Sonntag, 16. November 2014, 23:03 - 23:59, Ö1

[ ENGLISH ]

KUNSTRADIO - RADIOKUNST


 


  


“’There’s a Rumble in the Jungle’ 

oder ‘Theatre is evil, Radio is good’”


von Toxic Dreams


Live aus dem Semperdepot in Wien


sound PLAY


Die freie Theatergruppe toxic dreams inszeniert das eigene Stück „There’s a Rumble in the Jungle, or Theater is Evil, Radio is Good“ als Hörtheaterprojekt im Atelierhaus der Akademie der bildenden Künste, auch Semperdepot genannt, in Wien: Theater im Dunklen, nicht zu sehen, sondern ausschließlich zu hören. Die Analogie zum Radiohören ist gewollt – die letzte Aufführung am Sonntag um 23 Uhr wird daher live im Kunstradio übertragen, der Theaterraum damit um den Radioraum erweitert.



Erzählt wird die reale Geschichte des französischen Widerstandskämpfers und Überlebenden des KZ Buchenwald, Jacques Lusseyran, der als Kind durch einen Unfall erblindet und daher allein auf sein Gehör angewiesen war. Verwoben wird seine Biographie mit der Erzählung über ein Dschungeldorf, in das – angefangen mit der Ankunft des ersten Kühlschranks – nach und nach das Übel der westlichen Zivilisation hereinbricht. Diese Geschichte ist angelehnt an Rudyard Kiplings „Dschungelbuch“, das für den späteren Widerstandskämpfer eine wichtige Kindheitserinnerung darstellt, wie er in seiner Autobiographie beschreibt.


„Nehmen Sie Platz im gemütlichen Fauteuil, schließen Sie Ihre Augen und hören Sie hinein in den bilderreichen, farbenfrohen inneren Dschungel eines Blinden, in die gleichberechtigte und parallele Existenz von Phantastischem und Realem. In seiner Welt vermengt sich der Terror des Naziregimes mit dem Leben einer Dorfgemeinschaft im Urwald, irgendwo weit weit weg.



Dort, in diesem Dorf, lebten die Leute nach der einfachen Regel des ‚Jeder wie er kann‘. Wer nichts konnte, tat nichts. Eines Tages wurde der Fernseher geliefert. Er war groß und neu und strahlend weiß. Die Marke hieß ‚Botschaft aus einer anderen Welt‘, aber niemand konnte das Label lesen. Es wurde beschlossen, dass die Bilderkiste die Dorfkiste war. Was nicht beschlossen wurde, war die Revolution, die mit dem Fernseher ins Dorf kam...“



Text und Regie: Yosi Wanunu
Ins Deutsche übertragen von Jacqueline Csuss
PerformerInnen: Anna Mendelssohn, Markus Zett, Jaschka Lämmert, Peter Stamer
Sounddesign: Michael Strohmann
Verwendung von ambient sounds von klankbeeld, Felix Blume, Peter Kutin
Tontechnik: Florian Bogner, Peter Böhm
Produktion: Kornelia Kilga


Mi 12. - Sa 15. November 2014 20 Uhr
So 16. November 16 Uhr und 23 Uhr

Atelierhaus der Akademie der Bildenden Künste (Semper Depot), Ausstellungsraum
1060 Wien, Lehargasse 8
Kartenreservierung: office@toxicdreams.at, Tel. 0676-415 55 23
Eintrittspreis: Pay as you wish!




Konzept von toxic dreams (Kornelia Kilga, Yosi Wanunu, Jänner 2014):

„Es gibt zu viel Nacktheit im Fernsehen und nicht genug im Radio.“
Jarod Kintz, Seriously delirious, but not at all serious



