[ATTACKEN]

OLIVER MARCHART


etoy - oder Schwachsinn hat einen Namen

19. September 1996


Zum Phaenomen des Karrierismus in Orange

Wer auf der Ars Electronica staendig ueber irgendwelche orangenen Pipelines stolperte, mit der sie sich im Designcenter breitgemacht hatten, der hat sie spaetestens dann kennen und lieben gelernt. Seit ihrer Selbstdarstellungsorgie auf der Ars gelten sie als die unnoetigsten und penetrantesten Idioten der Medienkunst: etoy.

Das Geheimnis ihres Erfolges liegt in ihrer konsequenten optischen Umsetzung von Hacker-Glam und allem anderen, was an der Netzideologie immer schon laecherlich war (die echten Freaks tragen bekanntlich Baerte, Sandalen und Schafwollpullover, nur die Medien-Kunstwelt stilisiert sich zunehmend in eine allgemeine Techno/Rave-AEsthetik).

Eine solche Hacker-Corporate Identity hat offensichtlich einen symbolischen impact, dem sich kein Medium entziehen kann. Von Presse- und Fernsehteams wurden etoys fotografiert und gefilmt in allen moeglichen und unmoeglichen Posen: im Laufen, im Stehen, im Sitzen, von hinten, oben, vorn, aufgefaedelt hockend oder choreographiert leere schwarze Koffer herumreichend. Man wartete nur darauf, dass sie anfangen, fuer die Kamerateams menschliche Tuerme und Pyramiden zu bauen, a la "Begnadete Koerper".

In einem Akt unueblichen Selbstzweifels merkte die Jury in ihrer Preisbegruendung an, einem Mitglied sei der Verdacht gekommen, dass es sich bei etoy moeglicherweise doch um einen Hype handelte: "Vielleicht hat er recht", so die Jury, "Vielleicht ist 'etoy' wirklich bloss ein Hype. Wenn schon, dann aber wirklich gut gestaltet, und im Netz ist das schliesslich so gut wie wirklich". Nicht moeglich!!! Etoy ein Hype? Was fuer ein erstaunlicher, fernliegender Verdacht, und was fuer eine tolle philosophische Rechtfertigung von wegen Wirklichkeit im Netz, die ja gar nicht so echt sein braucht. Nach dieser Begruendung darf man eigentlich nur noch Hypes auszeichnen. Auf welcher Suppe ist diese Jury bloss dahergeschwommen.

Wenn eine Jury schon unfaehig ist, Preiswuerdiges zu erkennen, dann sollte sie doch wenigstens einen Hype als Hype erkennen (im Fall etoy kann das ja der Rest der Internet-Community auch, wie u.a. schon die ueber den ausgezuzzelten Hacker-Schmaeh empoerten Leserbriefe auf das Falter-Interview belegten) - und dabei nicht auch noch die eigene Unschluessigkeit zum Argument machen.

Am etoy-Karrierismus bleibt eigentlich nur eine Frage offen: Handelt es sich bei etoy um eine an der juengsten Kunstgeschichte, an General Idea oder an Art Club 2000, geschulte BusinessArt-Strategie, oder handelt es sich um eine quasi "natuerliche" Taktik. Ich denke, es spricht einiges fuer die zweite Annahme. Man braucht, um Medienaufmerksamkeit zu erregen, keine grossartige Schulung an irgendwelchen Vorbildern. Jeder Bauer kann sich an fuenf Fingern abzaehlen, dass es reicht, wenn sich ein paar Leute den Schaedel rasieren, dieselben neon-knalligen Jacken umhaengen und kollektiv militant, am besten noch mit verspiegelten Sonnenbrillen auftreten, um der massiven Medien-Coverage sicher zu sein. Etoy baut also nicht auf genialen Business-und-doch-Businessverarschungs-Strategien auf wie General Idea oder K Foundation, sondern auf "Bauernschlauheit". Radical Chic war schon immer der beste Weg in die Medien. Um das zu spueren, braucht man kein Hirn, das einer der sieben Zwerge angeblich besitzen soll.

Aber ihr Radical Chic gleitet darueberhinaus - und das macht ihn besonders widerlich - in ein pubertaer macho-maessiges Pseudoskinhead-Kraftlackl-Gehabe ab, an dem nicht der Funken von Ironie, wie das die Jury misdeutet, sondern nur von Selbstverliebtheit und Karrierismus zu erkennen ist. Etoys Spielen auf der Klaviatur von Geschlechter-Stereotypen subvertiert diese nicht, sondern staerkt sie. Genauso wie das Corporate Business und die Spektakelgesellschaft von ihnen gestaerkt und nicht subvertiert wird. Es handelt sich bei etoy ja auch weniger um ein ironisches oder parodistisches Spielen als um ein Cluster-Anschlagen mit dem Unterarm.

Kein Wunder, dass von den Herren in den Muellsaecken, die sich selber das Design einer Formel 1-Crew andichten, ein Radiomoderator sagte, ihrem AEusseren nach koennten sie auch die "freiwillige Feuerwehr von Joerg Haider" sein.

Um sich ihre eingebildete Untergrund-Credibility irgendwie zu erhalten, kuendigten sie schliesslich eine Sabotage-Aktion der Goldenen Nica-UEberreichung an. Das Problem mit den angekuendigten Revolutionen ist, dass sie manchmal doch stattfinden. Aber nur wie. Die Medienwelt fragte sich: Was wuerden die Spielzeug-Terroristen bei der Preisverleihung wohl auffuehren. Und tatsaechlich: Die angekuendigte Subversion der Preisverleihung fand statt: Unbeeindruckt vom staatlichen Gewaltapparat nannten sie naemlich in einem Akt niegesehener Dissidenz und terroristischer Todesverachtung ihre Sponsoren. Wow! Hochachtung meine Herren, dazu gehoert Mut. Ein Schlag ins Gesicht des Establishment! Um ihrer terroristischen Kamikaze-Gesinnung zusaetzlichen Ausdruck zu verleihen, posierten sie dann noch mit Bundeskanzler Vranitzky fuer ein Gruppenfoto.

In der Schlussphase der Ars ging die selbstdarstellerische Penetranz der losgelassenen Zitrusfruechte jedenfalls allen so auf den Wecker, dass etoy zum allgemeinen Witzkatalysator avancierte. Die einen stahlen etoys die Jacke, andere wollten eine etoy-Gartenzwerg-Kollektion auf den Markt werfen. Der meistgenannte Vorschlag war wohl, ihre Webseiten zu entfuehren (wobei ich denke, man muesste schon sie selber entfuehren, damit eine Ruhe ist). Und schon taten sie einem wieder leid (aber nur fuer eine Millisekunde!).

Schreiten wir damit zur endgueltigen Beantwortung der Frage: Was also ist etoy? Ein gefinkelter Transfer von PopArt-Strategien in die Netzkunst, oder schlicht eine hirntote Neonpissercombo? Sehrverehrte Damen und Herren, Sie koennen Ihre Grossmutter darauf verwetten, dass letzteres.

Oliver Marchart

tel.: 0043 1 983 82 69 Loeschenkohlg.30-32/6/12
e-mail: oliver@t0.or.at Austria - 1150 Wien


[TOP]