Sonntag, 26. Februar 2012, 23:03 - 23:59, Ö1
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KUNSTRADIO - RADIOKUNST




25 Jahre Kunstradio

Teil 2: Vernetzte Projekte 1


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Anlass für diese Reihe zur Geschichte der Radiokunst im ORF ist ein Jubiläum: heuer wird das Kunstradio 25 Jahre alt, und wir möchten Entwicklungen und Tendenzen darlegen, die das Kunstradio über diesen Zeitraum – und schon vor der Gründung –  geprägt haben. Dazu gehören Vernetzungsstrukturen, die Künstler teilweise mitentwickelten, und Technologien, die sie sich aneigneten, um miteinander ortsungebunden zu kommunizieren. Und das bevor das Internet aufkam und Vernetzung völlig neu definierte. Die Sendungen zur Geschichte der Radiokunst auf Ö1 werden gemeinsam mit Heidi Grundmann und mit der Künstlerin Andrea Sodomka zusammengestellt, die beide ihr Fachwissen und Material zur Verfügung stellen.

Ausgehend von der Mail Art, die das Postsystem als tragendes Netzwerk und Raum nutzte, begannen Künstlerinnen und Künstler sich anderer Systeme zur Kommunikation zu bedienen. Das Repertoire an Möglichkeiten erfuhr mit der technologischen Entwicklung ständige Erweiterungen: zum Telefon kamen Fax, Videoübertragungen und Vorformen von Emails und Chats hinzu. Der Medienkunst-Pionier Robert Adrian hat den elektronischen Raum immer als skulpturalen Raum begriffen, als Kommunikationsskulptur, die existiert sobald die Verbindung hergestellt ist.

Robert Adrian stammt aus Kanada und lebt seit Anfang der 1970er Jahre in Wien. Bei einem Media Art Event traf er 1978 auf den Künstler Bill Bartlett, ebenfalls Kanadier, der in Victoria, der auf Vancouver Island gelegenen Hauptstadt der Provinz British Columbia, einen Artist-run-space leitete. Bartlett arbeitete von dort aus an sogenannten Telekommunikationsprojekten. Es ging ihm dabei vor allem um Alternativen zu den Kommunikations-, Produktions- und Distributionskanälen des etablierten Kunstbetriebes. Bartlett war es gelungen, die Timesharing Firma I.P.Sharp für Telekommunikations-Kunstprojekte zu gewinnen. Das hieß, dass interessierte Menschen – nicht nur Künstlerinnen und Künstler – in jenen Städten rund um die Welt, in denen I.P.Sharp Büros unterhielt, via Telefon zum Ortstarif Zugang zu einem internationalen Computernetz mit einem Zentralcomputer in Toronto finden konnten. IP Sharp war eigentlich wie Email, und man konnte sogar – mit der Conference Funktion – chatten. Der Vorteil vom I.P. Sharp System war, so die Radiojournalistin und Kunstradio-Gründerin Heidi Grundmann, dass die Benutzung für Künstler erschwinglich war.

1979 veranstaltete Bill Bartlett das Projekt „Interplay“. Mit den Künstlern Robert Adrian und Richard Kriesche als Beteiligte in Österreich, war es das erste international vernetzte Kommunikationsprojekt, an dem auch Künstler von Europa aus teilnahmen. Adrian und Kriesche kommunizierten vom IP Sharp Büro in Wien mit Künstlern an anderen Orten, die IP Sharp Niederlassungen hatten, in Canberra, Edmonton, Houston, New York, Toronto, Sydney und Vancouver. Unterdessen saß Heidi Grundmann gemeinsam mit dem Leiter des Wiener Büros von IP Sharp im ORF Studio, von wo aus „Interplay“ live im Radio gesendet wurde – damals in der Vorläufer-Sendung des Kunstradios, in Heidi Grundmanns Sendung „Kunst heute“. Rückblickend meint sie, dass die Live-Sendung für die Hörerinnen und Hörer ein einziges Rätsel gewesen sein muss. „Leider“, sagt Grundmann, „ist die Sendung nicht aufgezeichnet worden. In dem Stress und im Eifer des Gefechts wurde vergessen, auf den Aufnahmeknopf zu drücken.“

1979, als Interplay stattfand, war auch das Jahr, in dem einige wichtige internationale Künstler nach Österreich kamen, um an der Ausstellung Audio Scene 79 teilnehmen, in deren Rahmen auch ein Symposium und Performances stattfanden. Dabei war auch der kanadische Künstler Hank Bull, der sich nach der Mail Art dem Radio als Raum und Medium seiner Kunst zugewandt hatte. In seinem Vortrag bei der Audio Scene 79 erklärte Hank Bull, dass Radio, wie jede sogenannte „Intermedia Art“, die Kunstwelt, die normalerweise zwischen dem Künstler und dem Publikum vermittelt, umgeht. Die internationale Kommunikation zwischen Künstlern sei ein wichtiges Netzwerk. Zurück in Vancouver, begann Hank Bull mit Wiener Künstlern wie Robert Adrian zu kommunizieren. Bull hatte die Idee zu Wiencouver, einer virtuellen Stadt im elektronischen Raum zwischen Wien und Vancouver. Unter diesem Label fanden in den 1980er Jahren einige Telekommunikationsprojekte statt, und noch heute wird die Wiencouver-Verbindung etwa im Rahmen der jährlichen Art’s Birthday Feiern aufrecht erhalten.

