an dem, kurz vor der Befreiung Roms, die SS 335 Zivilisten ermordete.
Das Heiligtum der Egeria blieb bis in die Spätantike erhalten, ehe es mit der gesamten antiken Verbauung für Jahrhunderte im unruhigen Schlaf des Mittelalters verschwand, wiederentdeckt als "romantische Ruinen" von den Künstlern und Gelehrten der Renaissance, des Barock, dargestellt etwa in den Radierungen Giovanni B. Piranesis.
Das umliegende Tal, seine Wiesen und Wälder, Trümmer und Gebäudefragmente wurden und werden, so sie nicht von der sich ausbreitenden Stadt Rom verschluckt wurden, bis in die Gegenwart landwirtschaftlich genutzt.
Vergangenheit und Gegenwart berühren sich auf den schwarzen Wiesen der Acqua Santa seit jeher, der Mythos trifft auf die soziale Misere des modernen Italien eines Berlusconi, Fini, Bossi, des spätkapitalistischen Europa. So sind es vorallem auch die Armen, die Zuwanderer, die Ausgeschlossenen, die Toten aller Zeiten, die sich hier begegnen, in der fruchtbaren Erde, den Sümpfen, den Kanälen, Bächen, dem kleinen Wasserfall, die sich im Sediment vermischen.
Zudem, wenn man sehen kann, wenn man hören kann, treten die Geister und Gottheiten einer fernen und näheren Vorzeit auf in den Maulbeer-, den Eichenhainen, im tödlichen Lasten der Hitze des Sommers, im zarten Frost, den Nebeln des lazesischen Winters. Pasolini hat hier für "Medea" mit Maria Callas ebenso wie für "Mamma Roma" mit Anna Magnani gedreht.
Die Entwicklung der "Acqua Santa" über die Jahrtausende kann als ein Sinnbild eines zeitlos verlorenen Arkadiens einstehen, die etruskischen Grabhöhlen etwa waren schon zu römischer Zeit geplündert, für die Geschichtsverlorenheit des Mittelalters, für den rücksichtslosen Bauwahn und die Naturvernichtung eines bewusstlosen Nachkriegsitaliens ebenso, wie für die Umweltbewegung einer erstarkenden Zivilgesellschaft, der dieser exemplarische Landstrich in den Achtzigerjahren des 20. Jhs. seine Rettung verdankt.
Heute als "archäologischer Park" seiner wilden Beschaffenheit einer Abbruch-, Traum- und Traumalandschaft, noch in den 90ern Treffpunkt von Jugendbanden, Liebenden, Drogensüchtigen, zunehmend beraubt, ist er beinahe zum Naturschutz- und Erholungsgebiet der Römer geworden, in den letzten Jahren aber auch, aufgrund der in den letzten Jahrzehnten sich mehr und mehr formierenden Festung Europa, zunehmend zum Rückzugsraum obdachloser illegaler Einwanderer aus Afrika, aber auch aus Albanien, Rumänien und anderen Staaten des Balkans, Osteuropas, die den in Elendsgebieten ausfransenden Umraum Roms auf ihrer endlosen, traurigen Wanderschaft bevölkern und die sozialen Spannungen der seit jeher multiethnischen Metropole Rom bis zur Pogromstimmung verschärfen.
So erheben sich unvermittelt schwarze Nymphen und Faune, halbnackte Gruppen von Kleinkindern aus den Wiesen, sie essen, trinken, lachen und rauchen zwischen den Ruinen, hausen in Laub-Wellblech-Plastikhütten, bewohnen die russgeschwärzten Grabhöhlen, heute gerade noch da, morgen schon wieder verschwunden, und weisen den Kunst - Wanderer, der die Tiefe der Geschichte, der Zeit wie in einem endlosen Sinkflug durchquert, nachdrücklich darauf hin, dass im Hintergrund der arkadischen Szenerie, wenn sie denn vollständig gedacht wird, immer das Elend lauert, Verfall, der Terror, der Tod, der eigene ebenso, wie der nur scheinbar entferntere "der Anderen", der Fremden.

Meine ständige Auseinandersetzung mit dem Geschichts-, Architektur-, Naturraum "Acqua Santa" geht auf den Beginn der 90er Jahre zurück. Bei zahlreichen Arbeitsaufenthalten durch die Jahre in Rom, im Latium, gab es da immer die Idee eine Radioarbeit zu einer meiner zentralen "Lebenslandschaften" zu realisieren. In höchst unterschiedlichen Anläufen, zu allen Jahreszeiten, wurden über 15 Jahre Materialien gesammelt. So liegen Fotografien aus verschiedenen Zeiträumen vor, zahlreiche Texte sind entstanden, umfangreiches Klangmaterial wuchs an und fort, Tagebuchnotizen finden sich ebenso wie artistische Einlagen, Stimmperformances, Tänze, ein Video.
"Acqua Santa" bringt eine Auswahl aus diesen Materialien und Überlegungen vor.

Anhand einer Wanderung zu bedeutsamen Knotenpunkten in der Landschaft entsteht ein Porträt eines Lebensraums, das sowohl radikal subjektiv, als auch für den Hörer/Seher zugänglich bleiben soll.

Die Partitur des Hörstückes entstand in einer kleinteiligen, dabei fliessenden Struktur. Zur Verwendung kamen "Originalmaterialien" ebenso, wie "Zitate" entlegendster Provenienz.

Die acht Tracks sind mit den Titeln:
"Annia Regilla"
"Die schwarzen Wiesen der Acqua Santa"
"Ninfeo di Egeria"
"Das Lager der Wanderarbeiter"
"Vorstadt"
"Der gute Ort"
"Die andere Seite des Tales"
"Fosse Ardeatine"

betitelt.

Als optisches Äquivalent zum Hörstück dient ein Performancevideo mit dem Titel "DIE KULMINIERENDE ZUNGE" (Kamera: Monika Gaugusch), das zeitgleich mit der Ausstrahlung des Stückes on air, on line gesehen werden sollte.

The player will show in this paragraph


Auf diese Weise, sowie mittels der "beiliegenden" Textmaterialien, Gedichte, Notizen, Fotografien wird die Verklammerung der akustischen und einer vielgestaltigen visuellen Ebene im Radio erreicht, die Grenzen des Mediums Radio werden aufgelöst, das oftmals noch immer rein akustisch gedacht wird.
Das Hörstück ist dabei gleichwertiger Bestandteil (nicht mehr!) all jener Materialien, die zusammengefügt im Betrachter/Hörer das Projekt "Acqua Santa" ergeben.

