Sunday, 10. Oktober 2010, 23:03 - 23:45, Ö1
[ ENGLISH ]

KUNSTRADIO - RADIOKUNST


 



„not by note“ 

live vom musikprotokoll im steirischen herbst 2010 aus Graz


A COPY OF THIS PROGRAM CAN BE ORDERED FROM THE "ORF TONBANDDIENST"


„not by note“ ist eine on-site on-air on-line Radioperformance mit Musikern und Musikerinnen aus dem Nahen Osten und aus dem ehemaligen Jugoslawien. In einem einwöchigen Workshop haben die von Sebastian Meissner und Serhat Karakayali eingeladenen Künstler gemeinsam eine psychogeografische Partitur erarbeitet, die das Beziehungsgeflecht zwischen den beiden Regionen und dem Westen Europas kritisch beschreibt. Der heutige Abend, live aus der Grazer Helmut-List-Halle auf Ö1 übertragen, bildet den Schlussakkord des Projektes, einer Auftragsarbeit des musikprotokolls im steirischen herbst.

In der Grazer Helmut-List-Halle spielt Sebastian Meissner (Electronics) mit folgenden Musikerinnen und Musikern via Live Stream: Boikutt (PAL), Dror Feiler (S), Manja Ristić (SER), Asmir Sabić (BiH) und Cynthia Zavan (LB). Von Amir Husak (USA/BA) kommen die Visuals und mur.at ist für die Live-Streaming Technik zuständig.

Link:
http://musikprotokoll.orf.at/de/werk/not-by-note-installation

„Das erste, worüber die TeilnehmerInnen des Workshops not by note, MusikerInnen aus dem ehemaligen Jugoslawien einerseits, und aus dem Nahen Osten andererseits, diskutierten, war die Frage: Wieso einen Workshop ausgerechnet in dieser ethnisch gesäuberten Geisterstadt? Die Idee dazu entstand auf der Basis des Projekts Lost Spaces, das sich mit der Geschichte der Zerstörung und des Wiederaufbaus der Ferhadija Moschee in Banja Luka beschäftigte (eine Auftragsarbeit des musikprotokoll 2008). Das Projekt war damals die Reaktion auf eine weitverbreitete kuratorische Praxis, nämlich die MusikerInnen aus dem so genannten Nahen Osten als Frie- ensbotschafterInnen auf europäische Festivals einzuladen, ohne dabei einen Gedanken an die Rolle Europas in diesem Konflikt zu verlieren. not by note ist insofern eine Weiterführung dieses Projekts, als MusikerInnen aus jener Region eingeladen wurden, den Blick umzukehren und auf einen Teil Europas zu lenken, der als „Balkan" zuweilen selbst aus dem zivilisierten Abendland ausgebürgert wird.
 
Die Umbenennung aller Straßennamen und die Vernichtung der Gotteshäuser durch die serbischen NationalistInnen waren Aktionen, mit denen die Vergangenheit ausradiert, ungeschehen gemacht werden sollte. Nichts sollte an „die Anderen" und die eigenen Verbrechen mehr erinnern. Aber auch der Versuch der muslimischen Gemeinde, diese Zerstörung ungeschehen zu machen und die Moschee heute mit originalen Steinen wieder zu errichten, zeugt von einem ähnlichen Verständnis, nur dass diesmal die Schrift des Verbrechens ausradiert werden soll.
 
Die Aktionen der NationalistInnen, genauso wie die Reaktion der Minderheiten behandeln den sozialen und geografischen Raum wie ein Whiteboard, auf dem man die Inschriften beliebig wegwischen und ersetzen kann. In dem Workshop ging es darum, die Stadt eher als ein Palimpsest zu betrachten, gleich jenen antiken Papyrus-Schriftstücke, auf denen trotz mehrfacher Überschreibung die Spuren der alten Schriften noch zu sehen sind. Dass sich die Vergangenheit nicht ohne Weiteres ausstreichen lässt, zeigt sich an den ca. 1 Million Landminen, die heute in Bosnien-Herzegowina liegen, welche die MusikerInnen als Ausgangspunkt ihrer Arbeit über die Politik der Überlagerung genommen haben.
 
Der Workshop not by note konzentrierte sich zum einen auf jene soziale und politische Machttechnologie, zum anderen auf die Frage, wie man solche Themen in eine musikalische Sprache übersetzen könnte, ob dies etwa mit Verfahren des Mapping und der Psychogeographie zu bewerkstelligen sei. Die öffentlichen Interventionen, die im Rahmen des Workshops in Banja Luka stattfanden – Citywalks, Diskussionen, Konzerte und Begegnungen mit BewohnerInnen der Stadt – waren zugleich der Versuch, der organisierten Verdrängung etwas entgegenzusetzen.“

[TOP]



PROGRAM
CALENDAR