Nobody listens to radio. What loudspeakers or
headsets provide for their users is always
just radio programming, never radio itself.
Only in emergencies, when broadcasts are
interrupted, announcers’ voices dry up or
stations drift away from their proper

frequencies, are there any moments at all
to hear what radio listening could be about.

Friedrich Kittler, On the Air, 1993






in memoriam Friedrich Kittler (1943 – 2011)


1988 beim Steirischen Herbst fand das erste vom Kunstradio organisierte Symposium “zur Theorie und Praxis der Radiokunst” statt. Es hatte den Titel “With the Eyes Shut – Bilder im Kopf”. Eingeladen waren - wie auch zu späteren Kunstradio Symposien - KünstlerInnen und TheoretikerInnen. Unter letzteren befand sich Friedrich Kittler.
Die erste Überraschung war, daß er, der “Professor” wie er beim Kunstradio viele Jahre lang genannt wurde, so ganz ohne Umstände bereit war, am ersten Symposium einer kleinen Radiokunst Sendung, die erst im Jahr zuvor gegründet worden war, teilzunehmen. Friedrich Kittler, vor dem ich mich eigentlich etwas fürchtete, erwies sich als ein sehr liebenswerter und liebenswürdiger Mensch, aber eben einer, der über ein ungewöhnlich großes, tiefes und breites Wissen verfügte, über eine bewunderswerte Formulierungskunst und Geistesschärfe, der auch Ironie und Poesie nicht fremd waren. Und, wie sich herausstellte, die Fähigkeit und Bereitschaft zu freundschaftlicher Treue. Denn nach  diesem ersten Symposium kam er zu weiteren, die das Kunstradio im Laufe der Jahre veranstaltete. 1997 bei “Recycling the Future IV” in Wien, der letzten größeren Veranstaltung dieser Art, hielt er eine sehr persönliche kleine Rede zu 10 Jahre Kunstradio.

Das ungewöhnlichste Projekt, an dem der “Professor” teilnahm, wurde von dem Schweizer Künstlerpaar Bruno Beusch und Tina Cassani konzipiert, organisiert und schließlich am 21./22. Juni 1992 realisiert. Insgesamt 13 KuratorInnen von Kunst und Kulturinstitutionen, RundfunkredakteurInnen und Tonmeister und Friedrich Kittler, folgten der ungewöhnlichen Einladung von Beusch/Cassani zu einem “Besuch in S.”  Sie nahmen dazu z.T. langwierige Zugreisen mit unbekanntem Endziel irgendwo in West-Frankreich in Kauf, um in S. u.a. geheimnisvolle “T.sche Bestände” zu besichtigen, die es dann so gar nicht gab.
Es stellte sich heraus, dass der von der Abholung am in der Einladung genannten Bahnhof bis zur Abreise auf Tonband mitgeschnittene “Besuch in S.” selbst die Sammlung war samt den Zeichnungen, die Tina Cassani während des Aufenthaltes in einer alten Landvilla mit verwildertem Garten herstellte. Die Aufzeichnungen wurden nach dem eigentlichen Besuch in S. von Beusch/Cassani bearbeitet und bildeten das Material für Ausstellungen bzw. Präsentationen im Helmhaus Zürich, in der Kunsthalle Luzern, im Schweizer Kulturzentrum in Paris und schließlich in der Wiener Secession. Dazu erschien ein akustischer Führer durch eine 40-minütige Ausstellung in Katalogform und einer CD. Für jede der unter den Besuchern in S. vertretenen Rundfunkanstalten, den Schweizer, den Französischen und den Österreichischen Rundfunk, gab es zudem im September bis November 1992 eine eigene Live-Sendung mit Material aus den Äußerungen der Besucher in S. samt einigen Hinzufügungen aus den “Beusch-Cassanischen Textbeständen”.

Unter den Äußerungen der Besucher in S. finden sich selbstverständlich auch solche von Friedrich Kittler:

….Es ist doch sehr auffällig, dass niemand mehr spricht, sobald hier die Batterien ausgetauscht werden müssen. Also irgendwohin werden unsere Worte doch abgesaugt. Und wenn Beusch/Cassani dann montieren, dann montieren sie auch hinein in ein Medium, das niemandem von uns gehört und dessen Verwendungszweck viel weiter ist als alles, was mit Kunst beschrieben werden hätte können. Also Kunst ist es bestimmt nicht. Es ist ein verzweifelter Versuch, Diskurse würde ich auch nur noch zögernd sagen, etwas von dem was früher mal Kommunikation, Menschen, Sprachen, reden, Nachrichten waren, trotz allem hinüberzubringen in dieses seltsame Reich aus Silizium und Hochfrequenzwellen, das absolut nicht für uns gemacht ist. In einer Bahnhofshalle steht ein Huhn, und das Huhn gehört da nicht hin, weil die Bahnhofshalle nicht für es gebaut ist – und so ähnlich ist unsere Lage angesichts der Mikrofone….

Am 2. Februar 2011 während der Transmediale besuchte ich gemeinsam mit Elisabeth Zimmermann den “Professor” in seiner Wohnung in Berlin. Wir verbrachten einen zauberhaften Abend mit ihm in seinem Wohnzimmer, in dem es einige wenige Hinweise auf  Kittlers Liebe zur Musik von Jimi Hendrix gab und in einem Regal, dicht an dicht, seine Sammlung von Aufzeichnungs- bzw Wiedergabegeräten. Diese Sammlung war zu diesem Zeitpunkt bereits für das Literaturarchiv Marbach bestimmt. Friedrich Kittler sprach noch darüber, daß er für eine für 2012 geplante Kunstradio Publikation einen kleinen persönlichen Text zum unvergessenen “ Besuch in S.” verfassen wolle. Der Abschied vom “Professor” fiel schwer. Es lag bereits der Hauch von Endgültigkeit darüber.

Heidi Grundmann


Friedrich Kittler Beiträge zu Ö1 Kunstradio Symposien und Publikationen: