Sunday, 28. Februar 2010, 23:03 - 23:45, Ö1
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KUNSTRADIO - RADIOKUNST


 


„everything NO“

von tamtam (Sam Auinger / Hannes Strobl)

A COPY OF THIS PROGRAM CAN BE ORDERED FROM THE "ORF TONBANDDIENST"


Statement von Sam Auinger

Wie stellt man eine Mega-City wie Shanghai mittels Audioaufnahmen dar? Von dieser Unmöglichkeit handelt das Hörstück „everything NO“ von tamtam (Sam Auinger / Hannes Strobl) ebenso, wie es den Versuch darstellt, diese Stadt hörend kennenzulernen.

Im Mai 2009 besuchten die in Berlin lebenden Künstler Sam Auinger und Hannes Strobl für zwei Wochen Shanghai auf Einladung des dortigen Goethe Instituts. Anlass des Aufenthaltes war das Programm „Sprachklänge“ zu chinesischer und deutscher Literatur und Musik. Am 23. Mai 2009 spielten tamtam im Kulturraum eArts Shanghai ein Konzert zum Thema „Klang der Städte und Berlin“. Während ihres Aufenthaltes machten Auinger und Strobl eine Reihe von Stadtklangstudien und diversen Audioaufnahmen. Diese bilden das Grundmaterial für das Kunstradio-Stück „everything NO“. Der Titel bezieht sich dabei auf eine Anekdote: auf einer Einkaufsstraße wehrten Auinger und Strobl die aufdringlichen Straßenverkäufer erfolgreich ab, indem sie sämtliche Angebote ablehnten, woraufhin eine Beobachterin meinte: „You: everything NO!?“.



Die Field Recordings stellten für die beiden Künstler einen Weg dar, in die Stadt und ihre Straßenkultur einzusteigen. Die Bewohnerzahl Shanghais hat sich in zwei Jahrzehnten auf rund 28 Millionen vervielfacht, überall wird gebaut, Hochhäuser mit 50 Stockwerken und mehr werden innerhalb weniger Monate hochgezogen, alte Stadtteile abgetragen. Shanghai ist eine Stadt, die für Neuankömmlinge schwer in den Griff zu bekommen ist. Zu den für europäische Verhältnisse ungewohnten klanglichen Stadterfahrungen gehört auch, dass „jeder Art von Tätigkeit, die man verrichten kann, an jedem Ort zu jeder Zeit gleichzeitig gemacht wird“, so Sam Auinger. Man geht durch eine noble Einkaufsstraße, da fährt ein Schrotthändler mit einer Handglocke vorbei, gleichzeitig sitzen Leute im Pyjama auf der Straße und spielen Mah Jong oder bereiten Speisen zu. „Wir sind daher je nach Stimmung sehr gelassen und präzise unseren Aufnahmen nachgegangen“, sagt Auinger, „waren aber manchmal von der Situation überfordert und gestresst.“ Dies kommt im Hörstück insofern zum Ausdruck, als Passagen, die von Aufnahmesessions normalerweise weggeschnitten werden, also Besprechungen, Überpegelungen oder Verzerrungen, als konterkarierende, zweite Spur stehen bleiben.

Verarbeitet werden in „everything NO“ akustische Phänomene, die den Künstlern während ihrer Stadtklangstudien auffielen. So wird etwa der urbane Verkehr nicht, wie in Europa, vorwiegend durch Ampelanlagen geregelt, sondern organisiert sich in Wellenbewegungen selbst: der Linksverkehr fließt rein, während langsam der Rechtsverkehr wieder rausfließt. Das Resultat ist, dass es an Kreuzungen nicht ein kollektives Gasgeben und Abbremsen gibt, sondern dass der Autoverkehr in einem konstanten Fluss bleibt, wenn auch mit viel Gehupe.

Auffällig war auch die Vorliebe (und das soll vor allem ein Shanghai-Phänomen sein) für biependes Elektrospielzeug, das an allen Ecken zu hören ist. Dennoch waren Auinger und Strobl nicht auf der Suche nach solchen spektakulären Klängen, sondern lassen sich vielmehr von Himmelsrichtungen, Stimmung und Interesse durch die Stadt leiten. So besuchten sie etwa eine Container-Siedlung, da sie wissen wollten, wie die Bauarbeiter leben, oder sie folgten den Routen der Schrotthändler durch die Stadt. So laut und mit akustischen Ereignissen überfrachtet Shanghai auch sein mag, was fehlt ist die permanente Lärmbelästigung von oben: anders als in europäischen Großstädten wird in Shanghai der Flugverkehr umgeleitet. Man bleibt daher von dieser für Auinger völlig informationslosen und daher uninteressanten Geräuschkulisse verschont.

Links:
http://www.netzradio.de/tamtam
http://www.shearts.org

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