"VON EINEM UNERMESSLICHEN WIESENORT WILL ICH SPRECHEN"

(Notizen und Wiesengedichte)

5. Dezember

Der Beginn von allem wäre doch:
"Wenn ich stürze mit dem Kopf, der gehorcht",
dieses Gedicht. Ich sehe, es ist nicht geeignet,
es ist geeignet.
Es ist das Einzige, das vom Eingang der schwarzen Wiesen der Acqua Santa von Norden her, ich sage das so, von der weissroten Porta San Sebastiano spricht.
Es gibt dort eine wilde, nahezu plastische Tankstelle. Agip?
Sieh genau hin!
Eine Wasserstelle.
Das Grab des Kaisers Geta.
Unterführungen. Zirkumvallationen. Müll.
Es gibt dort alles, was man braucht.
An dieser Stelle jetzt das erste Gedicht:

WENN ICH STÜRZE MIT DEM KOPF, DER GEHORCHT

„Wenn jetzt das Verschiedenartige (jeder Tankstelle, jeder Tablette, jedes Messers im Kopf) in der Veränderung innehält?“
Aber jeder von uns fällt und zerbricht.
„Ist das Verschiedenartige nahe dem Zerbrechen?
Als sein Ergebnis? Auf einem Tisch, im Dickicht?
In der Fäulnis des Dickichts?“
Dann hiesse es: „Trafos, Wracks, „Ich - Trafos“, Wald - Wracks; gehorchen, vergessen, gehorchen.“
„Was aber wenn wir an diesem beweglichen Mittag vorübergehen am Fliessen der Caffarella, die vorübergeht an uns, die wir fallen?
Im ganzen gefüllten Mund unseres Sprechens?
Im ganzen gebrochenen Bein unseres Gehens?
In einer Wasser - Zeit?“
Wir stehen kurz vor dem Sehen auf peitschenden Bahnen des Rufens.
„Weiter nichts als Grausamkeit, die besteht!
Weiter nichts als die Fröhlichkeit einiger Kinder an Agip - Tankstellen, Front - Linien, die vergeht!
Ohne jemals schlafend zu sein in den Böschungen.
Ohne jemals geweckt zu werden im Müll.
Vom Begreifen. Vom Sehen. Vom Tod.
Von dem Tod mit dem Kopf auf dem Stein.“
Wenn ich stürze mit dem Kopf, der gehorcht, (wovon ich nichts weiss), und rolle ins Dickicht:
Nur hören dort! Nur gehorchen!
Geweckt werden in der Fäulnis der Nessel - Gräben von den blendenden Stellen eines voranschreitenden perforierenden Sommers!

Wenn ich weitergehe,
(bodennah fliege ich mit dem umwickelten Kopf im Dickicht),
komme ich zum Grabtempel der Annia Regilla, der Frau des Herodes Atticus, denen die gesamte Gegend des "Pagus Triopius" im 2. Jahrhundert gehörte.
Ich komme sonst nirgendwo hin.
Die Wiesen stehen senkrecht und fallen auf den Tempel zu.
Ich rutsche.



Track 1: "Annia Regilla"

Jetzt das zweite Gedicht:

NIEMAND STEHT ALLEIN!

(an der Via della Caffarella)

Und die Worte der Arme (die es nicht gibt) seien Parallelen, sie heissen: „zusammenfliessend“,
„das alles mit allem bedeckt“,
später Depots der pflanzenartig wuchernden und vergehenden Ziffern, ihrer Ereignisse im Tempio der Annia Regilla, in dem du sagst: Wo alles wiederbegonnen werden soll:
mit Kletten, die alles verbinden, „zu sein“ an der Nahtstelle der Wiesen - Wracks, Milch - Trucks, „zu werden“ was kommt.
Die Nahtstelle des wiederbegonnenen Lebens wird signalisiert mit den Armen.
Alles folgt ihrem Winken und Graben der Luft.
Annia Regilla gräbt bei den Nesseln (vice versa).
Alles wird mit allem bedeckt.
Niemand steht allein!

Der schlanke Wiesentempel ist nicht zu betreten.
In seinem versperrten Garten bin ich Tag und Nacht.
Bei jedem Schliessen der Augen.
(Auch bei Ikea und Immo-Finanz).
Neben mir Annia Regilla mit einer grünen Mütze und einem blauen Ball.
Als "Licht des Hauses" (To Zos Tes Oikias).
Der Müll um den Tempel: entfernt!
Die Schutthäufen: planiert!
Vergiss nicht: der Splitter-Belag des Weges: verschüttet!

Jetzt das dritte Gedicht:
(ich brauche Nummern,
ich brauche keinerlei Nummern
und Numina/
Namen!)

ALS WÄRE ICH IN EINEM RAD!
(IM GARTEN DER ANNIA REGILLA)

Wie und wonach fehlt der Glücksmoment in den Augen:
„Dolden“, „Gartenholz“, „Rucola auf dem Tisch“,
fehlt der Drehmoment als Grund des Sprechens von Zeit?
Mit dem Drehen wächst die Anzahl der Lagen der Wesen und Dinge. Nach einem Hängen im Kirschbaum, nach einem Fallen ins Gras. Wir wurden geschüttelt im Garten der Annia Regilla von wem?
Im Fallen die Drehung und Dehnung der Schlange.
Mit der Schlange als Antwort habe ich in die Äste gegriffen der Pinie (was unmöglich ist) und herabgezogen Fahnen und Trauer - Rauten in einem niemalsbewölkten Himmel.
Ich will wissen wer bist du?
Im Terrain der Schafe bist du Tote, die schwebt, in der verwirrten Erinnerung Lebendige eines Fundus.
Als wäre ich in einem Rad!
Liege ich unten, sehe ich die vollkommene Fülle der Erscheinungen, liege ich oben, die unmögliche Leere der Hand.
Die Hand kommt von oben, sie tröstet die Toten.
Tot sind die Ziffern als Grund meines Sprechens.
Lebendig ist der Drehmoment aller Dinge als Grund des Sprechens von Zeit.
Dies ist die halbe Wahrheit.

Ich sehe, meine Gedichte,
allesamt "spontane Sprech- und Wiesengedichte",
sind sehr "in sich gedreht, geschraubt".
Gut. Keine besseren vorhanden.
Zweifelhafter Wert (im Zweifelhaften:
dem Vollkommenen). Arbeiten mit nichts.

