Sonntag, 12. April 2020, 23:03 - 0:00, Ö1

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RADIOKUNST - KUNSTRADIO




Knut Aufermann und Sarah Washington an der Mosel

“Location Podcasts“


1) “Quiet Morning Train in Helsinki” von Petri Kuljuntausta (FIN - YLE Radio)
2) “Haggling over Bones” von Miyuki Jokiranta (AUS - ABC Radio)
3) “On the shorelines of New York” von Mikko H. Haapoja (FIN - YLE Radio)
4) “Moselsteig Ürzig” von Mobile Radio (Sarah Washington, Knut Aufermann) (AT - ORF Kunstradio)
5) “From all directions / In Twilight” von Merzouga (Janko Hanoushevsky, Eva Pöpplein) (GER - Deutschlandfunk Kultur)
6) “Nightshift” von Ward Weis (BEL)





Das Radio ist eine Möglichkeit, sich an andere Orte zu denken; es erlaubt, mit den Ohren zu reisen. Angesichts der Reiseeinschränkungen, mit denen wir derzeit leben, klingen einige der Orte, die wir im Kunstradio besuchen werden, fast schon exotisch: eine belebte Markthalle in Melbourne, ein geschäftiger Platz in Göteburg, Uferzeilen in Queens und Brooklyn oder auch eine Sitzbank am Wanderweg Moselsteig.

Aufnahmen von diesen und vielen anderen Orten haben Künstlerinnen und Künstler für das Projekt „Location Podcasts“ gemacht, das die Ars Acustica Gruppe initiiert hat. Diese Gruppe innerhalb der Europäischen Rundfunkvereinigung EBU ist der Radiokunst gewidmet; sie besteht aus entsprechenden Redaktionen und Radiomacherinnen aus ganz Europa.

Podcasts, Radioprogramme und Musikstreams, die unterwegs über Kopfhörer konsumiert werden, gehören zu unserem Alltag und sie sind im alltäglichen Leben eingebettet – wir hören sie in einer spezifischen Umgebung, die in das Gehörte freilich hineinreicht. Diese Überlagerung von akustischen Ebenen machen sich die „Location Podcasts“ zunutze, denn sie sind genau dafür konzipiert, in Umgebungen gehört zu werden, die gar nicht den akustischen Inhalten entsprechen.

Aus dem Pool dieser bis zu 10 Minuten langen Hörstücke haben wir für die heutige Sendung einige ausgewählt, die lose einem Tagesverlauf folgen. Der Tag beginnt in Helsinki, an einem ruhigen Werktag, in einer fast leeren Zuggarnitur mit dem Stück „Quiet Morning Train in Helsinki“ von Petri Kuljuntausta, ein Beitrag des Finnischen Rundfunks.

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Der Ars Acustica gehören vornehmlich europäische Radiokunst-Programme an, aber es gibt auch Ausläufer bis nach Australien. Von der Australian Broadcasting Corporation ist ein Hörstück der Radiomacherin und Künstlerin Miyuki Jokiranta gekommen. Es heißt „Haggling over Bones“, also „Feilschen um Knochen“, und der Schauplatz ist der Queen Victoria Market in Melbourne, mit sieben Hektar der größte Markt der südlichen Hemisphäre angeblich. Die ursprüngliche Anlage und die viktorianische Architektur sind zu einem großen Teil intakt und in Betrieb, wiewohl eine große Sanierung ansteht. Das Radiostück „Haggling over Bones“ ist ein Spaziergang durch den bei Touristen überaus beliebten Queen Victoria Market, mit gelegentlichen Abstechern zu weniger frequentierten Attraktionen.

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Von Melbourne legen wir gute 17.000 Kilometer Luftlinie zurück und finden uns wieder in New York City. Der finnische Soundkünstler Mikko Haapoja hat die Stadt 2016 und 2019 besucht und Aufnahmen entlang der Uferzonen gemacht, von Rockaway Beach bis zum Hudson River: „On the Shorelines of New York“.

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Ein weiterer Schauplatz ist eine Sitzbank am Moselsteig bei Ürzig, wo die Radiokünstler Knut Aufermann und Sarah Washington leben. Vogelgezwitscher und Glockenläuten, die man mit der idyllischen Landschaft um die Mosel verbinden würde, gehen in „Moselsteig Ürzig“ unter in einer Symphonie aus Bau- und Verkehrslärm. Das ist der riesigen Autobahnbrücke geschuldet, die unlängst in Betrieb genommen wurde. Die Aufnahme entstand am Dienstag, den 10. Dezember 2019, um 14:33 Uhr.

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Der „Location Podcast“-Tag nimmt seinen Verlauf, und als es zu dämmern beginnt, finden wir uns wieder auf dem Brunnsparken, einem belebten Platz im Zentrum der südschwedischen Stadt Göteborg. Passanten mit Einkaufstaschen, Büromenschen in Anzügen und Obdachlose sind hier anzutreffen, Teenager treffen sich bei einem Springbrunnen. Straßenbahnen, Busse, Autos, Fahrräder, Lastwägen. Möwen kreisen über dem Kanal, Tauben streiten um Brotkrumen. Dazu der Beat von Presslufthämmern auf einer Baustelle. Wolken ziehen auf, Regen setzt ein und der Platz leert sich. „From all Directions / In Twilight” heißt dieses Stück von Merzouga, das ist ein Duo bestehend aus der Computermusikerin Eva Pöpplein und dem E-Bassisten und Radioautor Janko Hanushevsky.

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Ein Ort, an dem selbst dann rege Aktivität herrscht, selbst wenn die Stadt rundum schläft, ist der Hafen von Antwerpen. Dort werden auch in der Nacht Schiffe beladen und entladen, Güter gelagert und Rohstoffe produziert. Der belgische Radiokünstler Ward Weis lädt mit seinem Stück „Nightshift“ ein auf einen Spaziergang durch den Hafen seiner Heimatstadt Antwerpen, aufgenommen zwischen 23 und 1 Uhr.

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Die „Location Podcasts“ sind entstanden bevor sich das öffentliche Leben durch die Ausgangsbeschränkungen radikal geändert hat. Wie es an Orten wie eben dem Brunnsparken im Göteborg, dem Queen Victoria Market in Melbourne oder in einer morgendlichen Zuggarnitur in Helsinki dieser Tage während der Pandemie klingt, wissen wir nicht. Vielleicht sind diese „Location Podcasts“ ja auch zu hören als Erinnerungen an eine Zeit vor Corona – in jedem Fall aber sind sie das Angebot, sich mit den Ohren an einen Ort zu begeben, der ganz anders klingt als jener, an dem man sich befindet.


Links:
EBU Ars Acustica Gruppe