Sonntag, 2. November 2014, 23:03 - 23:59, Ö1

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KUNSTRADIO - RADIOKUNST


 


 


Herbeck extended

Radiophones Hörstück für Ernst Herbeck


von Karlheinz Essl



Übertragung in 5.1 Surround Sound


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Das Leben

Das Leben ist schön
schon so schön als das Leben.
Das Leben ist sehr schön
das lernen wir; das Leben;
Das Leben ist sehr schön.
Wie schön ist das Leben.
Es fängt schön an das Leben.
So (schön) schwer ist das es auch.



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Ernst Herbeck war jahrzehntelang Patient der Landesnervenheilanstalt in Maria Gugging. Dort begann er, auf Anregung seines Arztes Leo Navratil, Gedichte zu schreiben. Der Komponist Karlheinz Essl arbeitet mit erhaltenen Sprachaufnahmen des Dichters und entwickelt ausgehend vom Leben und Werk des Dichters eine Radioperformance, die in 5.1 Surround Sound übertragen wird. Im Kunstradio kommt Essl auch selbst zu Wort und berichtet über seinen persönlichen Bezug zu Ernst Herbeck.


Foto: Residenz Verlag

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„Während meiner Schulzeit hatte ich mir 1979 ein Buch gekauft, das mich nachhaltig beeindruckte: ‚Alexanders poetische Texte‘, herausgegeben von Leo Navratil, dem damaligen Primararzt des psychiatrischen Krankenhauses in Gugging. Die dort veröffentlichten Gedichte eines Schizophrenie-Patienten (dessen Anonymität später auf eigenen Wunsch aufgehoben wurde), haben auch heute nichts von ihrer rätselhaften Wirkung eingebüßt: lyrische Psychogramme einer sensiblen Seele, die zwar schreiben, sich aber aufgrund einer Behinderung sprachlich kaum artikulieren konnte. Es ist bemerkenswert, dass diese Gedichte nicht aus freiem Antrieb, sondern in gehorsame Pflichterfüllung gegenüber seinem verehrten (und gefürchteten) Arzt entstanden sind, also zunächst aus rein therapeutischen Gründen.

Ernst Herbeck – so sein richtiger Name – habe ich zu einer Zeit gelesen, als ich mich mit den Sprachexperimenten der Wiener Gruppe beschäftigte und in mir der Wunsch reifte, selber Künstler zu werden. Dass ich später Komponist werden sollte, war damals noch nicht abzusehen. Stattdessen spielte ich in einer Rockband und veranstaltete mit Gleichgesinnten sogenannte klapperatistische Aktionen. Herbecks Gedichte waren damals unser Vademecum, neben Texten der Dadaisten und E.T.A. Hoffmanns.

Ende 2013 erhielt ich von Johann Feilacher, dem Nachfolger Leo Navratils und Betreuer der Gugginger Künstlerkolonie, eine Tonbandkassetten mit Aufnahmen, die er in den 1980er Jahren von Ernst Herbeck gemacht hatte. Sie enthält eine Vielzahl seiner Gedichte in bescheidener, aber durchaus brauchbarer Klangqualität. Dennoch war ich schockiert, als ich nun zum ersten Mal die Stimme des verehrten Dichters hörte: Unter größten Anstrengungen presste Herbeck seine wunderbaren Gedichte hervor, die ich jedoch bei bestem Willen nicht verstand. Wegen seines Wolfrachens konnte er sich sprachlich kaum artikulieren und stieß nur inbrünstiges Stöhnen und Stammeln hervor.

Gleichwohl hat mich der Klang dieser gebrochenen Stimme in ihren Bann gezogen. Eine Aufnahme des Gedichtes ‚Das Leben‘ diente mir als Ausgangsmaterial für eine Reihe von kompositorischen Experimenten. ‚Das Leben ist schön‘, heißt es dort immer wieder – als wolle einer, dessen Leben alles andere als schön gewesen sein muss, die ersehnte Schönheit verzweifelt heraufbeschwören. Und so wird dieses kurze Gedicht auch in meiner Komposition immer weiter wiederholt und gleichzeitig immer mehr transformiert, so dass es sich zuletzt in wundersame Klangkaskaden auflöst.

Für meine Klangkomposition "Herbecks Versprechen" habe ich ein eigenes elektronisches Instrument konstruiert, mit dem ich dieses Werk live aufführen kann. Es ist in der Programmiersprache MaxMSP geschrieben und verwendet eine Reihe von zufallsbasierten Kompositionsalgorithmen, die ich seit Jahrzehnten entwickle. Damit ist es mir möglich, unter die Oberfläche des Klanges zu tauchen, um unerkanntes Potential und ungeahnte Schönheiten freizulegen.“

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Ernst Herbeck wurde 1920 mit einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte in Stockerau geboren und litt lebenslang unter einer Sprechbehinderung, die auch durch mehrmalige Operationen nicht behoben werden konnte.

Als Einzelgänger, der sich gerne auf seinem Boot und in der Natur aufhielt, fühlte er sich seit seinem zwanzigsten Lebensjahr von fremden Stimmen verfolgt, was zu seiner ersten Einweisung in die Psychiatrie führte. Eine Mädchenstimme habe ihm in Form von Morsezeichen immerfort Gedanken aufgezwungen; auch der Vater - ein Beamter - habe ihm die Nerven mit seinem scharfen Denken zersetzt.

Im September 1944 war er, obwohl selbst am Rande eines Zusammenbruchs, zur deutschen Wehrmacht eingezogen worden. Kurz vor Kriegsende wurde er als untauglich entlassen und in die Nervenheilanstalt Gugging eingewiesen. Bis auf eine kurze Unterbrechung verbrachte er dort sein ganzes Leben bis zu seinem Tod im Jahre 1991.

Quelle: Ernst Herbeck, Der Hase!!!! Ausgewählte Gedichte. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Gisela Steinlechner. Jung und Jung, Salzburg und Wien 2013.
 
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