Nahe dem Tempel der Annia Regilla stehe ich
(wie immer) bis zu den Knien im Sumpf.
Vor mir, im Entfernten, Verblasenen,
die roten Türme der Porta San Sebastiano, hinter mir die
Albaner Berge, tannengrün, mulmig, mummig im Dunst,
im Vergehen. Rechts die wuchernden Vorstädte:
wie auf einem Teller, wie vor dem Fall in einen Katarakt.
Links die bewegungslose Anhöhe, "die Minderung",
ich meide sie, zu den Grabmälern an der Via Appia Antica.

Es gibt da einige Gedichte, sie sind sehr schlank,
ich will sie vorsprechen, da bemerke ich:
sie sind von der anderen Seite des Tales erstmals gesprochen worden, von der Seite der Höhlen, der Gräber und der Bewunderung, "von etwas", "weit weg", "in den Wolken",
"in der Erde", so sage ich.
Dorthin kommt man über Brücken, kleine verfallene Brücken über die Gräben der Caffarella, die einmal Almo hiess.
Für heute bleibe ich auf "meiner Seite", der der Tempel,
der Göttinnen. Beinahe vergesse ich zu erwähnen:
zahlreiche Tote sind um mich herum.
Sie sind so vertraut!
Sie stehen neben mir, sitzen auf den Ästen der lazesischen Steineichen, dem Maulbeer, in den Weiden. Ihre nackten Beine baumeln.
Sie singen mir in die Ohren, die sanften Zuflüsterer,
legen mir ihre Hände auf Stirn und Augen.
Es wimmelt von Toten. Sie sind sehr freundlich, fügsam, "fromm".
Jetzt in einmal taucht in den Unterlagen aus fünfzehn Jahren das vierte Gedicht auf, ein Glück,
ich weiss nicht woher
(ich weiss woher!)

DU SCHLÄFST BEI DEN TOTEN

Viele sagen zu der grünen Brücke sie sei die Verlängerung.
Viele sagen sie sei die Verkürzung.
In ein Leben mit Blumen, in einen stürzenden Tod.
Die so sprechen sind heute bei mir als unbekleidete Tote.
Sie sagen, der Name der Brücke, den sie aussprechen wollen, dass sie wiederkehrt aus der Zerstörung, dass sie bleibt in dem zitternden Augenblick, in dem die März - Schafe sie überqueren, sei: „Du schläfst bei den Toten“.
Ich antworte: „Ich schlafe bei den Lebenden.“
Die Toten spazieren um uns her. Sie tragen Schellen an den Füssen. Du sagst: „Ununterscheidbar sind sie von den Schafen, die läuten, nach uns. Nach den Blumen - Menschen. Untrennbar von der Brücke über die Caffarella, die es nicht gibt, die wiederkehrt im April.“
Die Toten wiederum sagen: „Eines März - Morgens als Kind, als ich hinausging weit vor die Stadt und lief in den Hügeln, als ich erfuhr, dass es Brücken gibt, Blumen, die Vernichtung von allem, und hineinging.“

Es geht in diesem Gedicht um alle Toten.
Die der Antike. Die der sinnlosen Zerstörung der antiken Welt.
Die des blödsinnigen Mittelalters (entschuldigt mich!)
Die einer tödlichen Moderne.

Die der Nazis. Der Faschisten. Des Kapitalismus.
Des Endes des Kapitalismus. Des Konsumterrors bis zum Ende.
Es geht auch um Pasolini. Der vom faschistischen Kapitalismus zu Tode gebracht wurde.
Es geht aber auch um eine mächtige Tote meines Lebens.
Eine tote Zauberin (dabei lache ich lange).
Nichtskönnerin.
Vor Jahren hat sie diesen Ort bewohnt.
Sie hat alle Orte bewohnt.
Jetzt ist sie fort.
Ausgelichtet. Gallerte. Verflossen. Gut.
Ins Orientalische.
Bengalen? Afghanistan? Gut!

Ich will diese zweifelhafte Wanderung
(im vielfarbigen Zweifelhaften)
gerne abbrechen. Zu viele Unbekannte (Bekannte).
Warum setze ich fort?
Von einem unermesslichen Ort will ich sprechen,
an dem alles lebt, alles vorangeht,
alles folgt, zu allen will ich sprechen
von einem unvorstellbaren, unermesslichen Wiesenort!
(einem offenbaren und geheimen
äussersten Wissensort!)


Track 2: "Die schwarzen Wiesen der Acqua Santa"

Ich nehme jetzt diese beiden kleinen Gedichte an mich
(aus dem Folder der Wiesen),
die die Anwesenheit der Göttinnen andeuten.
Eigentlich wurden auch sie "von Gegenüber" ausgesprochen,
"von dahinter", abends, tief im Winter, im Rauch der Schilffeuer,
vorbei!,
aber sie sind sehr zärtlich, sie sind gelungen, auch geweitet,
sie machen den Weg zum Ninfeo di Egeria.
Davor noch laufen herbei: die Sümpfe, Wasserlinsen,
Lianen, die fächernde Schafherde, Glöckchen!, Glöckchen!,
die Ziegenherde, nicht heute, aber 95, 84, 97 und 99.
Artischocken. Nicht heute Mittag:
In der Versenkung sehe ich sie stehen!
Die Nymphe Egeria in ihrem Heiligtum ist sehr leicht wahrnehmbar (wenn man wahrnimmt).
An dieser Stelle erinnere ich das Bildnis ihrer Herrin (und Schwester) aus Nemi,
der (nemesischen) Diana.

Die Waschstelle der grossen Mutter Kybele ist sehr nahe (sehr weit).
Ich sage über diesen meinen "Lebensort" nicht mehr.
Es ist mein Ort. Mein Raum. Und mein Gelingen.
Nur noch: auf dem Strauchwerk-Hügel über dem Ninfeo steht der Ziegeltempel der Ceres.
Linker Hand kann man zum heiligen Hain der Mutter Kybele mit seinen Steineichen hin- und hinaufsehen. Wenn man sehen kann.


