Sonntag, 31. Juli 2016, 23:03 - 1:00, Ö1

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KUNSTRADIO - RADIOKUNST




Prix Palma Ars Acustica 2

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Heute hören Sie vier der insgesamt sechs Finalisten und daraus das Gewinnerstück des Prix Palma Ars Acustica. Diesen klingenden Namen trägt der Preis für Sound Art und Radiokunst der jährlich von der Ars-Acustica-Gruppe der Europäischen Rundfunkvereinigung EBU vergeben wird. Der Prix Palma Ars Acustica“ ist also so etwa der Songcontest der Radiokunst. Einundzwanzig Einreichungen gab es aus unterschiedlichen europäischen Ländern übrigens insgesamt. Eingereicht wurde von den Radiostationen selbst.

Wir beginnen mit einem Finalisten: „The Eccentric Press“ von Iain Chambers. Unsere Kollegen vom Westdeutschen Rundfunk haben uns einen Waschzettel zu diesem Industrialstück zukommen lassen und in dem steht: „Welche Sounds eines Landes können als wahrhaftig eingeboren bezeichnet werden? Und welche unserer Sounds sind im Begriff verloren zu gehen, welche haben wir bereits verloren? Ein bahnbrechendes EU-Projekt will Europas typische Klänge bewahren, bevor sie für immer weg sind. ‚Work With Sounds‘ macht Aufnahmen von gefährdeten oder verschwindenden Klängen einer Industriegesellschaft, auch solche Klänge, die man zu bewahren versucht. Bis September 2015 wurden zumindest 600 Klänge an ihren Orten aufgenommen. Ian Chambers hat, in Zusammenarbeit mit dem LWL-Industriemuseum in Dortmund, die in Deutschland aufgenommenen Klänge genommen, und daraus ein neues Stück konkreter Musik geschaffen. Jene Klänge, die meist als Lärm empfunden werden, sind hier in ihrer Musikalität zu hören.“ Sie hören einen Ausschnitt dieses Finalistenstücks.

Als zweites hören Sie heute im Kunstradio: „Litany“ von Bernard Clarke eingereicht vom irischen Rundfunk. Der Künstler schreibt über das Stück: „Trotz jahrzehntelanger Initiativen und Millioneninvestitionen in Behandlung, Anti-Drogen-Kampagnen, Studien und die Gründung dutzender Recherche-Gruppen, steigt das Heroin-Problem stetig an, wie soziale und medizinische Studien in Dublin heute verlautbaren. Litany ist eine Sound-Art-Interpretation von zwei Gedichten des Dubliner Poeten Karl Parkinson. Er ist in den Heroin-verseuchten Kreisen der Stadt aufgewachsen und hat das Sterben von Freunden dokumentiert, aber auch mit Drogen in Zusammenhang stehende Mordfälle, den Aufstieg der Drogenkartelle und das absolute Elend, das Gemeinschaften erfahren. Ich habe seine Arbeit bei einer Dichterlesung gehört, habe ihn kontaktiert und seine Lesungen aufgenommen. Das Stück wuchs aus einem Hundebellen, das ich mit verschiedenen Synthesizern bearbeitet habe. Karls Lesung habe ich eingewebt und viele Ortsklänge, Samples und Reportagen aus dem Radio-Archiv auf dieses dunkle Skelett gehängt. Ich wollte die dunkle, heroin-braunen Seite der modernen Stadt zeigen, ihre unablässige Verdorbenheit und unerbittliche Gewalttätigkeit. Die Stadtpolitiker haben aufgegeben.“ Litany wurde im Programm Nova des Senders RTÉ Lyric fm ausgestrahlt. Das ist Irlands öffentlich-rechtlicher Hörfunk mit einem Schwerpunkt auf Musik und Kunst. Dauer 12 Minuten 17 Sekunden

