Sonntag, 29. März 2020, 23:03 - 0:00, Ö1

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RADIOKUNST - KUNSTRADIO





“Abenteuer“

von Udo Moll

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Das Hörstück Abenteuer befasst sich mit einem relativ neuen Genre von Computerspielen, den so genannnten „audio games". Ursprünglich als Spiele für Menschen mit Sehbehinderung und blinde Spieler konzipiert, haben diese Spiele in den letzten Jahren auch außerhalb der blinden gamer-community an Popularität gewonnen.
Ihre erste Blütezeit hatten die audio games, als Mitte der 1970er Jahre die ersten Computerspiele überhaupt auftauchten. Diese waren rein textbasiert, da Computer damals noch keine Grafiken darstellen konnten. Das Erste dieser Text-Spiele, das dem ganzen Genre auch seinen Namen gab, war "Adventure" (auch bekannt als ADVENT oder Colossal Cave Adventure), das 1976 von Will Crowther geschrieben und erstmals im ARPANET, dem militärisch-akademischen Vorläufer des World Wide Web, veröffentlicht wurde. Da all diese frühen Text-Adventures fast ohne grafische Darstellung auskamen waren sie für sehbehinderte Spieler relativ gut zugänglich: es mussten ja lediglich die Texte durch Text-to-Speech-Systeme in gesprochene Sprache übertragen werden. Dies änderte sich natürlich, als die Computer schneller wurden und die Spiele immer mehr grafische Elemente und Videosequenzen verwendeten. Von da an entstand innerhalb der Bilnden-Community eine lebendige Untergrundszene von Hackern und Programmierern, die begannen, ihre eigenen Spiele zu programmieren oder versuchten, bestehende Videospiele zu modifizieren und anzupassen. Die meisten dieser frühen Adaptionen waren recht roh und improvisiert, aber dennoch recht charmant. Seit kurzem interessieren sich einige kleine Spielehersteller wieder für audio games und versuchen, einen Markt für ihre Kreationen zu finden. Die meisten Spiele dieser neuen Generation klingen wirklich professionell und werden mit viel Liebe zum Detail produziert.

Von der Darstellung nicht zu sehender Vorgänge durch Sprache und Klang bei den audio games hin zur sprachlichen Beschreibung klingender Phänomene durch Dichtung ist es nur ein kurzer Weg. Der Barockdichter Georg Phillip Harsdörffer veröffentlichte 1647 sein Hauptwerk "Poetischer Trichter oder Die Teutsche Dicht- und Reimkunst/ ohne Behuf der Lateinischen Sprache/ in VI Stunden einzugiessen. Samt einem Anhang Von der Rechtschreibung / und Schriftscheidung/ oder Distinktion". Die für Abenteuer aus dem „Trichter“ ausgewählten Passagen beschäftigen sich mit den mannigfaltigen onomatopoetischen Möglichkeiten, Klänge aus der Natur und der Tierwelt zu beschreiben.

Ein weiterer Aspekt des Stückes ist die Geschichte der computergestützten Sprachsynthese. Wir hören einige sehr rohe und nur schwer verständliche computergenerierte Sprachbeispiele aus frühen, von der community produzierten audio games, dann einige neuere Beispiele. Der offensichtliche Höhepunkt dieser Entwicklung ist aber das neue „Google-Cloud-Text-zu-Sprach-Synthese“-System, das auf künstlicher Intelligenz basiert und extrem naturalistische Ergebnisse produziert. Wirklich interessant wird es, wenn man "künstliche Sprecher" wählt, die nicht dieselbe Sprache sprechen wie der Text, den man in das System eingibt. In Abenteuer wird ein deutscher Text (... der Werbetext des Google-Systems selbst) zunächst mit verschiedenen holländischen Stimmen synthetisiert, und danach mit chinesischen, koreanischen und japanischen Stimmen als Chor.

Im letzten Teil des Stückes werden die berühmten Eröffnungssequenzen des ersten Text-Abenteuers "Colossal Cave Adventure" von den gleichen Google Cloud-Stimmen, aber diesmal mit deutschen Sprechern, gesprochen. Obwohl die Verständlichkeit der Sprache selbst extrem gut ist, sind wir hier immer noch verwirrt, denn die Kommunikation mit den Textparsern, die von den frühen Text-Adventures verwendet werden, ist ziemlich schwierig: das Vokabular, das die Maschine versteht, ist sehr limitiert. Der Spieler muss bestimmte Formulierungen verwenden, sonst kann der Parser sich keinen Reim darauf machen und antwortet auf recht unsinnige Weise. (Text: Udo Moll)