Sonntag, 23. April 2017, 23:03 - 00:00, Ö1

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KUNSTRADIO - RADIOKUNST





“Farewell Prayer for One Galiola”
und
“The Prophecy of the Village of Kremna” von Arsenije Jovanovic
von Arsenije Jovanovic


1) “Farewell Prayer for one Galiola”

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“Galiola ist eine winzige Felsinsel mit einem Leuchtturm in der nördlichen Adria, weit entfernt vom Festland, ohne Einwohner außer tausende Möwen und Eidechsen. Von Zeit zu Zeit verbrachte ich einen Tag oder eine Nacht dort, manchmal auch länger, meist war ich alleine, über viele Jahre segelte ich mit meinem Boot herum, das ebenfalls Galiola heißt. Im Laufe der Zeit wurde diese kleine Insel mit dem Leuchtturm immer weniger real, beide wurden für mich zu fiktiven Objekten und zu einer Obsession, sie wurden für mich zu einer Metapher für all meine Reisen und Ausflüge, sowohl der Name als auch das Symbol auf einer Meereskarte waren realer, als die tatsächliche Insel. Ich bin daher nicht mehr in der Lage zu erklären, was genau Galiola überhaupt bedeutet.
Ohnehin ist es es nicht das Wort, das mir gefällt. Ich habe immer gerne Seekarten gelesen und alte Logbücher, ich habe die Namen der Inseln und Landzungen bewundert, versucht zu verstehen, wie diese wundervollen Namen einst entstanden sind, diese Namen, die erhabener sind als jene, die wir unseren eigenen Kindern geben. Im Radiostück „Farewell Prayer for one Galiola“, Abschiedsgebet für eine Galiola, sing ein Chor diese Namen wie ein Gebet. Eine träumerische Geschichte, die der kleinen Insel gewidmet ist und ihrem Leuchtturm, der sich wie ein Blumenstengel gen Himmel reckt.“


2) “The Prophecy of the Village of Kremna”

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“Vor langer Zeit träumte ich, dass jemand mir in einer unverständlichen Sprache über bevorstehende Ereignisse erzählte, die mein Schicksal beeinflussen würden. Angesichts des Umstands, dass weder die obengenannte Weissagung, noch Weissagungen im Allgemeinen mich interessierten, fragte ich mich, wie jene den Weg in mein Unterbewusstsein gefunden hat.
Ein Traum bar jeder Ereignisse und einer Geschichte, ein willkürlicher Bewusstseinsstrom mit flimmernden Bildern, die auftauchten und wieder verschwanden, die ineinander übergingen und sich verwandelten wie Kader in einem experimentellen Film.
Wer träumt, kann nicht mit Gewissheit behaupten, was er gesehen oder gehört hat in einem Traum, und so werde auch ich keine Behauptungen aufstellen.
In den ersten Augenblicken nach dem Aufwachen oder kurz darauf vermag das Träumen, uns vergessen zu lassen. Die Besonderheiten eines Traums, selbst die interessantesten, verschwinden sofort kraft eines mächtigen, verborgenen Zaubers. Unmittelbar nach dem Aufwachen, im verschleierten Wirbel des Bewusstseins, wenn die Erinnerung ans Geträumte sich in einen Abgrund zurückzieht und schneller in diesem untergeht als Gegenstände in Gewässern oder Erdspalten versinken, unmittelbar nach dem Aufwachen versuchte ich mir die Stille und das gelegentliche Summen zu merken.
Aus akustischer Sicht war das für mich interessant – die Stille des Träumens, die sich unterscheidet von dem, was wir sonst Stille nennen.
Wie Gregor Samsa begann ich die Wirklichkeit aufzunehmen, Gegenstände im Zimmer zu erkennen, mich selbst im Bett, und ich kritzelte auf einem Papier herum, mit dem sinnlosen Ziel, eine Spur des Traums zu hinterlassen, bevor dieser verschwinden würde, und die verdrehten Kader des Bewusstseinsfilms anzuhalten, die in unermesslicher Geschwindigkeit alternierten.
Die Bilder eines Traumes fließen zu schnell für einen wachen Geist, denn die Gesetze der Physik und der Schwerkraft sind auf die Mechanismen von Träumen nicht anwendbar; sie übertreffen selbst die Lichtgeschwindigkeit, sodass wir nicht imstande sind, sie mit unserem Alltagsleben und dem sogenannten erwachten Bewusstsein in Verbindung zu bringen, da die Grenzen und Unterschiede zwischen dem Traumzustand und dem Wachzustand fließend sind.
Lange Zeit hatte ich nicht an den Traum gedacht, bevor ich mich eines Tages auf einem menschenleeren Hügel befand, irgendwo im Grenzgebiet zwischen Makedonien und Albanien, am Heimweg von einem Filmdreh. An der Straße sah ich eine Reihe alter, ausgetrockneter Leitungspfähle, die mit Telefonkabeln verbunden waren. Ich erinnerte mich an meine Kindheit, denn als Kinder hatten wir oft dem Brummen der Telefonmasten zugehört.
Wer sie nicht kennt, kann sich schwer vorstellen, dass diese alten Holzpfähle wie Musikinstrumente sind – die Musik der Masten! In der Stille der Nacht, am kahlen Hügel, brummten die Masten sonderbar, obwohl das Wort ‘brummen’ zu grob ist, um dieses Geräusch zu beschreiben, die von einem unsichtbaren Spieler dargebrachte Musik.
Eine traumähnliche Wirklichkeit hat die Traumwelt betreten. Ein Konzert auf einem kahlen Hügel, mitten in der Nacht. Wir waren auf Beinen und wach, aber was wir hörten und aufnahmen, unterschied sich nicht von einem Traum. Telefonkabel – Saiten auf einer riesigen Harfe – die jenseits des Horizonts unter einem sternenklaren Himmel endeten, übertrugen pulsierende Signale auf die Holzmasten, und das trockene Holz transformierte diese Impulse in verzaubernde Geräusche.
In jenem Moment erinnerte ich mich an meinen Traum, an diese Stille und das gelegentliche Summen. Wir verließen den kahlen Hügel mit dem Gefühl, dass wir einen verborgenen Schatz mitgenommen hatten. Unter Verwendung der Aufnahmen von den Holzmasten am kahlen Hügel, mit den Erinnerungen an die Bilder des alten Traumes, gestaltete ich die Geräusche um zu musikalischen Impulsen, die wie ein Tagtraum erscheinen.“