Track 3: "Ninfeo di Egeria"

Jetzt das fünfte und das sechste Gedicht:

WEIT IM FELD

Erwiesen ist eine unsichtbare Zirkumvallation der Stadt
und Weiblichkeit in den Kavernen
tiefer Verborgenheit,
und Lichtung: „wie in den Verschlägen der Hühner, die leer sind,
in eine weissliche Drahtschlinge, die gefüllt ist von der Pfote des Marders
das lautlose Gelände fliesst“
(war es im lautlosen Zerreissen einer Tier - Göttin,
deren Binnen - Fuss ein klein wenig Gerinne sei),
und nicht mehr zu blenden waren wir
weit im Feld
von unvergesslichem Halbschlaf.


IN EINEM WEIDEN - FELD

Die Strassen - Stimme
(jene meine die
ich nicht kenne),
die Zahn - Spur, wie jener belorussische Wind, führt an die Transversale, die leicht abfällt des Mutter - Tales
der Brennessel
die Erinnerung eines Schlafes: „wie du zu prügeln bist“
„wie du,
eines Bildes Dauer,
zu perforieren bist,
in einem Weiden - Feld (von Gedächtnis).“

Am Ninfeo halte ich mich immer sehr lange auf.
Sieh dir die Erinnerungsfolien in den Bildnischen an.
Ich halte mich zu jeder Zeit dort auf.
Im Oberstock eines zerbröckelten Nebengebäudes, das die Priester bewohnten. Sieh dir Piranesis Radierung an!
Ich raste unter dem Feigenbaum bei den Schafen, oder beim Abfluss der Egeriaquelle zur Caffarella unter einer Weide.
Es gibt dort einen spazierengehenden (parlierenden) Taubenschwarm.
Es gibt dort mehrere durchsichtige Kinder, die nur ich sehen kann.
Die Umwallungsmauer des Ninfeo, 99 freigelegt,
verschwindet bereits wieder im Gestrüpp.
Schmaler Laufgang, einstmals überdacht, doppelte Mauer, winziger Einlass.
Reste roter Bemalung (heute entdeckt!)
Im Kontrast zur grünen Marmorverkleidung des Ninfeo
(sie fehlt bis auf die Reste, die ich im Schutt aufgefunden habe im Winter 99, völlig).
Der Stieglitz, die grünen Papageien (schwärmend), die weisse, diagonale Taube, die Krähen, die mich begrüssen, vorausfliegen.
Steig in das Wasserbecken vor der Grotte (aber bei Nacht).
Sieh nach! Gib acht! Es gibt dort schwarze Schildkröten und Nattern.
Zu dem, was du vorfindest, habe ich etwas hinzugefügt.

Heute gehe ich nicht über die weiten schwarzen Wiesen,
es sind vollkommene "Gegen-Wiesen",
(man kann sie nicht abbilden, zeigen)
dem Flüsschen entlang,
nicht: das Flüsschen entlang,
in die Pfahlrohrwäldchen, wie oft, ich gehe die Stufen zum Tempel der Ceres hinauf, der als San Urbano überlebt hat.
Einlass nur zu samstäglichen Messen
(z. b. am 16.12.05.)
Und (jederzeit) auf Piranesis berühmter Radierung.

Es gibt kein Gedicht für diesen Ort,
für die bei weitem beste Aussicht über das Tal, die schwarzen,
einwärtsgebogenen Wiesen der Acqua Santa, (es sind Hörner),
die Totenhügel, die weisse Vorstadt.
Der Vorplatz des Tempels ist schön abgeflacht (plan),
an den steilen Abbrüchen ins Tal mit Mauerwerk befestigt.
Was stand dort früher in Zeit und Raum?
Der Frühstücksplatz des Herodes Atticus und der Annia Regilla?
(Ihre zerbröselte Villa liegt unweit im Gestrüpp).
Sonnenzelte, Liegen, Sportgerät, Pferde,
zahllose hin- und herlaufende Sklaven?

Ich winke wem?
Wer winkt zurück?
Wer ruft?
In der Luft liegt ein Ballspiel.
Die Mädchen tragen rote und gelbe Bikinis.
Wie auf den Mosaiken.
Warum nicht?

Der überschlanke, an der Fassade touchierte (wovon!),
abgeschrammte Tempel der Ceres ist nach dem ihm gegenüber liegenden heiligen Hain der Kybele ausgerichtet, sodass Sichtkontakt zwischen der in der Cella sitzenden (stehenden?) Statue der Ceres, die der Annia Regilla ähnlich sah
(und diese wiederum der Kaiserin Faustina)
und dem Hain bestand.
Wo denken wir uns diese Statue heute?
Hat jemand nach ihr gesucht?
Im naheliegenden Finsterbusch? In der Zisterne?
Im Labyrinth unter dem Hügel.
Das es gibt. Das es nicht gibt.
Ich kenne den Zugang.
Mein Vorschlag. Gut!
Sehr nahe ragt das Massaker der ardeatinischen Höhlen in die schlafende Gegend hinein (später!)

Von der Anhöhe von San Urbano sehe ich den Zinnen-Turm
des Cecilia Metella Grabes an der Appia
in einer schwarzen Rauchfahne
(mit den Explosionen, Torsionen des Wintergewitters von 99:
von den frischen Wolken brach ein Kamm ab, ein Huf.
Ich trage ihn bei mir).
Im Abendfog erkenne ich den mittelalterlichen Torre Valca im Tal (er hat drei Augen und eine kühle Wange),
an einem der Übergänge über die Caffarella.
An dieser Stelle finde ich ein Gedicht über die schwarze Via Appia Pignatelli, auf die ich jetzt hinaustrete.
In dieser Schleichbewegung das siebente Gedicht:

IN DER VORWÄRTSBEWEGUNG DER ZEIT

Was sage ich, wenn ich in den Windungen eines Baches gehe, der verschmutzt scheint von Toten?
Was in den Kurven der schwarzen Via Appia Pignatelli, die brüllt:
„Du bist in keiner mir bekannten Zeit!
Weniger bist du als Tote!“
Ich sage: „Du erscheinst in der Bewölkung des Abends, die stillsteht über den Wiesen.
Dann willst du täuschen als Regen.“
Ich sage zu dir: „Langsam wechselst du ins Vergehen.“
Du antwortest: „In den Windungen der Brennessel werde ich bleiben, in der Vorwärtsbewegung der Zeit, die verschmutzt scheint von Namen wie: „Kappler“ und „Hass“, und die doch reinigt im Rückwärtsfliessen durch die Kanäle der Caffarella das Jahr 44.“
In den Verbrennungen werde ich dich sehen.

