Sonntag, 15. März 2015, 23:03 - 23:59, Ö1

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KUNSTRADIO - RADIOKUNST





Cathedral’s Fall War Opera

von Arsenije Jovanovic


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In seiner neuesten Radioarbeit setzt sich der Regisseur und Radiokünstler Arsenije Jovanovic, der in Rovinj und in Belgrad lebt mit dem allgegenwärtigen Thema des Krieges auseinander. In einem schriftlichen Statement beschreibt der Künstler:

Cathedral’s Fall, a Radio War Opera könnte zwar als Kriegsoper bezeichnet werden, ist aber keinesfalls eine künstlerische Darstellung von kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Staaten und Völkern. Es geht vielmehr um die Auswirkungen des Krieges auf die geistige und seelische Verfassung von Kindern wie auch von Erwachsenen, die sich ihre kindliche Seele bewahren konnten. Was Tiere fühlen oder denken, können wir nicht ergründen. Als ich jedoch während der letzten Balkankriege einmal auf hoher See segelte, ließ sich ein Vogel auf meinem Boot nieder und  erweckte damit den Eindruck, als ob er hier Zuflucht vor den in den Bosnischen Wäldern detonierenden Granaten suchte. Wir haben beide die Angst in unseren Augen gesehen. Unser stummer Dialog dürfte mich auch zu meiner Arbeit Cathedral’s Fall inspiriert haben.



In Chioggia in der Lagune von Venedig fand ich kurz danach im kleinen Laden des Sammlers Gianni Rugine einen gerahmten Brief, geschrieben von Kindern zu der Zeit, als die Alliierten auf der Apenninenhalbinsel in nördlicher Richtung vorrückten und nach schweren Gefechten schließlich auch Florenz eingenommen haben. Vorder- und Rückseite des Briefes sind gleichermaßen sichtbar, man musste ihn also umdrehen, wenn man ihn zu Ende lesen wollte. Dabei war interaktive Kommunikation mit einem objet trouvé damals noch nicht so ein beliebtes künstlerisches Thema wie heute. Der Brief der Kinder vom Weihnachtsabend 1944 ist an die abwesenden Großväter gerichtet, die wohl irgendwo an der Front waren, aber auch in Gefangenschaft sein oder vielleicht bereits unter der Erde liegen konnten. Der Briefkopf zeigt unter anderem Donald Duck, Pluto und Mickey Mouse. Für mich ist dieser Brief seit nunmehr über zwei Jahrzehnten eines der wertvollsten Objekte, die sich im Besitz meiner Familie befinden. Sollte ich eines Tages gebeten werden, einen einzigen Gegenstand auszuwählen, der die Schrecken des Krieges symbolisiert, würde ich auf diesen gerahmten, von Kinder aus Chioggia zu Weihnachten 1944 geschriebenen Brief zeigen, repräsentiert er doch die vielschichtigen menschlichen Tragödien, die durch Kriege ausgelöst werden.

In den Librettos von musikalischen Werken wird oft – wie überhaupt in der Kunst – Geschichte nur oberflächlich und sachlich-nüchtern erzählt. Ich hingegen arbeite sozusagen anti-librettistisch. Meine Musik, meine Radiokunst und akustischen Experimente erschließen sich auf indirekte Weise. Selbst wenn es einen Weg gäbe, es wäre nicht meine Aufgabe, alle darauf hinzuweisen. Ich glaube, dass ein Libretto nicht für intelligente Menschen geschrieben wird, sondern für diejenigen, denen es entweder an Phantasie mangelt oder die geistig träge sind.

Übersetzung: Friederike Kulcsar