Sonntag, 27. März 2022, 23:00 - 0:00, Ö1

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Diese verschneite Zeit - Eine akustische Postkarte

von Dieter Sperl


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Von 6. bis 8. Juni 2019 war Dieter Sperl, Dichter und Herausgeber des Literaturfolders flugschrift, auf Einladung der Sprachkünstlerin Hanne Römer im Schloss Wolkersdorf im Weinviertel. Dort hat er an dem Kunstprojekt The Castle, eine Selbstinternierung, mit einer im Keller seiner Eltern aufgefundenen Schachtel, auf der sein Vorname steht und in welcher an ihn gerichtete Briefe und Postkarten aus vielen Jahren sind, teilnahm, um in den sogenannten Marek-Räumen mit zehn weiteren Künstlerinnen und Künstlern die Arbeits- und Denkprozesse als offenes Bühnenstück darzustellen und aufzuführen.

In einem zweiten Arbeitsschritt hat der Autor – während eines Lockdowns im Jahr 2020 – sämtliche dieser wiedergefundenen Briefe und Postkarten durchgelesen (jedes Wort, jede Zeile, jeden Poststempel) und aus Textpartikeln eine Textkomposition erarbeitet, bei der er sich auch von den aufgelesenen oder erkannten (im Sinne von Marcel Duchamp) und von ihm so bezeichneten freien, also vom Kontext befreiten, Partikeln zu neuen Verbindungen und/oder Erzählmanövern hinreißen ließ, die in die Komposition Eingang fanden. Text-Komposition meint in diesem Fall: Montage von und Improvisation zu Textmaterial. Die Bruchstücke aus den Briefen und Postkarten werden von der Zuneigung des Autors getragen und arrangiert: Das Höchstpersönliche und das Allgemeine rutschen ineinander und erschaffen ein Dazwischen, das sich in mehre Richtungen aufmacht und in der Gegenwart vibriert. In Ihnen spürt man die vergangenen Tage und ihre Gedanken und erfasst etwas von den Menschen (wenn auch nur als homöopathische Spur), die die Briefeschreiber/innen damals waren und die jetzt verschwunden sind und dem Autor, der er damals war und der jetzt verschwunden ist.

Die akustische Postkarte wäre als eine weitere Antwort zu sehen auf die Frage, die den Autor seit Jahren umtreibt, nämlich wer wir denn sind? Und was es heißt, wenn wir diese Frage nicht mit Wirklichkeit beantworten, weil wir sie stets nur mit Konzepten, Gedanken und Sprache beantworten können. Wirklichkeit als sprachliches und damit gesellschaftliches und damit von Gesellschaften generiertes konstruiertes Konstrukt?

Und weiter gefragt: Gibt es eine Wirklichkeit (Realität) jenseits sprachlicher Konstrukte?

2021/2022 vertont Sperl das Stück gemeinsam mit dem Instant Composer Michael Fischer und der Sängerin Nika Zach. Komposition und Improvisation bilden auch bei diesem Arbeitsschritt die Pfeiler des Hörstücks.

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