Kappler, Hass, die SS-Mörder der ardeatinischen Höhlen werden hier genannt. Die ein- und ausfliessende, vor- und rückwärtsstriemende Caffarella.
Sie gehören untrennbar zusammen.

Gehe ich (wie oft) bei Tag und Nacht und zu allen Jahreszeiten die Appia Pignatelli entlang, komme ich an die sehr dunkle Kreuzung mit der Via dell´Almone.
Tobender Verkehr. Totale Finsternis jetzt. Dahinter militärisches Sperrgebiet der Forte del Acqua Santa. Wachen. Beschallung mit Marschmusik. Kriegsgerät.
Dort gibt es zwei Gedichte, sie sprechen von den Wanderarbeitern, den Schwarzen, Syrern, Ägyptern.
Die Verzweifelten, sie sind lange fort.
Durch andere, so wird gesagt, zunehmend gefährlichere Ausgestossene ersetzt.
Ich spreche von den Verschlägen der Rumänen, Albaner, der Roma.
Und von den Nazis im Sediment. Den alten und neuen Faschisten.
Sie sind immer dort. In einem Flor. Und Store.
Die Gedichte acht und neun halte ich zugleich in den Händen, wie Teller, Welt-Scheiben, leer.


Track 4: "Das Lager der Wanderarbeiter"

WIE DER ATEM DES EINZELNEN

(Rom, noch einmal zurückkehrend, neu aufsteigend, die Wiesen der Acqua Santa)

Donner der Reaktoren auf Kopfplatten
Missgeruch, uns erwartend
wie die schwimmende Stadt als die letzten Berührungen die
möglich sind der Raubmöven untereinander
umarmt das Wiesen - Geviert:
Ein Reissen geht jetzt durch das Warten der Wanderarbeiter wie der Atem des einzelnen
mit den Fäden der Nesselsamen zu Boden geht
zu (unbekannt) ambulanten Toten,
deren Kieferabdrücke riffeln das Schlachtfeld,
das zu uns aufsteigt
das zu uns herabfällt
(und aus der Stille kein Erwachen).
Das Abwesende verbirgt sich selbst.


NICHTS DAVON WARTET AB!

(an der Via Appia Pignatelli / Via dell´Acqua)

Wieder an der Rückseite der Erscheinungen sage ich:
„Die fliessenden Ziffern in einmal! Kann das sein?“
Du antwortest:
„Zwei und zwei Nazis am Bach - Rand mit Schafen.
Davor die Dunkelziffer der Ermordeten in den schwarzen Wiesen der Acqua Santa.
Sie werden vernäht mit unseren Schritten (die es nicht gibt).“
Sollten sich die Embleme verschränken:
eine Hand, ein Bein, Wiesen und Trümmer, die Worte?
Tobende Embleme in Arrangements?
Nichts davon wartet ab!

Der 5. Dezember (er war heiss, gedehnt, in sich drehend, marmoriert) endet in der Taverna Cecilia Metella, die jetzt sehr nahe ist.
Du musst sie selbst finden.
(Es ist sehr leicht. Schwer.
Frag nach Marcia.
Und der nemesischen Diana.
Und besuch ihr Erdbeer-Heiligtum in Nemi!)

7. Dezember

Ich beginne diesen Tag im Osten (ich sage das so),
mit dem Schlaf an der Hand aus dem Quartiere Appio Latino heraustretend bei den Tombe Latine:
elegante, gestreifte Grabhäuser aus rötlichem Ziegelmauerwerk, die ins Caffarella-Tal hinuntersehen, wie seit jeher,
aber sie sehen über eine Tankstelle (Agip!) hinweg und die tobende Via Appia Nuova.
Sie dürfen nicht betreten werden, schon gar nicht ihre stuckverzierten Stockwerke.
Du kannst es nachts tun. Niemand hindert dich.
Der Tod ist bei den Grabhäusern immer vertreten, aber er ist distanziert, leger, ganz Haltung und Ausgewogenheit, schläfrige Ruhe.
Der Tod der antoninischen Epoche, Antoninus Pius, Marcus Aurelius. Der ausbalancierte Tod der Eliten.
Für alle anderen bleibt der Tod immer gleich.
Er stürzt, ein Keil, diagonal vom Himmel zur Erde, auf sie zu.

Die Via dell´Almone führt an einer Autowerkstatt, einer expandierenden Schrottpresse vorbei, hinunter in das tiefe Wassertal, die Quellsenke, zur Abfüllstelle der seit jeher wundertätigen Egeria-Quelle. Zahlreiche Römer füllen Wasser in grossen Mengen ab. Acqua Santa Egeria.
(Das Fotografieren dieses Vorgangs aber ist verboten und unter Strafe gestellt, das kannst du mir glauben. Ich glaube es nie (und nicht) und werde wieder einmal, diesmal vom Direktor der Wasseranstalt, vertrieben).


Track 5: "Vorstadt"

Jetzt schnell unter dem verschmutzten Brückenbogen hindurch ins Caffarella-Tal, in die Wiesen des nahen Torre Valca, der das Tal bewacht, vor wem?
Die Brücke, die dort jahrhundertelang den Fluss querte, hat man vor wenigen Jahren entfernt.
Das Allermeiste, das geschieht, ist nicht einsehbar.
Es geschieht.
Am Grund der Caffarella, (ihr kleiner Wasserfall ist jetzt sehr nahe, an dem es blaue Hornissen, tausendfachen Müll und Schaumwasser, Holzpressen Sperrholz gibt),
beim Fundament des Torre Valca wartet etwas auf dich.
Tauch hinab zum Flussgrund. Sieh auf die Ratten.
Gib nicht auf! Du wirst sehen!

In diesem in sich verschlossenen, sehr dichten Wiesen-Eck nahe dem Torre Valca kommen zwei Gedichte zu liegen, das zehnte und elfte. Zuerst das prägnante:
"In die Mitte der Finsternis", es ist Pascal gewidmet,
er hat mir im Winter 99 geholfen zu überleben
(er hat mir immer geholfen).