Gemeinsam mit dem Wiener Büro von IP Sharp entwickelte Robert Adrian, einer der Protagonisten von Wiencouver, im Anschluss an „Interplay“ ein einfaches Kunst-Austausch-Programm mit dem Namen ARTEX. Das steht für Artist’s Electronic Exchange Network. Einfach in der Handhabung und günstig im Betrieb, ermöglichte ARTEX neue Produktionsformen. Eine verteilte Autorenschaft konnte dauerhaft den experimentellen ARTEX-"Raum" für künstlerische Praktiken nutzen. Mitglieder der »ARTEX-Community« organisierten im Laufe der 1980er Jahre internationale Telekommunikationsevents, die Entwicklungen der 1990er Jahre vorwegnahmen.

1982 verwirklichte Robert Adrian mithilfe des ARTEX Netzwerks im Rahmen der Ars Electronica das Projekt „DIE WELT IN 24 STUNDEN“ für Telefax, Slowscan TV und Computer. Dieses Projekt, ein Teil der virtuellen Stadt Vancouver, verband Künstler und Künstlerinnen in fünfzehn Städten auf drei Kontinenten 24 Stunden lang miteinander. Jede Station wurde von Linz aus angerufen und zwar immer um 12 Uhr Ortszeit, der Mittagssonne um die Welt folgend, und eingeladen, Arbeiten, Improvisationen und Statements in den jeweils verfügbaren Medien auszutauschen. Die meisten Stationen verwendeten mehr als ein Medium, manche setzten alle Medien simultan ein.

Gemeinsam mit Helmut Mark, Zelko Wiener, Karl Kubacek und Gerhard Taschler gründete Robert Adrian 1983 die Gruppe BLIX. Das erste einer Reihe von gemeinsamen Projekten war die „Telefonmusik“, organisiert 1983 zwischen Wien, Berlin und Budapest. „Telefonmusik“ war ein Versuch, das Telefon – das damals am einfachsten einsetzbare elektronische Kommunikationsinstrument – dazu zu verwenden einen gemeinsamen Raum für Künstler zu schaffen, der die ideologischen Barrieren, die Europa trennten, aufheben sollte. Ein Raum zwischen dem „westlichen“ Wien, dem geteilten Berlin und Budapest im Ostblock. Im gleichen Jahr fanden noch andere Telefonmusiken statt. Zum Beispiel zwischen Wien und Vancouver, benannt Wiencouver 4. Als neue Technologie kam hier noch Slow Scan Television hinzu, eine Form der Bildübertragung über die Telefonleitung.

Das Projekt Wiencouver 4 wurde ebenfalls 1983 von Robert Adrian initiiert, der in Vancouver artist in residence der Organisation Western Front war. Hank Bull, Künstler und Mitbetreiber der Western Front, lud Künstlerinnen und Künstler ein, in Vancouver Performances zu machen und Konzerte zu spielen, darunter Gerald Jupitter-Larsen und Mona Hatoum. In Wien hatten sich, unter der Leitung von Helmut Mark, zur gleichen Zeit Künstler wie Heimo Zobernig, Marcus Geiger, Max Dühlmann und Richard Fleissner, die als Halofern auftraten, vor Publikum versammelt. Anders als ähnliche Projekte, ist dieser künstlerische Austausch zwischen Wien und Vancouver im Jahr 1983 in einem zusammengeschnittenen Video gut dokumentiert. Abwechselnd gab es Performances in Wien und Vancouver, die über Videomonitore an beiden Orten gesehen und gehört wurden. Adrian bezeichnet es als Versuch, mit Telefon eine Fernsehsendung zu machen, und das mit relativ einfach Mitteln.

Gegründet wurde die Sendung Kunstradio-Radiokunst 1987 von Heidi Grundmann als Ort für Kunst. Bei der Durchführung größerer Medienkunst-Projekte suchte das Kunstradio die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen. Es galt, Partner im Kulturbetrieb, bei der Kunstförderung und in den Landesstudios des ORF selbst, zu suchen. 1989 arbeitete das Kunstradio zum ersten Mal mit dem Linzer Ars Electronica Festival und dem Landesstudio Oberösterreich zusammen. Zum Festival-Thema "Im Netz der Systeme" wurde ein Radiokunstschwerpunkt entwickelt, der den Themen Live-Radiokunst, Simultaneität, Vernetzung, Interaktivität und Hörerbeteiligung gewidmet war. In der "Langen Nacht der Radiokunst" auf Österreich 1 wurden Projekte realisiert, die sowohl per Telefon als auch mithilfe einer interkontinentalen Live Stereo-Schaltung aufgeführt wurden. Eines der Projekte war Hank Bull’s "The last words of Gertrude Stein". Die Radiohörerinnen und –hörer wurden aufgefordert, über Telefon einen Beitrag zu leisten und zwar in Form von Fragen. Diese wurden aber nicht beantwortet, sondern zu einem Chor von Fragen in verschiedenen Sprachen gemischt.

