Radioschrittmacher.

Ein Hörspiel. Als Schritt-zu-Kopf-Beatmung.

 

Schritte, Text, Komposition, Tonschnitt, Mischung: Bruno Pisek

Zeichnungen: Denisa Angheluța


Programmseite 02. 07. 2017


sound PLAY

 

 

I

Schritte hören. Den Weg im Radio nachgehen. Beim Gehen und beim Nachhören: Hippocampus aktivieren und Gedächtnis bilden: was klingt Schritt für Schritt, welche Gedanken kommen als mehrsprachige Chöre, in welchen Rhythmen zählt ein Radioschrittmacher und wie wird daraus Musik, in welchem Tempo wir eigentlich gehen und immer wieder das Bild: Mit jedem Schritt steigen wir auch auf ein Radiosignal. Alles das wollte ich hörbar machen.

 

II

Radio sehen. Begonnen hat es mit dem Zeichnen, das dem Hören folgt. Dann hat Denisa Angheluța Kapitel für Kapitel des Hörspiels sichtbar gemacht. Manchmal haben sich dadurch in Folge die Kapitel noch einmal geändert. Die Zusammenarbeit ein Wechselspiel.

 

„Thank you for your list, it helps a lot! Here i send to you a new version; I started from our eleven shared works and through comparing while listening again i ended up with this version; what do you think? And here are the scans of two of the „genähte Zeichnungen“, one is in the list;“ [D.A.]

 

 

KAPITEL 1          00:00







Beginnt mit der Antwort auf die Fragen: Was wäre wenn bei jedem Schritt nur die Radiosignale, die uns umgeben, hörbar werden? Und was wäre wenn der Rhythmus der Schritte nicht durch einen Schlag skandiert wird sondern durch das Streichen des Trommelfells, einem Geräusch, das näher beim Atmen liegt? Und wie lassen sich dann diese Übersetzungen mit dem realen Klang der Schritte verbinden, in einer Form, die das Hören konzentrierter werden lässt? Und wie mache ich die Musik hörbar, die für mich in den Schritten liegt?

Der Funker saß wirklich mit seinem Funkgerät am Gipfel des Berges. Er hat mich einmal mehr daran erinnert, dass die Luft auch in den Bergen voll ist mit Radiosignalen. Auch am Kordeschkopf. -. Mit jedem Schritt erscheinen neue Gedanken.





 

„At first I made watercolor from Schöllkraut, celandine and some other leaves, but i realized that the whole process of finding different plants for watercolor, preparing and using them, takes ages and the pigment obtained is weak. So I started to use the plants directly, pressing them against the paper. It is much more intense like this. The green comes mainly from Lonicera caprifolium leaves, but also from linden and mulberry tree; the yellow from dandelion flowers.“ [D.A.]





 

 

KAPITEL 2          04:00







Schritt für Schritt. Zweichörig. Für zwei Ohren, zwei Hirnhälften, zwei Beine, zwei Lungenflügel. Gehen entlang des Gedächtnishorizonts in Hanglage. Gedankenausbau und Schritt zu Kopf Beatmung.

Die neurologische Wissenschaft formuliert es ähnlich. Was mich dazu brachte, die Aufnahmen der Nervenimpulse, die ich an der Universität Wien gemacht habe, zu einer Nervenmusik zu setzen: wir hören uns beim Denken zu.





„When i read your words about the prints, yes, it is different to see the images on paper. I did the same with the text from your pieces and it helped a lot, it brought hearing and seeing the words in a stronger relation. And closer to the meaning.“ [D.A.]

 

 





KAPITEL 3           10:20





Ein paar Schritte und schon am Meer. Und der Text? Entwickelt sich wie die Gedanken beim Gehen: Wir legen den ersten Satz an bestimmte Wegpunkte der Bucht. Am nächsten Morgen legen wir am selben Weg einen zweiten Satz dazu. Aus Beiden entsteht ein Kombinationssatz. Am nächsten Morgen legen wir einen dritten Satz dazu. Ein noch ausgefeilterer Kombinationssatz entsteht. Ein Gedächtniswegtext in der Bucht von Plakias, Kreta. Mit Gruss an den Hippocampus.