IN DIE MITTE DER FINSTERNIS

(für Blaise Pascal)

„Weiss ich das nicht?“
Was sei denn das Gelände der Pflanzen, jedenfalls nicht die Rede davon, anderes als Pascal.
Als Pascal zu vervollständigen in Artischocken.
Sag mir nicht das Kastell, das du liegen siehst im Bach - Lauf als ein Stumpf, völlig ohne Introspektion, offen und schwarz, sei ein Würfel, ein Bauplan, Prägnanz;
antworte mit der Kuh in den Nebeln des Aniene!
„Weiss ich das nicht zu sagen?“
In die Mitte der Finsternis einer schwebenden Kuh, einer politischen Manege am rauchenden Horizont, fallen Blicke:
„zu versuchen“, „zu verstehen“.
Wir zeigen Luft.
All ihre bunten Teile wachsen im Himmel.
Die Finsternis wächst in ein Licht.

Dann das grimmige:

AUF DEN KNIEN GLITT ICH ÜBER DEN FLUSS.
(IN EINER DREHUNG)

„Wenn Vieles ist, und deine Hände funkelnd“, sagst du.
Warum, wenn du tot bist, wird gesprochen von dir?
Vielleicht könnte ich von der Rede und der Realität, auf dem Kälte - Fuss, leicht gedreht in der Mündung des Flusses, von Namen berührt, alles berühren, das ist.
Was aber ist überblickt mich ganz.
Ich bin als Schnee gefallen, der zielt ins Amorphe.
Auf den Knien glitt ich über den Fluss.
Es sei ein Frühling des Realen, der endlich beginnt, lese ich im Corriere: „Schaustück und Themen - Park Terror“;
November des verhassten Realen, das nachgibt, in einer Drehung sich leert:
Warum, als du tot warst, wurde geschwiegen von dir?

Der Tod vom November hat sich zurückgezogen in den Torre,
der in früheren Jahren immer unter Wasser stand, in die Tomba,
nahe bei.
Meist klebt er haarfein an der Decke des Grabhauses,
wenn du es betrittst.
Denk daran und gib acht auf die Tauben
(warum verrate ich nicht).
Erzähl mir vom Mulmigen.
Vom Fledermaus-Mann.

In der Hoffnung auf ein Schläfchen nehme ich den Weg zum "Guten Ort", der eine bestimmte Weichstelle, einen offenen Bühnenraum, weit in den Wiesen nahe der Caffarella bezeichnet.
Er ist von Weiden bestanden, einem Pfirsichbaum, Kirschen und einer kleinen, halb liegenden Tamariske.
Es gibt viele Tierverstecke dort. Buch- und Schmuckverstecke.
Auch Menschenverstecke. Pfahlrohr, himmelhoch, im Rücken.
Und zu Zäunen, Zelten, Nestern, zu Bettstellen gebogen.
Ich trete an das sehr leise Flüsschen heran, dessen hohe Uferböschungen müllverziert sind (wie immer) und vom lastenden Himmel, der heute rauchschwarz herkommt, durch Brombeerwirrnisse getrennt werden (in Attacken!)
Zwei grosse, gedehnte Bisamratten schwimmen in der blasenwerfenden Caffarella, paddeln ans Ufer, die Böschung hinauf und ab in die Brombeeren!
An dieser Stelle, du wirst wissen wo, zu rasten, ist immer zu empfehlen. "Guter Ort", wie "Gutes Wasser", wie man in Latium sagt. Er ist einer der wenigen sicheren Plätze für eine Übernachtung (wenn er nicht besetzt ist).
An dieser Stelle füge ich das zwölfte Gedicht ein:

VON ALLEN DINGEN WILL ICH SPRECHEN

Von der zerfallenden Brücke sprechend gelange ich an den Mittelpunkt der Dinge: ihre Vorwärtsbewegung in die Verwandlung.
Von den bewölkten und veränderlichen Dingen und Wesen sprechend, wenn du mich abwehrst, bekleidest, am Bach - Ufer ruhend, auf dem Mund, am Wiesen - Ufer dich drängend mit dem Hermelin, sagst du:
„Von der zerfallenen Brücke über die Caffarella zu sprechen bleibt leicht, die deine Arm - Bewegung ersetzt, dein Schrei, dann das Flügel - Schnellen des Reihers, durch ihn hindurch sehe ich auf dein Kinn. Wenn es ruht, später bewegt, wenn es wechselt, den Frühling erwartend.“
Ich sage: „Wechselt wohin?“
Du antwortest: „Von allen Dingen will ich sprechen.“

Ich bin jetzt erstaunt, dass es noch immer so gut passt.
Die pfeifenden Ratten. Der Heilort. Das Lager des Äthiopiers.
Gut.


Track 6: "Der gute Ort"

Ich sage es so:
Ich nehme den heissen Wiesenweg am Fluss, an der dunklen Anhöhe des Sacro Bosco vorbei, an San Urbano, versteckt im Lorbeer, in den Pinien, am Ninfeo di Egeria, zu jeder Jahreszeit, Tages- und Nachtzeit feucht und kühl, hin zu der Brücke über die Caffarella, die eigentlich eine Doppel- und Dreifachbrücke ist.
Zwei, drei Brücken hintereinander, die eine über die Caffarella, die anderen, besseren über zwei ihrer zahlreichen Seitenarme, Kanäle.
Ich betrete die andere Seite des Tales an der Vaccheria la Caffarella.
Wie übersetzen? "Ort der weissen Kühe", sage ich.
Von hier kommt die Schafherde, die Kühe, langgehörnt, die an die weissen Stiere Jupiters erinnern.
Das in steter Auflösung begriffene Anwesen der Vaccheria (immens) steht an dieser zentralen Stelle seit dem frühen Mittelalter und ist nach wie vor bewohnt.
Es besteht aus Spolien von den umliegenden Tempeln und Heiligtümern.
Bertolucci hat hier für "1900" gedreht.
Koste den Ricotta, es lohnt sich!

An der steinernen Tiertränke gelingt eine Rast.
Jetzt das dreizehnte Gedicht:

ALSO GIBT ES AUCH EINE SOLCHE ZEIT

„Wenn sie stillsteht in den Äpfeln, in der Veränderung, muss nicht doch alles, was auf den Wiesen der Caetani erscheint, sich trennen und verbinden, und wechseln aus der Ruhe des Morgens mit den Äpfeln in die Beweglichkeit blasser Schafe am Mittag?“
Ja, ich erinnere mich.
Nein, das kann sie nicht:
Wiederbringen das vergangene Schilf, die vorübergegangene Quelle, weisse Kühe, deine Hand, wenn du sagst: „Möglich ist, dass wir einander verlieren, dass wir arbeiten, ich mit der Kamera, du mit dem Wieder - Nichts, einander gewinnen.“
Möglich sind aber die ardeatinischen Höhlen, die Toten, deren Mörder, unwandelbar.
Also gibt es auch eine solche Zeit.

