Gestern war Bolzens Vortrag vor der September-Akademie der ÖVP. Ich war da, und andere warn auch da. Für die kommenden Vorträge sei allen mitgeteilt, dass es ein Buffet gab. Allerdings war das vom unglaublich wohlerzogenen grossbürgerlichen Publikum schon *vor* Beginn der Veranstaltung leergefressen. Soviel zum Sittenverfall im bürgerlichen Lager.
Bolzens Vortrag war weniger eine Analyse als eine Einschätzung, die er so auch vor Managern, Politikern oder sonstwie fachfremden Personen hätte geben können. Wenig von Medientheorie also zu spüren. Er verwahrte sich vor allem gegen kulturpessimistische Kritiker der neuen Medien, am sympathischsten seien ihm die Euphoriker, weil man sowieso nichts an der Mediendynamik ändern könne und darum das Ding offenbar auch gleich umarmen kann.
Die Kritiker warf er so ziemlich immer in einen Topf mit den Labels "sozialdemokratisch", "gesellschaftkritisch" oder "alteuropäisch". Alteuropäisch ist bekanntlich das Luhmannsche Schimpfwort gegen alles, was nicht Systemtheorie ist, und so waren Bolzens Einschätzungen auch systemtheoretisch unterfüttert. Obwohl ich ihm teilweise zustimme, zieht er - wie die Systemtheorie - die falschen (deterministischen) Schlüsse.
Z.B. will er richtigerweise vom Begriff Medium als Mitte und vom Begriff Komunikation als geglückter Abschied nehmen. Sein (systemtheoretisches) Argument ist, dass Verständigung nur innerhalb eines Systems funktioniert aber nicht mit dessen Umwelt, die für das System nur Rauschen und Störung ist. Sein Beispiel war die Politik. Entweder man gehört dazu, dann kann man mitreden (etwa als Partei) , oder man gehört nicht dazu, dann kann man nur stören (demonstrieren etc.).
Das Problem ist, dass bei Luhmann wie bei Bolz ein sich abgeklärt zynisch gebender Konservatismus dabei herausschaut. Eingriffe in selbstlaufende "auto-poietische" Systeme, z.B. ins Mediensystem, sind verboten, weil sie eh nichts bringen. Die Frage ist nur, warum man dann von ihnen abraten muss. Was gerade noch erlaubt ist, ist Entparadoxisierung, damit alles noch geschmierter läuft. Die Ideologie, die das überwölbt, ist ein sich anti-ideologisch aufspielender moralischer A-Moralismus, dessen Feind die Ideologie der Sozialarbeiter, Kerzenträger und "Guten Menschen" ist. Dieser Feldzug kommt mir - obwohl ich die gerade genannten auch nicht ertrage - ziemlich "80ies" vor.
In Deutschland gibts ja jetzt genau dieses Rechtfertigungsproblem, das Leute wie Diederichsen haben, die in den 80ern die Sozialarbeiter-Ideologie bekämpft haben, und jetzt feststellen, dass es noch schlimmer kommen kann, wenn der sozialarbeiterische Konsens ("die Gesellschaft ist schuld") aufgelöst wird und die repressive Toleranz nur mehr repressiv und nicht mehr tolerant ist. Im Rückblick stellt sich heute sogar heraus, dass die sozialdemokratische Hegemonie, die solche Leute in den 80ern bekämpft haben, tatsächlich nie existiert hat.
Aber während Diederichsen das einsieht, weil er sich eine rest-kritische Einstellung erhalten hat, nudelt Bolz diese Leier weiter und weiter triumphierend durch - und bekommt natürlich mehr und mehr Schulterklopfer. In Österreich kennen wir ähnliche Strategien von KP Liessmann, der leider immer noch nur auf der Höhe seiner 80er-Jahr Texte ist, und glaubt, das heutige Problem seien immer noch die "Gutmenschen" und nicht die Nazis. Rudolf Burger hat das auch praktiziert, allerdings von einer wesentlich aufgeklärteren Warte aus. Das Problem ist, dass die Kritik an den Gutmenschen (oder den kulturpessimistischen Medienkritikern) ja nicht falsch ist, dass sie nur oft ausblendet, dass der wahre Feind woanders steht.
Das erinnert mich zum Abschluss an eine Diskussion im Republikanischen Klub mit der SPÖ-Abgeordneten Pittermann (Tochter desselben). Die Analyse der Dame bez. Haiders Aufstieg hat sich auf ein Kinderfreunde-Lamento über Gewalt im Fernsehen beschränkt und darauf, dass die Kinder ja heute viel schlechter schreiben und lesen könnten als früher. Als hätten die Haider-Wähler alle zuviel Tom und Jerry gesehen. Da wünsch ich mir dann schon mal kurz einen Bolz am Podium.