Abstract

Der Titel „Theatre is evil, Radio is good“ ist die Abwandlung eines Titels, den Richard Foreman einem seiner Stücke gab; der Originaltitel lautete „Film is Evil: Radio is Good“. Foreman beschäftigte sich mit den Auswirkungen der visuellen Kultur auf unser intellektuelles und spirituelles Leben.
Film ist böse. Wie die Bibel sagt: „Ihr sollt keine Götzen machen noch Bild […]“ Selbstverständlich kann man den Film und andere visuelle Aspekte der Erfahrung nicht in Abrede stellen – doch hat unsere Kultur ein enormes Übergewicht zum Visuellen hin erreicht. Der Ansturm der Bilder ist so groß, das Bombardement so beständig, dass wir unfähig sind, sie erfolgreich in das Geflecht unserer täglichen Erfahrungen einzuweben.
In diesem Sinne ist auch das Theater böse. Wie der Film ist es mehr eine visuelle denn eine auditive Erfahrung. Die Bühne zieht das Publikum mehr ins Sehen als ins Hören.
Die größten Bemühungen bei Theatre is evil, Radio is good werden darin bestehen, das Hörerlebnis ebenso machtvoll zu gestalten wie die visuelle Erfahrung. Selbst im klassischen Erzähltheater ist es schwierig, sich des Textes als Sprache bewusst zu sein, ohne sich in anderen Elementen der Produktion zu verlieren. Der Dialog dient üblicherweise dazu, an der gesprochenen Sprache vorbeizusehen, so dass man die dabei erzählte Geschichte auf „prosaische“ Weise sieht; die Sprache verschwindet zugunsten der Geschichte, die sie vermittelt. In Theatre is evil, Radio is good möchten wir einen Text auf die Bühne bringen, der dem Zuschauer/Zuhörer die Sinneserfahrung verschafft, dass er das Gesagte Wort für Wort hört. Also eine auditive anstelle einer visuellen Erfahrung. Das Publikum soll zuhören, was in der Sprache geschieht.



Weshalb Theater

Wie richtet man das Erleben des Theaterpublikums auf das Hören? – Ganz einfach: man dreht das Licht ab.
„Das Radio hat eine sehr intime Wirkung, von Person zu Person, und eröffnet eine Welt der unausgesprochenen Kommunikation zwischen dem Schreiber-Sprecher und dem Zuhörer.“ Marshall McLuhan
Grundsätzlich ist das Radio eine private Erfahrung. Entgegen den bekannten alten Bildern von Familien, die sich radiohörend um einen Tisch scharen, ist es etwas, das wir meistens alleine tun (beim Autofahren, Kochen, Rasieren, …).
Im Gegensatz dazu ist das Theater eine Gemeinschaftserfahrung, auch wenn wir dabei alleine im Dunkeln sitzen.
Der Grundgedanke bei Theatre is evil, Radio is good ist es, die Intimität des Radios mit dem gemeinschaftlichen Wesen des Theaters zu vereinen.
Das Publikum sitzt im Dunkeln, getrennt voneinander, jeder in seinem eigenen privaten Sessel. Sie teilen jedoch den gleichen Ort, den gleichen Raum, sie lauschen gemeinsam in der Dunkelheit. Der Text kommt nicht auf Radiowellen zu ihnen, sondern live im dunklen Raum, den die Darsteller/Sprecher mit ihnen teilen.
Wer immer einem Hörspiel zugehört hat, wird bestätigen, dass ein gehörtes Stück im Gedächtnis haften bleibt – auch zwölf Jahre später wird man noch eine lebendige Erinnerung daran bewahren. Und der Grund für dieses lebendige Erinnern ist, dass man selbst die Arbeit getan hat: es lebt in der eigenen Vorstellungskraft.
Das Licht im gesamten Raum abzudrehen, verwandelt das Theater von einer visuellen in eine auditive Erfahrung, es wird zum Audio-Theater.
Welche geheime Zutat macht das Audiotheater so verführerisch? Die Antwort liegt nicht in einer besonderen Zutat, sondern in deren Abwesenheit. Audio ist blind. Audio ist genau deshalb das intensivste visuelle Medium, weil es „gesichtslos“ ist.
Was jedoch das Audiotheater wirklich aufregend macht, ist seine umfassende Kreativität. Der Verfasser erschafft das Original, dann baut der Regisseur das Ambiente für die Darsteller, und schließlich erschaffen die großartigen Techniker an den Bändern, Reglern, den Sounds und der Musik die Atmosphäre. Aber die kreativsten Teilnehmer sind die Zuhörer, das Publikum … Der Zuhörer ist Bühnen- und Kostümbildner, Schminkmeister und sogar die Castingabteilung. Sie ‚sehen’ die Charaktere, die sie hören, und setzen sie wortwörtlich in das Drama, ins Makeup, die Bühne, die Garderobe, und sogar in die Stimmung und die Atmosphäre.