Diese Gedichte, die ich verwende, sprechen immer vor und zurück, und auf der Stelle: sie radieren, also in allen drei Zeiten zugleich.
Sie wissen vieles voraus, sie erinnern vieles.
So sind sie manchmal recht schwer (leicht).
Sie erinnern "falsch", sie wissen "Falsches" voraus.
Basta cosi.

Was jetzt (heute noch) zu erzählen bleibt, ist die ganze andere Seite des Tales, die "der Bewunderung".
Alle Heiligtümer können von den ewigen Hügeln und unermesslichen Anhöhen dort drüben betrachtet werden.
Das Sturmwetter, die scheuen Wolken (scheuchen), später ein zarter Regen kommen auf die Minute genau und verdecken die Sonne, die im Westen sehr tief steht: jedes Fotografieren wäre sonst unmöglich gewesen.
Was diese Talseite prägt sind die Gräber.
In den Tuffstein geschlagen in etruskischer Zeit, in der römischen bereits geplündert. Bis heute, wie in Latium üblich, als Viehställe, Garagen und Lagerräume verwendet.
Ich erinnere Pasolinis "Medea".
Maria Callas tritt aus der dunklen Höhle heraus, vor die ein Sonnensegel gespannt ist.
Sie blendet mit ihrer Schönheit (also Genauigkeit, Strenge).
Hier sieht sie Jason das erste Mal.
Oder ist es Iokaste in "Ödipus Rex"?
Egal. Es ist immer ein und dieselbe Frau,
ein und derselbe Mann.

Ich füge das vierzehnte Gedicht ein, es spricht die an die Talseite heranragende, wellenartige Vorstadtverbauung an, den Betonberg (Cluster), der es nur knapp verschont hat.

IN SEHR HELLEM FLITTER

Auch ich bin
(als Flocke auf ungefügen Terrassen
flottierender Tierteile, Wannen, Zaunpfahl)
nicht nötig wie Luft oder Schmerz in dieser Schaukel von Welt:
die vornweg mit geheimer Trasse einer versunkenen Stadt durch das Tal stösst,
nach hinten hin zulegt in einer Stockung
fixen Betons,
an der Via Latina der Zement - Schwinger legt uns flach an ein Halmrohr
(der frühlingsbeleuchteten Gräben)
eines Flackerns der Pixel,
Jalousie.


Track 7: "Die andere Seite des Tales"

Die Gräber, es sind sehr viele, sind, obwohl so lange schon profan, unsichere Orte.
Richte es so ein, dass du nicht müde bist, wenn du dort ankommst.
Schlangen wohnen dort, "Tropf-Schlangen", grüne und braune, ein Hermelin, Spinnen, sehr schwarz (und "reihenweise"), Reiher, Elefanten (nur in der Früh!), das Wiesen-Krokodil.
Der Tod ist in diesen tiefen Gräbern, Grabhöhlen, Löchern, Kavernen, sehr vordringlich, es ist ein umherirrender, ungezähmter Tod, der hier umgeht, "umspringt", könnte man sagen.
Steigst du mit dem Seil in eine dieser Dolinen hinab, sie können sehr tief sein, triffst du "Mitternacht!" und "alle Tiere!".
Ich bin auf dieser Seite des Tales sehr ungern (gern).
Sie ist unruhig, stichdunkel, hier musst du vorsichtig sein.
Das Bein knickt leicht ein, der Sandboden gibt nach, die Abbrüche, Überhänge der verwachsenen Hügel sind tückisch.
Schneller als das Bein aber bricht der Menschenverstand.
Zwei Wächter sind dieser Talseite der schwarzen Wiesen der Acqua Santa beigegeben.
Der eine ist mutig, hart, grimmig.
Der zweite müde und ängstlich.
Anschliesst an beide das Hartgras, die Primeln, Krokusse des verzögerten Frühlings von 95.
Hier füge ich
"Was wenn Dir gelänge zu bleiben"
als fünfzehntes Gedicht ein.
Wieder weist es auf die ardeatinischen Höhlen hin
(später!, später!)

WAS WENN DIR GELÄNGE ZU BLEIBEN?

Was wenn dir gelänge zu bleiben?
Was wenn dir gelänge auf den ruhelosen Wiesen zu bleiben?
Ich würde dich fragen: „Wieso denn haben wir alle, wir zwei, wir schlafen, dem Hügel gegenüber einen Anfang, eine Mitte, ein Ende?
Warum sind wir heute, in diesem April, ein dreiteiliges Tier, das spricht von dem Menschen - Verstand, den ardeatinischen Höhlen, den Mördern?“
„Während wir wachen und sprechen haben wir eine Grenze zu allem.“
Wer hat das gesagt?
An die Wiese gelehnt schreist du: „Wir schlafen! Wir sind Kühe! Ermordete!
Nein, es gibt keine Grenze!“
Ich antworte: „Wir sind Kühe, die bei den Vorstadt - Wohnblöcken weiden, wir sind Hügel mit Gräbern.“
Wir haben keine Grenze zu den Toten.
Wir haben keine Grenze zu den Lebenden und den Toten.
Dein Mützchen, das vom Hügel fällt mit den Kühen, macht den Anfang. Es rollt in die Mitte der Leichen.
Was am Ende, wenn es ein Ende gibt, ist Vergehen?
Was aber wenn dir gelänge zu verwandeln?

Immer wenn ich hier gehe, begrüsse ich die beiden Wächter, erbitte Schutz und Wegrecht.

Das Ulmenwäldchen unter dem drohenden Felsüberhang nahe bei sieht erholsam, kühl, verloren aus in der Mittagshitze, aber das ist es nicht.
Überlass es den Schafen, den Kühen als Rastplatz
(Fotos gelingen hier selten).
Schnell gehe ich daran vorbei (nicht nur einmal singt und zischt und klingt es lange nach), bis zur halb zerstörten Brücke südlich des Torre Valca, quere das Flüsschen beim Wasserfall (ich habe ihn schon erwähnt), und ersteige "in einer entschlossenen Querung der Lage, der Situation" die Anhöhe von San Urbano, wo es eine der wenigen Wasserstellen gibt (in einer Wasserlandschaft, in einer Aue!), sieht man vom Quellwasser beim Ninfeo di Egeria ab.
Dann bleibt mir nur noch der Rückzug über die schwarze Via Appia Pignatelli (sie ist nicht schwarz, viel eher "gezuckert").
Wohin ich dann gehe (verschwinde, in westlicher Richtung), sage ich nicht.
Es gibt einen Ort des strauchhohen Mädchen-Schachtelhalms.

