Sonntag, 6. Juli 2014, 23:03 - 23:59, Ö1
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KUNSTRADIO - RADIOKUNST




Peter Pessl in Zusammenarbeit mit Michael Fischer:

„Sehe ich mit den Augen
 der anderen“

LIVE in 5.1 Dolby Digital


soundPLAY


"2007 stiess ich auf eine Publikation des französischen Kunsttheoretikers Georges Didi-Huberman mit dem Titel „Bilder trotz allem“, in dem er vier Schwarzweiss-Fotos * veröffentlicht, die als die einzigen von Insassen der nationalsozialistischen Konzentrationslager aufgenommenen und erhaltenen gelten dürfen (im Gegensatz zu einer wahren Flut von Täterbildern).
Diese Fotos zeigen das (eigentlich) nicht Abbildbare, das Unerhörte, das jenseits der Vorstellbarkeit dennoch Stattfindende aus dem Blickwinkel eines Häftlings mit bis heute nicht völlig geklärter Identität, der kurze Zeit später ermordet wurde, und stellen so singuläre Dokumente des Holocaust dar.
Huberman beschäftigt sich in seinem Buch mit der Frage der Darstellbarkeit des Holocaust, löste damit neuerlich eine intensive Debatte, vorallem in Frankreich, aus, und brachte auch mich dazu, mich (wieder) mit dieser Problematik zu befassen.
Sofort angezogen von der Einzigartigkeit der Bilder, die nicht sein dürften, aber dennoch sind und die, so denke ich, in ihrer Unerträglichkeit einen Blick in das Innerste der Wirklichkeit an sich zulassen, in die Zeit, den Anbeginn ebenso, wie in das böse Ende, die Vernichtung von allem, die Hölle auf Erden, und zudem das allzeit prekäre Verhältnis von Wirklichkeit und Abbildung exemplarisch thematisieren, entstand ein radiophoner Text, der einen Versuch des blossen Sehens, eines Ersehens dieser Bildern des absoluten Grauens mittels der Sprache der Dichtung darstellt, die mir, einer tieferen Wirklichkeit zugehörig als die Sprachen (etwa) der Wissenschaft, des Journalismus, als die Gebrauchssprache der alltäglichen Kommunikation, für ein solches Vorhaben als die einzig geeignete erscheint.
Von dieser Text-Basis ausschreitend entwickelte ich in den folgenden Jahren die Idee, den Text als Grundlage für eine Radioarbeit für das Kunstradio des ORF anzunehmen.
In enger Korrespondenz mit dem Text entstand ein radio art piece, das, mittels einer komplexen Partitur, selbst produziertes, sowie zitiertes, überarbeitetes, in einen neuen Kontext überführtes Soundmaterial verschmilzt.
Ein wesentliches Mittel der Soundbearbeitung, das ich nach der Realisierung der Partitur im Studio des ORF, sozusagen als „letzten Schliff“ anwandte, war dabei der, von mir für mich,  so genannte „Sebald-Effekt“: der bedeutende deutsche Prosaautor W. G. Sebald beschreibt in seinem Roman „Austerlitz“ ein auf den Nazi-Propagandafilm „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“, in dessen Fragment der Protagonist des Romans seine von den Nazis ermordete Mutter zu finden versucht, bezogenes Verfahren der zeitlichen Dehnung, das ein Eindringen durch und hinter die Oberfläche des historischen Materials, Bild und Sound, erst ermöglicht, als ein langsames Vordringen in das Erinnern, das Wiederfinden ebenso, wie in das Verwechseln, Vergessen, Löschen, das Verfinden, in den monströsen Webtext der Zeit.
Diese Radioarbeit, in ihrer Studioversion auf der Homepage des Kunstradios verfügbar(IN KÜRZE !!!),verbindet sich in einer Live-Sendung aus dem Studio 2 des ORF mit Interventionen des experimentellen Musikers, Dirigenten und Soundperformancemeisters Michael Fischer zu einer
flüchtigen Einheit. Michael Fischers spontane Eingriffe, Einfälle,  Zugaben, überschreiben dabei die Radioarbeit im Sinne des allgegenwärtigen Wirkens und Wütens der Geschichte, vielleicht, des weit offenstehenden Abgrunds der Zeit, etwa, in den wir, zu jeder Zeit, blicken, und führen „masslose Gegenwärtigkeit“, „akute Spontanität“, „endlose Flüchtigkeit“, das „Grosse Zufällige“ ein in die scheinbare Dauerhaftigkeit, Abgeschlossenenheit, Endgültigkeit einer im Studio realisierten Komposition."

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