Das Hörspiel
„Ich glaube immer noch, dass das Radio das wahrscheinlich größte jemals erfundene Unterhaltungsmedium ist. Es ließ das Publikum arbeiten, und ich glaube, dass das Fernsehpublikum nicht arbeiten muss; deshalb schlafen sie auch meistens ein.“ Vincent Price

Das Buch ‚Das wiedergefundene Licht’ erzählt die Geschichte von Jacques Lusseyran, einem Franzosen, der während der Nazibesatzung trotz seiner Blindheit eine wichtige Rolle in der Resistance spielte. Er war der Anführer einer Resistance-Einheit, und immer, wenn jemand der Einheit beitreten wollte, verbrachte Lusseyran eine Stunde alleine mit dem Anwärter und sprach über unverfängliche Dinge. Gerade, weil er blind war, hatten sich seine anderen Sinne so weit entwickelt, dass er sagen konnte, ob ein Anwärter vertrauenswürdig war. Während des Krieges leitete er etwa vierzig Menschen weiter, und die einzige Person, bei der er sich nicht sicher war, stellte sich als Verräter heraus.
Die Geschichte, so wahr sie auch ist, lässt Gedanken an die Ödipus-Sage anklingen: Die Unfähigkeit, zu sehen, macht ihn zu einem einsichtigeren Menschen.
In einer Episode des Buches schreibt Lusseyran über seine Kindheit, über das erste Buch, das ihm seine Mutter vorlas, nachdem er erblindet war. Das Buch war Kiplings Dschungelbuch, in Braille-Schrift gedruckt.
In Theatre is evil, Radio is good erzählt eine Figur namens Jacques Lusseyran ihre Geschichte. Anstatt aber den autobiographischen Details seines Lebens zu folgen, wird er zum blinden Filmregisseur. Dieser blinde Regisseur arbeitet an einem Abenteuerfilm – das Abenteuer, das in seinem Kopf stattfindet. Seine eigene verdrehte Vorstellung des Dschungelbuchs, so weit wie möglich entfernt von der Disney-Fassung. Dies ist Lusseyrans Audiofilm, erzählt als eine Mischung aus Fakten und dem imaginären Dschungel in seinem Kopf.




Handlung des Hörspiels
Lusseyrans autobiographische Geschichte (seine Kindheit, seine Arbeit während des 2. Weltkrieges, der Umzug nach Amerika nach dem Krieg …) wird einer fiktiven Geschichte über ein Dorf gegenüber gestellt, das mit der westlichen Lebensweise und modernen Technik konfrontiert wird. Die Geschichte wird als Hörspiel mit Charakteren, Soundeffekten, Liedern und Live-Aktion (im Dunkeln ausgeführt) erzählt.

Hier eine szenische Gliederung der Dorfgeschichte:
1. Jedem und jeder gemäß, war die Regel im Basisdorf. Jene, die nichts tun konnten, taten nichts; der auf seinem linken Fuß hüpfen konnte, hüpfte auf dem linken Fuß; die gut mit Kindern reden konnte, redete mit Kindern; und alle, die gut waren im Nüsseschälen, schälten Nüsse.

2. Eines Tages wurde der Kühlschrank geliefert. Er war groß, weiß, neu und glänzend. Die Marke war „Nachricht aus einer anderen Welt“, aber niemand konnte das Etikett lesen. Vom Kühlschrank ging eine Kette zu einem Standfahrrad … Treelegs wurde ausgewählt, das Fahrrad zu besteigen, um Donner zu machen … In die Fahrradpedale zu treten, erzeugte die Energie, die den Kühlschrank antrieb … 

3. Eines Tages wurde das Fernsehgerät geliefert. Es war groß, weiß, neu und glänzend. Die Marke war „Nachricht aus einer anderen Welt“, aber niemand konnte das Etikett lesen … Es wurde beschlossen, dass das Fernsehgerät das Dorffernsehgerät sein sollte. Was nicht beschlossen wurde, war die Revolution, die das Fernsehen ins Dorf brachte …

4. Treelegs wurde es müde, ewig in die Pedale treten zu müssen, umso mehr, als er erkannte, dass sein Getrete das Durcheinander und die Anarchie noch vergrößerte …

5. Der Mann vom After-Sales-Service (ASS) kam. Er trug eine weiße Maske überm Gesicht … Der Häuptling sprach mit ASS, und zusammen sahen sie sich einige große Kataloge an … ASS versprach Magie, die das, was im Katalog flach dargestellt war, in echte Dinge verwandeln würde …

6. Während der Mann in der weißen Maske schlief, hielten die Dorfleute eine Besprechung ab. Der Katalog lag offen im Schoß des Häuptlings, und jeder sagte seine Meinung.  Im Karaoke-Abschnitt des Katalogs bemerkte der Medizinmann einen Gegenstand, der den entzückenden Namen „Mikrofon“ trug … Sie alle wählten das Mikrophon …