Pas cu Pas. Schritt für Schritt. Auf Radiosand.

 

„Listening to it for several times i imagined someone walking at first lost in thoughts and later on jumping joyfully from one foot to another. In my notebook i started from what i saw like a conclusion of the song: "pas cu pas" “ [D.A.]






KAPITEL 4           16:00





 

In der Sandwüste knirschen die Schritte wie ein Rubinette beim Kauen. Boshra Kassems Text über den Wunsch die Luft gemeinsam mit den Liebsten zu atmen. Arabisch Deutsch. Am Schluss aufatmen und das Fell wieder glattstreichen.

 

„The format of 1, 2 and 4 I could measure now, is weird: 28.5x29.8 cm. The third one is 20.5x15 cm. And the paper is actually made two years ago when we visited a paper mill. I found it yesterday.“ [D.A.]





 

 

KAPITEL 5           19:00





 

Radiosteilhang. Dann die Hochebene. Atmen und Gehen. Bassklarinette und Kontrabass. Achtzehn Schritte lassen sich auch in sieben und elf aufteilen. Und dabei mithören, bei welchen Schritten wieder ein Radiosignal unter der Sohle hörbar wird. Und atmen nicht vergessen. Zu gebürstetem Radio.

 

„The works with charcoal that you mentioned were made after the blue ones. In the blue ones i was more concentrated to find the right "system of sounds" i was writing about above (that's why they look like lines from a book), while in those with charcoal i aimed also to represent the fluency of the sounds and break the lines, make it flow and follow the move.“ [D.A.]





 

 

 

KAPITEL 6           22:00





 

Das Tempo bleibt. Chinesische Perkussion und zwei Flöten übernehmen die Akzente. Die Frage nach dem Gehen und Denken bringt uns weit. Nach Moganshan. Die Versmaße verschieben sich, ändern den gesprochenen Text. Liegen sie nun näher bei chinesischen Lautgesten? Der Chor der Baumfrösche im Bambuswald schiebt die Radiosignale aus unserem Bewusstsein. Das T‘rung (Bambusxylophon) als Hängebrücke zum verschleierten Berg vor uns:





 

 

KAPITEL 7           26:20





Totchāl. Bratsche, Kamancheh, Daf. Schneeschmelze am Hausberg Teherans. Und gleich die Beschwerde: „Gehen statt fahren hilft bei Smog!“ Aber Teheran ist zu groß und zu laut geworden. Farsi Deutsch.

 

 

KAPITEL 8           31:30





In welchem Tempo gehen wir eigentlich? Und an welchem Ort?  Und in welchem anderen Tempo atmen wir? Die Raxalpe mit ihren schmalen Wegen durch die Latschenkiefern schwenkt unser Denken in andere Richtung. Und führt über „Wandelbar“ von Andrea Fränzel weiter über die Eisenleitern am Waldeggersteig ins Radiolaub.

 

„Yes, I started with the normal sewing, from the sounds, ideas came along with the process, while thinking.The energy and the shifts in directions that the sounds bring and the path they describe. At first i focused on those. Then the invisible Zwirn/fir/thread: the noise, the specific sound that appears when we try to change to another frequency of a radio wave, but also on morse code signals. And then came to my mind the correspondence to what you had written about our conversation imprinted on snow as visible traces, with footsteps. 

And other things crossed my head, like the details of the paper, the pieces of letters and plants that are part of the texture. A mixture of nature, paths, codes, visible, invisible, traces, thoughts and feelings and directions.“ [D.A.]





 

 

KAPITEL 9           34:30





Was denkt die, die dort am Hang geht? Gedanken sind noch nicht als Frequenzen verfügbar. Vieles liegt in der Luft. Für sie dort drüben „Der Duft von Lakritze“. Text: Daniela Schatz.





 

 

KAPITEL 10         37:30





Gehen, umgeben von Gedanken, Frequenzen und Klängen. Und wir selbst aufgefächert in Atem-, Geh- und Radiosignalrhythmen. Befreit. Offen. Bewegung ist keine Armut. Wenn vieles in der Luft liegt, liegt auch die Frage nahe: Radio atmen - geht das?

