Sonntag, 13. Mai 2018, 23:03 - 00:00, Ö1

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RADIOKUNST - KUNSTRADIO



Copyright Helmut Wimmer

„Where’s the rainbow?“
von Karlheinz Essl

Kunstkopf-Radiofassung eines Sound Environments
für Helmut Wimmers Beitrag zu „Ganymed Nature“

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Zwischen 1620 und 1636 malte Peter Paul Rubens seine „Gewitterlandschaft“, die er ganz ohne Auftrag schuf und immer wieder überarbeitete. Dieses Bild erzählt die Geschichte von Philemon und Baucis, wie sie Ovid in seinen Metamorphosen überliefert hat. Ein altes Ehepaar erhält überraschend Besuch von den als Wanderer verkleideten Göttern Jupiter und Merkur, denen niemand Unterkunft gewähren wollte. Ungeachtet ihrer Herkunft werden die beiden Fremdlinge aber von den armen Alten reichlich bewirtet und liebevoll beherbergt. Als Dank dafür verschonen die Götter die beiden vor der Vernichtung, die tags darauf als Sintflut über die Welt hereinbricht und alles Leben auslöscht.

Nur eine kleine Figurengruppe verweist auf diese Fabel. Hauptthema des Bildes ist die entfesselte Natur mit ihrer ungezähmten, nicht kontrollierbaren Macht: Blitz und Donner; Regen und Sturm; ein Sturzbach, in dem eine brüllende Kuh verendet; eine Mutter, die verzweifelt ihren Säugling zu retten versucht. Eine apokalyptische Katastrophe ungeahnten Ausmaßes. Und dennoch findet sich auch ein Zeichen des Trostes. In der linken unteren Bildecke sieht man einen Regenbogen...

„Somewhere over the rainbow, way up high”, singt Judy Garland in dem berühmten Film „The Wizard of Oz“ (1939) und beschwört darin die Hoffnung auf eine fröhliche, farbenfrohe Wunderwelt jenseits des damals dräuenden Weltkrieges.

Gerade heute, in Zeiten der Flüchtlingsströme, des Klimawandels und der nuklearen Bedrohung, hat uns dieses Bild noch so manches zu sagen. Als Warnung, aber auch als Botschaft der Hoffnung.

Für das Theaterprojekt „Ganymed Nature“ im Kunsthistorischen Museum hat sich der Komponist Karlheinz Essl intensiv mit Rubens "Gewitterlandschaft" beschäftigt und dafür eine immersive Klanglandschaft geschaffen, die derzeit die Fotoausstellung „The Last Day“ von Helmut Wimmer im Bassano Saal des Kunsthistorischen Museums begleitet. Sie basiert auf algorithmisch generierten Klängen von Natur- und Wetterphänomenen: Wald und Wind; ein Bach, der zur Flut anschwillt; Donner und Blitz. Dazu Klänge, die auf Menschliches verweisen: raschelnde Schritte durch das Laub, die sich allmählich in High Heels verwandeln, mit denen eine Frau über den Asphalt stöckelt. Und dann noch Signale: die Sturmglocke und ein daraus abgeleitetes Klangband, das den Glockenton ins Unendliche fortspinnt.

Über allem aber schwebt die Poesie des Regenbogens; die Verheißung der Erlösung, ein Hoffnungsschimmer. Dafür hat Essl mit dem A-capella-Chor Tulln zusammengearbeitet und mit ihm Akkordstrukturen aufgenommen, die elektronisch transformiert werden. Die angedeuteten Melodiefragmente erinnern zwar an den bekannten „Rainbow“-Song, erscheinen aber in einer eigentümlichen harmonischen Verkleidung, die Luft von anderen Planeten erahnen lässt.

Für das KUNSTRADIO hat Essl eine eigene 49-minütige Mehrkanalfassung komponiert, die am 13. Mai 2018 in Kunstkopf-Stereophonie gesendet wird. Es empfiehlt sich, diesem Stück mit Kopfhörern zu lauschen, um ganz in den immersiven Klangwelten zu versinken.

Interview von Anna Soucek


Links:
http://www.khm.at/ganymednature/
https://www.khm.at/objektdb/detail/1630/
http://www.essl.at/works/wheres-the-rainbow.html