13. Dezember

Am Luciatag (dem Tag der Lichtbringern, tatsächlich gibt er sich heiss und hell), beginne ich bei den grossen Katakomben.
Sie liegen an der Via Appia Antica, sind in christlicher Verwaltung (also beinahe unzugänglich).
Wichtig sind sie mir nur, das sie einen guten Teil der Toten bereitstellen, die im Tal der Acqua Santa auftreten.
Es sind friedliche Tote, sanfte Fluchtgestalten, mild, kummervoll, wehmütig.
Es gibt Orte, an denen sie so geballt auffallen, dass Vorsicht erlaubt ist.
Es gibt Tages- und Nachtzeiten, zu denen die Landschaft ganz ihnen gehört. Die frühen Morgenstunden gehören dazu.
Ebenso die Mittagszeit (insbesondere im Glühen des Sommers).
In der flirrenden und fliegenden Hitze trüben sie den Menschenverstand sehr leicht.

Aber es gibt auch die anderen Toten.
Die Ermordeten des 24. März 44.
Ich fahre (gehe, wie man will), die Via Ardeatina stadtauswärts.
Ich nähere mich langsam der Gedenkstätte der ardeatinischen Höhlen. Dann das sechzehnte Gedicht:

SO NAHE DENEN DIE SCHLAFEN

Bin ich jetzt wie man mich will und heisse ich jetzt:
Es reisst ein Schnee in den Händen. Es fliesst ein Bach in den Schuhen. Was aber reisst über uns?
(Als wüsste ich etwas davon.)
Was reisst in den Wiesen, Verwirrung.
Wer überfliegt uns als Schnee? Und Reif in den Pinien - Hügeln für jene, die schlafen?
Wer begleitet uns mit der Angst, ihrer Rückwärtsbewegung in „Verlorenheit“, „Nässe“, „äusserste“, „wehrlos“, „der Akazie“, „einzig der Weide Licht in den Augen?“
Was weiss ich sonst als die sich verknüpfende Todes - Angst, die mich aufbrach.
War ich dann endlich wie man mich wollte und hiess ich damals:
Wenn du nur willst, du Träumender, aber du willst nicht!
(Wie kann ich wirklich glauben, so nahe denen die schlafen?)
Mit dem zitternden Wagen auf der Via Ardeatina: jemand der überlebte. Leicht die Wege, Verschläge. Zwei grüne Brücken. Die Wege - Weiden.
Das Fliehen des fahrenden Blicks in eine wiederbelebende Höhe aus Zweig - Wolken, Pfahlrohr.
Wehenden Weiden.

(In diesem Gedicht kommt das Jahresende 99 vor,
eine Zeit, in der ich selbst tot war.)


Track 8: "Fosse Ardeatine"

Das Mausoleum der Fosse Ardeatine liegt am Rand des Gebietes der schwarzen Wiesen der Acqua Santa.
Als Eckpunkt, Eckstein. Unverzichtbar.
Als Schlussstein.
Hier ragt der grenzenlose Schrecken der Moderne in einen Landschaftsraum, der durch die Jahrtausende Schrecken gewöhnt ist.
Am 24. März 44 wurden in diesem Höhlensystem 335 in Rom willkürlich ausgesuchte Zivilisten von der SS als sogenannte "Sühnemassnahme" ermordet. Danach wurde der Zugang gesprengt um den Ort unkenntlich zu machen. Vergeblich.
Immer wieder kommt in den Erklärungen massgeblich der Name des Leutnants Kappler auf, er war Österreicher.
Der wiederkehrende Ekel (vor allem) dann.
Die 335 wurden (folgt man dem römischen Festkalender, den fasti), am Höhepunkt der jährlichen Kybele-Feiern ermordet, an dem Tag der in der Liturgie "sanguis", also Bluttag heisst, an dem von den Gläubigen blutige Selbstopfer, u.a. Kastrationen, der Grossen Göttin dargebracht wurden.
Die äusserste Perversion der Moderne, die auf den bizarren Kult einer versunkenen Antike trifft. Beide gemeinsam, addiert, ergeben nichts, Null, das Wiedernichts.
Unvergesslich der unmittelbare Todesort in den Höhlen.
Die Exekutionshöhle. Verzweiflung, äusserste Not und Sinnlosigkeit kannst du greifen!

Vor der jetzt im Abendnebel oszillierenden Gedenkstätte, eine Schafherde tritt auf und ab, entstand das letzte Sprech- und Wiesengedicht für diese Arbeit, ich habe es Friederike Mayröcker gewidmet, einer lieben Freundin und unerbittlichen Feindin des Todes.

DEINE SPIELENDE HAND IST ÜBERALL

(Mausoleum Fosse Ardeatine)

Was herabfällt von der Realität (von Riesen), es sei die Berührung von Toten, Rieseln zum Null - Punkt:
Nichts zu sein (Wiesen).
Weniger zu sein (Geld).
Politisch zu werden (greifbar in den Attacken des Verhassten, der Gegenspieler, des Gifts.)
Was wir tun mit den Rippen, verkohlten Armen und Beinen, und alles was wir nicht tun, was aufsteigt von einer morgendlichen Hyper - Realität, es sei die Wind - Berührung der Hecken, der Rippen - Bögen in den Gebüschen der Ermordeten, blutige Büschel der wiedergewonnenen Wiesen:
Deine spielende Hand ist überall.
Sie führt mich zurück zu den Toten.
Ihr Verknüpfen, Klären, ihr Voranschreiten gewinnt die letzten Ereignisse.

Geh von den Fosse Ardeatine auf die Wiesen der Acqua Santa zurück! Und in die Vorstädte danach!
Oder bleib für immer in den Höhlen. Wie du willst!
Die schwarzen Wiesen aber stehen senkrecht und fallen.
Du stürzt!
Wenn du dich weigerst, wirst du nicht zurückkehren.

"Zählen werden meine Zärtlichkeiten,
ich werde, nach dem Tod, im Frühling, der sein,
der die Wette gewinnt, in der Furie
meiner Liebe für die Acqua Santa unter der Sonne."

(P.P. Pasolini
"Mondäne Gedichte, 23.4.1962)