Sonntag, 23. Februar 2020, 23:03 - 00:00, Ö1

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RADIOKUNST - KUNSTRADIO




„Knallfunken“
von Raviv Ganchrow
Produktion: Deutschlandfunk Kultur 2019

PLAY



„Knallfunken“ von Raviv Ganchrow ist eine Versuchsanordnung zwischen Nauen in Brandenburg und Neuseeland, und zugleich eine Expedition in die Frühgeschichte des Radios. Denn Knallfunken, so heißt eine Funktechnologie, mit der die drahtlose Übertragung von Morsecodes Anfang des 20. Jahrhunderts erstmals umgesetzt werden konnte – 1901 ist etwa die erste Funkverbindung über den Nordatlantik zustande gekommen. Über Miniaturblitze werden Signale produziert, die über weite Distanzen empfangen werden können.
Ihren Ursprung hat die Knallfunken-Technologie in den bahnbrechenden Experimenten von Heinrich Hertz. Mit der Interpretation und Rekonstruktion von Hertz‘ Versuchen, elektromagnetische Wellen zu übertragen, hat sich Raviv Ganchrow 2018 im Rahmen einer Residency im Künstlerhaus Bethanien befasst und in der Folge das Projekt „Knallfunken“, auf Englisch „spark gap“, entwickelt, das im Kunstradio als Radiostück von knapp 40 Minuten Länge präsentiert wird.

Der in Amsterdam lebende Künstler und Theoretiker Raviv Ganchrow sieht „Knallfunken“ als letzten Teil einer Trilogie, die 2013 im Hörspielstudio des ORF Funkhauses in Wien mit der Produktion von „Radio Plays Itself“ ihren Anfang genommen hat. Hier hat Ganchrow mehrere Tage verbracht und Aufnahmen mit teils selbst gebauten, übersensiblen Mikrophonen gemacht: Aufnahmen für ein Hörspiel ohne Schauspieler, Statistinnen, Regisseure und Tonmeisterinnen, allein aus den vorhandenen Klängen der Gegenstände, der Einrichtung und des Raumes.

Der zweite Teil der Trilogie über die Sounds des Sendens und die Materialität der Radioübertragung, „Forecast for Shipping“, befasste sich mit dem Material und den räumlichen Eigenschaften von Radioübertragung am Fallbeispiel der berühmten „Shipping Forecast“, also der Wetternachrichten für die Seefahrt, auf Radio 4 der BBC. Fünf Aufnahmeteams haben an verschiedenen Orten ein einziges Signal aufgenommen und verfolgt, zwischen dem Radiostudio im Broadcasting House in London, an Bord eines Schiffes, bei der Übertragungsantenne, sowie an hunderte Kilometer entfernten Transistorradios. „Forecast for Shipping“ hat Raviv Ganchrow als Mehrkanal-Audioinstallation erstmals 2014 präsentiert.

Mit seinem Radiokunstprojekt „Knallfunken“ macht Ganchrow ein komplexes, weltumspannendes Gefüge aus elektromagnetischen Feldern und Schaltkreisen hörbar. Seinen geographischen Ausgangspunkt nimmt „Knallfunken“ in der brandenburgischen Stadt Nauen, die sich auch als „Funkstadt“ vermarktet – denn in Nauen wurde 1906 eine Großfunkstelle eingerichtet, die frühen und bahnbrechenden Versuchen der drahtlosen Kommunikation diente. In der goldenen Zeit des Radios, genauer 1920, wurde das majestätische Hauptgebäude errichtet, das selbst als enormer elektrischer Schaltkreis entworfen wurde. Der Künstler Raviv Ganchrow hat in diesem Gebäude und am 40 Hektar großen Gelände rundum gearbeitet und aus der Übertragungstechnologie Knallfunken ein Radiokunst-Projekt abgeleitet: Er hat Nauen und seine ortsspezifischen Geräusche mit dem am Globus weitest entfernten Ort verbunden. Diesen hat er in Neuseeland lokalisiert. Dort wurden Antennen installiert, die Übertragungssignale aus Nauen empfangen konnten, über verschiedene Brechungen und Reflektionen im Raum zwischen Erdoberfläche und Ionosphäre, gefiltert und manipuliert durch verschiedene elektromagnetische Felder und Kreise auf dem Weg rund um den Erdball. Über 220.000 Kilometer hat das akustische Material, das Raviv Ganchrow zwischen Nauen und Neuseeland hin- und hergeschickt hat, zurückgelegt.

Das Stück “Knallfunken”, das im August 2019 von Deutschlandfunk Kultur uraufgeführt wurde und das mit dem Prix Phonurgia Nova ausgezeichnet wurde, hat Raviv Ganchrow als Bewegung durch verschiedene Übertragungsräume konzipiert. Dazu gehört nicht nur die Langstrecken-Verbindung zwischen Nauen und Neuseeland, sondern auch elektromagnetische Ereignisse dazwischen, vor Blitze, selbst wenn diese tausende Kilometer entfernt sind, aber zufällige Ereignisse vor Ort, etwa ein Vogelzug über dem herbstlichen Nauen, oder Bienen, deren Stock gerade gereinigt wurde, als Ganchrow erstmals mit Mikrophonen für Feldaufnahmen das Gelände erkundete.

Nach der Einleitung des Stückes durch den Bienenschwarm, öffnet sich der große Kreislauf bzw. elektrische Schaltkreis – auf dem rechten Kanal beginnt die Reise der Signale in Richtung Osten, auf dem linken in die Gegenrichtung nach Westen. Zu hören sind Sounds, die sich durch elektromagnetische Wellen im Umlauf der Kurzwellen-Übertragung bewegen.

Das Projekt wurde durch die Unterstützung der Mondriaan Stiftung ermöglicht.

Links:
Essay on “Knallfunken” by Raviv Ganchrow
Essay über „Knallfunken“ von Raviv Ganchrow
Prix Phonuriga Nova