Sonntag, 24. Juli 2011, 23:03 - 23:45, Ö1
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KUNSTRADIO - RADIOKUNST





„Le Crachecophage“

von Jocelyn Robert und Laetitia Sonami


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Die beiden Radiokünstler Jocelyn Robert (Quebec) und Laetitia Sonami (Los Angeles) vervollständigen mit einem Auftragsstück fürs Ö1 Kunstradio eine Werktrilogie, die sich mit dem Konzept der Silhouette befasst: Die Silhouette eines Gegenstands kann unschwer ausgemacht werden – was sind aber die Konturen von Film, Text und Stadt?

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general concept Statement zum Konzept der Trilogie (englisch)

„Der Werkreihe liegt das Konzept der Silhoutte zugrunde. Um es zu veranschaulichen: Man kann seine Hand zeichnen, wie das in der Schule geübt wird – man könnte aber auch den Rest des Raumes zeichnen, also alles sonstige, bis auf die Hand. Die Hand wäre immer noch in der Zeichnung enthalten, obwohl sie ausgelassen wurde.
Wir fragten uns also: was ist alles außer einem Film? Was definiert das Außenliegende? Daraus entstand das erste Stück, Le Crachecophage.
Film ist ein zeitbasiertes Medium, die Herangehensweise ist also einfach, man hält sich einfach an den Zeitablauf. Wie funktioniert die Silhouettierung aber bei einem Text, der freilich einer ganz anderen Zeitlichkeit folgt? Das versuchten wir im zweiten Teil, Les Scaphandres, akustisch festzuhalten.
Schon ganz zu Beginn dachten wir, es sollte drei Teile geben: ein Film, ein Text und dann noch ein Ort. Auf die Gelegenheit warteten wir lange, und nun ist es in Wien soweit gewesen.”

Für den ersten Teil, „Le Crachecophage“, haben Jocelyn Robert und Laetitia Sonami 1999 einen Film ausgewählt, und – unabhängig voneinander – eine Reihe von Soundtrack-Zusätzen dazu komponiert. Erst im Studio wurden die Fragmente zusammengeführt. Um welchen Film es sich handelt, wollen Robert und Sonami nicht angeben. Es gäbe jedoch Hinweise, wenn man genau hinhört, sagen sie.

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crachecophage Statement zu Le Crachcophage (englisch)

“Für Crachecophage ist der Entstehungsprozess von Bedeutung: Wir haben uns für einen Film entschieden – welcher, spielt keine Rolle und wird daher auch nicht verraten – und haben getrennt voneinander mit der Silhouettierung begonnen, also Ideen gesammelt. Ein Beispiel: Im Film steht ein Mann an einer Bushaltestelle und wartet. Wir meinen, ah, das könnte doch ein kleines Geräusch vertragen – was das ist und ob es dazukommt, ist aber freilich reine Interpretation. Füllt man damit ein Negativ, also die Leere? Oder ergänzt man die Situationsstimmung des Wartens? Man kann es auf verschiedene Arten lesen, aber es gehört doch irgendwie zum Film dazu.
Ein vorgebener Parameter war natürlich die Zeit des Films, an die wir uns hielten. Offen war hingegen, ob wir dokumentieren, illustrieren, assoziieren – oder uns ganz von dem Film loslösen. In Crachecophage ließen wir letztendlich auch Text einfließen, der direkt von dem Film inspiriert war. Alle Möglichkeiten standen uns offen.”

In einem Gespräch, das anlässlich der Fertigstellung des dritten Teils der Reihe in Wien stattfand, stellten Sonami und Robert auch Überlegungen über den Bezug ihrer Arbeiten zum Radioraum an, und wie sich dieser auf die Rezeption ihrer Soundstücke auswirkt.

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radio Statement zu Radio und Radioraum (englisch)

“Wir bewegten uns zwischen verschiedenen Raumtiefen. Manchmal hört man einen Gegenstand ganz nah, und manchmal ist er entfernt. Oder man hört die Rückabdeckung des Lautsprechers, das Geräusch entsteht also direkt in dem Raum, wo sich der Hörer befindet. Eine Stimme spricht dicht am Mikrophon und ist über den Kopfhörer fast im Kopf drinnen, oder sie spricht weiter davon entfernt, man hört also auch die Darstellung des Raumes dazwischen. Durch das Radio werden all diese Tiefen durch einen Kanal geschickt und dann, durch die Übertragung über Lautsprecher, lösen sie sich wieder in einem anderen Raum auf.
Wir haben das Potential eines leeren Raumes besprochen, eines Containers, eines Raumes, wo etwas geschehen kann, und uns hat interessiert, was passiert, wenn wir nur das Außen oder die Grenzen darstellen. Der Begriff eines Möglichkeitsraumes kommt auch dem Radio sehr nahe: etwas passiert oder auch nicht.
Und noch etwas ist wichtig: Wenn man einen Film ansieht, dann läuft er vom Anfang zum Ende vor dem Auge des Betrachters ab. Dem gibt es keine räumliche Entsprechung, denn wenn man sich durch den Raum bewegt, lässt man gezwungenermaßen alle anderen Wege aus, sich zu bewegen. Auch beim Radio kann man nicht zurückspulen, denn es ist keine CD. Radiohören bedeutet, sich dem einen Kanal und dem Moment zu verpflichten, einem Punkt in der Zeit. Das ist schwierig, und manchmal auch schmerzhaft. Radiohören ist eine Entscheidung, die man trifft und zu der man stehen muss.”

Jocelyn Robert lebt in Quebec, und Laetitia Sonami, geboren in Frankreich, lebt seit langem in Los Angeles. Über die Zusammenarbeit an der Trilogie, die sich nun über zehn Jahre gezogen hat, wenn auch mit Unterbrechungen, erzählen sie nur Bestes.

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collaboration Statement zu Kollaborationen (englisch)

Jocelyn Robert: „Ich arbeite wahnsinnig gerne mit anderen zusammen, weil ich gerne meine Meinung ändere, wenn man mir etwa sagt, dass ich falsch liege und es auch andere Lösungen gibt. Laetitia und ich denken auf ganz andere Weisen. Ich war früher Architekt und ging vom Großen, etwa dem Baugrundstück, hin zum Detail, dem Gebäude oder dem Badezimmer. Laetitia ist wie eine Juwelierin, wenn Sie mit Sound arbeitet. Sie findet einen funkelnden Edelstein und bewundert ihn von allen Seiten. Es ist dann nur drei Sekunden kurz, das Soundschnippsel – aber perfekt! Darum herum baut sie dann weiter, fügt andres wertvolles Kleinod hinzu. Wir haben also ganz gegensätzliche Ansichtsweisen von der Welt und davon, wie man diese nachbaut.“
Laetitia Sonami: „Ich arbeite selten mit anderen zusammen. Außerdem mache ich nicht  gerne Aufnahmen und stelle dann Soundprojekte fertig – ich trete lieber live auf. An der Arbeit mit Jocelyn gefällt mir das Grundvertrauen, das wir haben: Er denkt zwar ganz anders, aber das akzeptiert man und schätzt es, deswegen arbeiten wir ja zusammen. Niemand muss sein Territorium verteidigen oder seine Vision durchsetzen – das ist großartig.”

"Le Crachecophage" ist eine Koproduktion des Kulturkanals des kanadischen Rundfunks und der von Jocelyn Robert mitinitiierten Künstlerplattform AVATAR, 1999.

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CD Le Crachecophage


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