[ATTACKEN]

OLIVER MARCHART


FREE FALL



18. MAI 1996
319 Grand St., New York



plus Bonus-Gespräch mit Erwin Redl


Was immer Free Fall bedeuten soll, zum freien Fall der Vernissagen-Hopper kam es bedauerlicherweise nicht, da das offene Dach wegen Schlechtwetters gesperrt war und die Show ins Innere verlegt werden musste. Dort floss das dünne Bier. Wahrscheinlich ist es nicht mehr möglich, für Vernissagen-Partys Kunst zu produzieren, ohne sich gleichzeitig mit der verblödeten Sozial-Event Situation, die dabei immer entsteht, auseinanderzusetzen. Die besseren Arbeiten taten das auch. Peter Sandbichler projezierte einen schmalen, sich mit jungen adretten Menschen füllenden und leerenden Raum (natürlich im Trabant aufgenommen, wo sonst). Karen Kimmel stellte gleich Sitzpolster und vor allem Bierhalter zur Verfügung.

Vollkommen aus dem Zusammenhang der vielen Spasskunst fiel die Arbeit Erwin Redls, die sich schon örtlich - am oberen Absatz der Treppe, die wegen Schlechtwetters eben nicht zum roof führte - von den anderen absetzte.

Für die übrigens von Thomas Sandbichler für desselbigen New Yorker Wohnung/Gallerie/open-roof kuratierte Show hat Redl sich auf eine corner study, so der Titel, beschränkt. Übers Eck arrangierte Monitore lassen über eine Zeitdauer von knapp 20 Minuten ein schmal schwarz-weiss gestreiftes Bild in Grau übergehen. Gekoppelt, wie meistens bei Redl, mit einem parallelen Vorgang im Sound. Mit seinem offenen Bekenntnis zur Abstraktion fällt er aus dem "Free Fall" und der fröhlicheren Vernissagen- und Party-Kunst, wie man ihr nirgends mehr entkommt.

Erwin Redl hat in Wien an der Musikakademie studiert und einen M.F.A in Computer Art von der School of Visual Arts, New York. Von ihm stammen Arbeiten u.a. für die Kunsthalle Krems, die Ars Electronica 91 oder das Visual Arts Museum, NY. Für die Blau Gelbe Gallerie stammt etwa eine Installation mit dem Titel "Parallel doubt on the distinction between truth and beauty", die wie auch andere seiner Arbeiten, in fast unmerklicher Langsamkeit Verschiebungen vornimmt: Hier über einen split screen zwischen den drei Primärfarben und zwischen den fast identischen Portraits eines lächelnden und eines ernsten japanischen Gesichts. Eine Strategie, die man vielleicht als Minimal Morphing beschreiben könnte.

I: Partys und die Ecken der Avantgarde

Oliver Marchart: Es läuft gerade ein Brüderlinsches Gemeinschaftprojekt zwischen Kunstraum Wien und The New York Kunsthalle, dessen Wiener Teil, höre ich, ziemlich gut angekommen sein soll. Dieses eine ausgestellte und umgedrehte New York Kunsthallen-Büro hier in der Kunsthalle, das stammt zwar nicht von einem Österreicher (sondern von Glen Seator), das hat aber schon was abstossend Megalomanisches. So wie der ganze New York-Teil zumindest einen etwas abgehangenen Eindruck macht (Wurm, Kowanz). Dagegen ist Free Fall, wo du ausstellst, die cheapy-Version der austro-amerikanischen Freundschaft, die mir im Zweifelsfall sympathischer ist, die aber mit dem blöden Coolheits-Faktor arbeitet.

Erwin Redl: Ja, ganz klar. Das ist auch eine ganz andere Szene. Es ist schwer, darüber ein Qualitätsurteil abzugeben. Wie bei jeder Eröffnung geht man zu einem sozialen Ereignis, und wenns einem genug vom ersten Eindruck her interessiert, geht man nachher nochmal hin und schaut sich die Arbeiten einzeln an.

OM: Ich möchte das jetzt nicht aus einer kulturkonservativen Position aus kritisieren. Ich bin auch nicht für die Meditationsausstellung, aber mein Problem damit ist, dass so ziemlich alles zur Party wird.

ER: Man muss die Leute ein bisschen eingarnen, wie in jeder sozialen Situation, das geht vom Fussball bis zur Philosophie, wahrscheinlich. Das findet vor allem deswegen statt, weil es in der Kunst derzeit halt keine Richtlinien gibt im Sinne von ästhetischen, inhaltlichen oder konzeptuellen Ansätzen.

OM: Na die Richtlinie ist die Party, offensichtlich.

ER: Die Richtlinie ist, dass es Vergnügen bereitet.

OM: Und warum macht man nicht gleich eine Party, so wie das Matta Wagnest und Rockenschaub gerade in ihrem Labor in der Kunsthalle machen. Die machen gleich einen chill-out-Raum. Warum noch die blöden Objekte?

ER: Da ist halt unter anderem noch der Bildungsbürgeranspruch. Es muss halt noch Kunst dabeisein.