Im Herbst 1989 veranstaltete das Kunstradio ein „Symposion zur Theorie und Praxis einer Kunst im elektronischen Raum. Am Beispiel der Radiokunst“ mit dem poetischen Projekttitel „Geometrie des Schweigens“. Neben einem theoretischen Teil mit Referaten, Statements und Diskussionen, bestand das Projekt aus Vorführungen, Performances und Installationen. Diese wurden teilweise live im Radio gesendet. Veranstaltungsorte waren das Landesmuseum Ferdinandeum in Innsbruck und das Palais Lichtenstein in Wien, wo damals das Museum moderner Kunst untergebracht war. Verbunden waren sie über eine digitale Leitung.

Heidi Grundmann gründete gemeinsam mit Künstlerinnen und Künstlern den Verein Transit, um vernetzte Projekte und Ausstellungen zu realisieren. Eines dieser Projekte, das später für den renommierten Radiopreis Prix Italia nominiert wurde, war Chipradio von 1992. Die drei baugleichen Foyers der Landesstudios Salzburg, Innsbruck und Dornbirn wurden vernetzt. Künstlerinnen und Künstler verwendeten die vorgefundene Infrastruktur der Daten-, und Übertragungsnetze zwischen diesen drei Studios als Instrument für ihre Interaktionen.
Wieder dabei war mit Mia Zabelka, die in Salzburg über Körperinterfaces eine Robotergeige in Innsbruck steuerte. Gerfried Stocker in Innsbruck spielte über Datenhandschuhe Kesselpauken in Salzburg und telematische Marimba in Dornbirn. Andres Bosshard, der die Klangregie innehatte, interagierte in Dornbirn mit dem Sprecher in Innsbruck und steuerte die Mischung von Raumakustik und Sendesignal. Mittels vereinbarter Zeichen steuerten die Musiker den Ablauf der Performance. Zusätzlich zu den drei Netzebenen, also Video-, Audio-, Datennetz, konnten sich die MusikerInnen über eine eigene Tonleitung miteinander verständigen, die dem Sendesignal zugemischt werden konnte. Über die Raummikrophonierung von Andres Bosshard wurde die gesamte räumliche Situation an die jeweils anderen Orte weitergegeben. Die physischen Entfernungen wurden durch diese Vernetzungen durchlässig. Die Musikerinnen und Künstler agierten– wie es Gerfried Stocker ausdrückte – über die Tiefe der geographischen Entfernungen hinweg in einem Raum, der keine andere Grenze kennt, als die der Ausbreitungsgeschwindigkeit der elektromagnetischen Wellen. Die Live-Performances wurden in Ö Regional simultan übertragen. Zeitlich versetzt waren sie am 1. Oktober 1992 im Kunstradio auf Ö1 zu hören.

Im Jahr darauf, 1993, folgte die Fortsetzung von „Chipradio“ – erweitert um eine mediale Ebene: das Fernsehen. Wie „Chipradio“ war auch „Realtime“ eine  Kollektivkomposition mehrerer Künstlerinnen und Künstler, die in den nun auch über das Fernsehen vernetzten ORF Landesstudios Innsbruck, Linz und Graz gemeinsam spielten. Für die Visualisierung der Interaktionsprozesse zwischen den Akteuren wurden eigene Körperinterfaces und Roboter entwickelt und gebaut. „Realtime“ produzierte zwei Live-Sendungen, die parallel in Radio und Fernsehen ausgestrahlt wurden. Realtime im Radio war aber nicht die Stereoversion des Fernsehtones, und Realtime am Fernseh-Monitor nicht einfach das Bild zum Ton, sondern die beiden normalerweise getrennten Senderäume des Fernsehens und des Radios bildeten einen gemeinsamen, vernetzten Raum für das Konzert. Die eigentliche "Bühne" von REALTIME war der "telematische Raum" der Kommunikations- und Sendemedien. Der Künstler Andres Bosshard meint, es war eine eigene neue Art der Kommunikation. Es sei ein Irrtum zu meinen, diesen Raum, den die Vernetzung eröffnet, müsste man verstehen – es ginge darum, zu schwimmen in dem vernetzten Kreislauf. Genauso wie man das Schwimmen im Wasser erst ausprobieren muss, bevor man wem anderen erklären kann, was es ist.

Links:
http://kunstradio.at/HISTORY/AUDIOSCENE/
http://kunstradio.at/HISTORY/TCOM/

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