7. ASS entschied, dass das ganze Dorf talentiert sei und wirklich einen Börsengang verdient hätte, um Immobilie und Marke zu werden …

8. Ein beliebter Zeitvertreib der Männer im Dorf war es, der schönen Shambola nachzuschauen …

9. Es war die Stunde, als der Löwe zur Tränke kam. Die kleinen Mädchen des Dorfes füllten den Brunnen mit frischem Wasser und traten zurück …

10. ASS zog den Katalog in seinen eigenen Schoß, zeigte auf einen Teil des Stadtplans und erklärte dem Häuptling, dass sie hier das Weiße Viertel errichten würden …

11. ASS hörte nicht auf, mit Schaufel und Eimer zu graben. Er war besonders an der roten Erde interessiert, auf dem das Dorf stand …

12. Die schöne kallipygische Shambola war wirklich das hübscheste Mädchen im Dorf und wollte den weißen Schwanz ausprobieren. Sie meinte, unter seiner Bluse war ASS klein und dürr …

13. Die Mikrofone wurden am Montagmorgen geliefert. Niemand wusste, dass Montag war, aber der Bote hatte „Montagslieferung“ auf das UPS-Paket geschrieben …

14. ASS beschloss, mit Shambola durchzubrennen … „Jetzt“, sagte sie, „wirst du ein König sein und ich die Königin.“

Weshalb heute noch (oder wieder) die Geschichte einer Stammesgesellschaft erzählen?
Das primäre Medium der menschlichen Kommunikation in der vorschriftlichen Ära waren das gesprochene Wort und das menschliche Ohr. Mit Gutenberg wurde das gedruckte Wort eingeführt, und somit das menschliche Auge als primäres Kommunikationsmedium. Marshall McLuhan definierte das gesprochene Wort als ‚akustischen Raum’. Dieser ist unbegrenzt, richtungslos, mit Gefühlen aufgeladen und ohne Horizont. Die geschriebene Seite begrenzte diesen Raum mit Rändern, klar definierten Lettern und Kanten. Die gedruckte Seite beseitigt den akustischen Raum für die Sprache und tendiert dafür stark zum Visuellen.
Die Bedeutung der Einführung von Tonaufnahme und Übertragungstechnik ist, dass sie den Beginn des „ent-stammten“ elektronischen Zeitalters markieren. In The Medium is the Massage (1967) argumentiert McLuhan, dass die augenscheinlich gewaltige Erweiterung der Sprache, die durch Aufnahme- und Übertragungstechnik erfolgt war, sich derart auswirkte, dass die sensorische Kapazität der Sprache verringert wurde. Er stellt fest, dass das Radio nicht Sprache ist, sondern wie das Schreiben die Illusion schafft, Sprache zu enthalten. Klar ist dabei, dass mechanische und elektronische Klang-Kommunikation auf den einzigen Sinn des Gehörganges angewiesen sind und wie das Schreiben eine kraftvolle visuelle Perspektive stimulieren. McLuhans Analyse unterstützt die Definition der einzigartigen Natur des Ton- bzw. Radiodramas. In der phyischen Dimension ist es auditiv, in der psychologischen Dimension jedoch ebenso stark wie eine visuelle Kraft.
In Theatre is evil, Radio is good kommt Lusseyrans Stammesgesellschaft, der fiktive Dschungelbuch-Stamm, durch eine ungenannte Kolonialmacht mit der modernen Technik in Berührung. Grundsätzlich erzählt der blinde Regisseur die Geschichte, wie wir vom gesprochenen Wort als hauptsächliche Kommunikationsmethode zur visuellen gelangt sind.

Aufbau
Das Publikum betritt einen dunklen Aufführungsraum. Sie sitzen in über den ganzen Raum verteilten Sesseln. Die Sitze sind so positioniert, dass es keine bestimmte Blickrichtung gibt. Der Ton – Livestimmen und aufgenommenes Material – wird den Raum aus jeder möglichen Richtung umgeben. Jedes Publikumsmitglied wird einen etwas unterschiedlichen akustischen Eindruck haben.
Die Performer sprechen über mehrere im Raum positionierte Mikrophone. Sie werden im Dunklen die Plätze wechseln. Das Publikum wird ihre Bewegung in der Dunkelheit erahnen können.
Es soll der Eindruck eines dunklen akustischen Raumes entstehen, in dem Bewegung kaum erkannt wird. Ein Raum, wo das Zuhören, alleine mit anderen im selben Raum, der Hauptakt der Inszenierung ist.
 
Link:
[http://toxicdreams.at|Toxic Dreams]



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