 

Stummer Text: 

Kempermann, der in seinen neurologischen Forschungen der Frage nachgeht, wie sich denn Ahnung in Wissen verwandle, fand heraus, dass der Gleichtakt der elektromagnetischen Impulse in den Nervenzellen, der Wahrnehmung, Erinnerung und Denken überhaupt erst möglich mache, durch den Rhythmus des Gehens stimuliert werde - allerdings nur, so sein verblüffendes Ergebnis, wenn sich die Beine freiwillig bewegen: Die Armee bewirke, so Kempermann, keine Stimulation des Denkens.

Wir können also unser Denken im Rhythmus unseres Gehens, eine zivile Form des Gehens vorausgesetzt, zu Gedächtnissen verfestigen.“

 

 

KAPITEL 11         40:00





„Just walking? - A tall order!“ Prater Hauptallee. Bobby Sommer als Saxophonist am Wegesrand und ein Gespräch mit Karen Werner im Gehen. Gehen - in Gedanken. Gehen - miteinander verbunden - über unsere Konturen hinaus - Radio. Radio als Spiel mit Grenzen und Räumen zwischen uns und anderen. „There is this mingling in the air.“ -. Gleicht sich das Sprechtempo dem Gehen und dem Atmen an? Ein Novemberabend.




 

„I still discover subtle sounds I hven‘t noticed so far, it is incredible, and rediscover others“ [D.A.]





 

KAPITEL 12         43:20





Wasser. Sand. Das Meer atmet langsamer als wir. Und atmet an jeder Küste anders, atmet sechs bis neun Fuß tief im Hafen von Boston und am Strand von Vancouver Island, atmet ein bis drei Fuß flach am Lido von Venedig und in der Bucht von Plakias auf Kreta. Hier auf Kreta mit Blick über einen Mondlicht-Fatamorgana-Pfad nach Alexandria. Übers Wasser gehen wollen. Die Signale am Meer sind wieder andere. Das antike Leuchtfeuer von Alexandria wurde im letzten Jahrhundert ein Seefunkfeuer. In Morsecode. „DitDahDahDah. --- DitDah.“ „Ja“.

 

„P.S.: i am relieved that the images reached you, at the moment my laptop has some problems and i still don't know how or when it could be fixed; so it's good to know.“ [D.A.]





 

 

 

Mitwirkende

 

Andrea Fränzel  Kontrabass, Komposition

Anıl Üver  sprechchor

Bobby Sommer  Saxophon, sprechchor, Komposition

Boshra Kassem  sprechchor, Text

Daniel Müller  sprechchor

Daniela Beuren  sprechchor

Daniela Schatz  sprechchor, Text

Denisa Angheluța  Zeichnungen

Diana Miron  Violine, Stimme

Elif Bilici  Sprechstimme, sprechchor

Farhad Bazyan  Sprechstimme

Gabriele Migdalek  sprechchor

Gentiana Kristo   sprechchor

Judith Reiter  Viola

Julia Schreitl  Bassklarinette

Kai Kugler  sprechchor

Karen Werner  Sprechstimme, sprechchor

Karin Seidner  sprechchor

Katharina Steininger  sprechchor

Kheder Aldebiat  sprechchor

Klaus Hahn  sprechchor

Konstanze Rainer  sprechchor

Laurentiu Kocak  Kontrabass

Monika Maria Steiner  sprechchor

Rashed Babashabi  Kamancheh

Saleh Rozati  Daf

Vera Czemerinski  sprechchor

Viktoria Slavuski  sprechchor

 

Schritte:

Semmering, Prater Hauptallee, Schneeberg, Waldeggersteig, Kordeschkopf/Petzen, Ulaan Chus (Rote Birke) Mongolei, Bucht von Plakias/Kreta, Torre Grande/Sardinien, Wüste Negev/Israel, Salar de Atacama/Chile, Raxalpe, Pappelteich/Wien, Moganshan/China, Totchāl/Teheran, Khatgal/Mogolei;

Aufgenommen 2001-2017


Zitate „Kempermann“ mit freundlicher Zustimmung von Prof. Dr. Gerd Kempermann

 

Aufnahmen Musik, Sprache, Chor: Bruno Pisek

zusätzliche Choraufnahmen: Christoph Amann, Amannstudios