Wir nähern uns dem Siegerinnenstück. Zuvor noch ein weiterer Finalist: „Totenklage“ von Jaromír Typlt und Dirk Huelstrunk. Auch zu diesem Stück gibt es einen Beipackzettel des tschechischen Rundfunks – dort steht: "Hundert Jahre nach der Eröffnung des Cabaret Voltaire senden wir – recht prosaisch – ein Aggregat von Gedichten von Hugo Ball, einem der Gründer der Dada-Bewegung, in den Äther. Heute gehören seine sechs Klangedichte zum klassischen Kanon, und sie werden sowohl als Originalaufnahmen zitiert, als auch in unzähligen Neuproduktionen. Figurativ gesprochen, verschmelzen diese Interpretationen zu einem Rauschen, dessen originale Bedeutung in der Geschichte des vergangenen Jahrhunderts verloren gegangen ist. Die Rückkehr zu den auf gewisse Weise „fossilen“ Ursprüngen der Produktion von Bedeutung in gesprochener Sprache, ist eine Rückkehr zu einer rein akustischen Sprache. Sie enthält, immer noch aktuell, ein Moment der Suche nach Grenzen zwischen Poetik, Unbeständigkeit und der Gefahr gestammelter Worte. TOTENKLAGE ist eines von sechs Klanggedichten von Hugo Ball. Aufnahmen dieser Gedichte wurden dank der Zusammenarbeit des tschechischen Autors und Performers Jaromir Typlt und dem deutschen Dichter und Performer Dirk Hülstrunk, der im Frühwinter 2015 Gastkünstler des Prager Literaturhauses war, angefertigt. Die Aufnahmen wurden im Zuge der Vorbereitungen einer umfassenden, vierteiligen Avantgarde Cabaret Suite mit dem Titel BALLONAIR gemacht, die erstmals am 17. Jänner 2016 im Zuge des Euroradio Ars Acustica special evening zum Art's Birthday in der Nationalgalerie Prag zur Aufführung gekommen ist. Wie die Gründer der Dada-Bewegung den Namen angeblich gefunden hatten, indem sie mit einem Taschenmesser in ein Wörterbuch gestochen haben, so wird hier mit diesem Konzept experimentiert – das Gedicht TOTENKLAGE ist ein Stich in den Radio-Äther." Dauer 7 Minuten 3 Sekunden

Und jetzt: die Gewinnerin. In der Erklärung der Jury, die heuer in Galway in Irland tagte, heisst es: „Anna Raimondos Radiostück „Me, My English and All the Languages of My Life“ ist eine spielerische Erkundung von Akzenten, die akustisch Identität transportieren. Die Jury würdigte die komplexe formale Struktur des Stückes, sowie den natürlichen Tonfall menschlicher Stimmen in dieser sorgfältigen Mischung autobiographischer und kompositorischer Konstrukte. Während der Ton humorvoll ist, bietet das Stück einen Anlass für tiefere Reflektion über die Produktion von Klang und Bedeutung. In den vergangenen Jahren ist Anna Raimondo in der Welt der Radiokunst als inspirierendes Talent aufgefallen. Sie hat in der Beschäftigung mit Sound und Radiosprache ihre eigene künstlerische Sprache entwickelt. Ein wunderbar einnehmendes Hörerlebnis von der ersten bis zur letzten Minute.“ Das belgische Radio reichte das Gewinnerstück ein und verfasste folgende Zeilen: „Anna Raimondo, die ein nomadisches Leben verbringt und rund um die Welt reist, arbeitet und wohnt, reflektiert ihre Beziehungen zu den verschiedenen Sprachen ihres Lebens: Italienisch, Spanisch, Französisch und Englisch. Zugleich besucht sie einen Phonetik-Kurs, um Englisch mit einem Britischen Akzent sprechen zu lernen. Irgendwo zwischen Verhöhnung und Ernsthaftigkeit, Zögern und Zuspruch bewegt sich Raimondos Hörstück, mit dem sie die Hörerschaft in eine akustische Suppe aus Sprachen, Idiomen und Akzenten entführt.“

Danke an Anna Soucek für die Mitarbeit an der Sendung.
Hans Groiss

https://www.ebu.ch/projects/radio/palma-ars-acustica.html