OM: Die ist ja im "Rave als schöne Kunst betrachtet"-Ansatz auch irgendwie dabei.

ER: Aber da ist sonst nichts anderes mehr dabei, hier gibts noch eine Tiefendimension, hoffentlich.

OM: Für die gestrige Eröffnung von Free Fall haben die einen fröhliche Wanddekorationen abgeliefert, etwa mit Dildo-Sucken (Jenny Silitch). Das hat gut zum Bier gepasst. Deine Sache hat dagegen ein modernistisches Ethos.

ER: Ja, ich hänge dem auch vollkommen an. In unserer Zeit kann man jedem Ethos anhängen. Man kann Flux anhängen, man kann die Party zum eigentlichen Event erklären, man wird Beamter oder man hängt einer gewissen Ästhetik an, die eine Tradition hat.

OM: Es kommt ja jetzt schon wieder das Interesse an der Moderne und an der Abstraktion damit. Es erscheinen zum Beispiel keine Bücher mehr über die Postmoderne, sondern hauptsächlich wieder über die Avantgarde, und insofern ist diese modernistische Ethos ja nicht etwas Altmodisches, sondern im Gegenteil.

ER: Ich habe andere Arbeiten auch gemacht, aber ich konzentriere mich jetzt einfach auf diese Richtung. Man muss sich entscheiden und die Parameter abstecken, damit man mit diesen Parametern umgehen kann.

OM: Dein Werk heisst "corner study". Die russische Avantgarde hat ja damit begonnen, die Ecke als nicht genutztes Raumelement in der Ausstellungssituation zu aktivieren.

ER: Ich beziehe mich da auf die Idee von Flavin, dass man mit nur einer Lampe im Eck das Eck auflösen kann. Da ich von einem sehr flachen Medium wie dem Computer herkomme, sag ich, es muss nicht flach sein: daher corner study. "Studie" deshalb, weil es zu anderen wirklich dreidimensionalen Projekten führt mit 5 Grossprojektionen, etc.

OM: Wobei es ja in diesem kleinen Format im Eck noch viel mehr an die russische Avantgarde erinnert.

ER: Es gibt kein definitives Ende, gerade wenn man mit diesem Medium arbeitet. Es gibt viele Versionen davon. Ich versuche für das, was ich mache, ein Standardformat oder eine Standardpalette zu entwickeln. Vor jeder Installation den Soundtrack als Audio-CD präsentieren. Das eigentlich Werk dagegen hat kaum Objektcharakter und besteht nur in Zeitmedien wie Licht oder Raum. Das fetischistische Objekt interessiert mich in der Kunst wenig. Trotzdem, so wie eine Reliquie nur an etwas erinnert, wieso soll man dem Zuschauer nicht irgendeinen Anhaltspunkt geben. Und das kann von einer Postkarte über eine CD bis zu einem Katalog gehen.

OM: Ein Relikt.

ER: Ja, und ich finde das selbst als Nicht-Objektkünstler nicht ausschliessend.

OM: Dazu ist es ja bei Performance-Kunst genau gekommen, die musealisiert wurde über die Relikte. Die werden dann von den Besuchern wahrgenommen als eigentliches Kunstwerk.

ER: Ich kann das nur vollstens unterstützen, wo leben wir denn, dass es verboten sein sollte, gute Dinge zu dokumentiern und herzuzeigen. Dann muss man wirklich sagen, ich hör auf mit Kunst und werde Sozialarbeiter, Agitator oder irgendwas. Ist vollkommen legitim. Aber man kann der Kunst nicht verwehren, in einer Dokumentation Sachen an die Öffentlichkeit zu bringen. Wenn Yoko Ono CDs macht, die der absolute Kommerz sind, wo ist dann das Problem, wenn Fluxus-Relikte zu hohen Preisen verkauft werden? Dass viele damals am Hungertuch genagt haben, sorry.

OM: Nein, ich hab da kein moralisches Problem damit. Es ist einfach nur die Frage, kann die Kunst ihrer Objektifizierung überhaupt entgehen. Du kannst die reinste Konzeptkunst machen, nach zwanzig Jahren wird immer was an die Wand gehängt. Es muss immer ein Objekt zirkulieren können.

II: Mit dem Taschenrechner komponieren: Blöcke und Raster

ER: Schon wie ich ausschliesslich mit Musik beschäftig war, hat sich für mich die Erkenntnis ergeben, dass Tonhöhe mit Tondauer eine Achse hat, wo sie sich schneidet. Daraus habe ich diese Theorie der parallelen Musik entwickelt und sehr viel mit dem Taschenrechner komponiert - ich hab damals noch keinen Computer gehabt. Dann ist das über Licht gegangen. Und dann kann man beides natürlich in Relation setzen. Mit Grossinstallationen mit Projektionen, die ich in Zukunft machen will, geht dann auch der 3-dimensionale Raum in das ein. Und es gibt ja das Phänomen in der Akkustik, dass bestimmte Töne in bestimmten Räumen verstärkt werden. Etwa weil bei einem Würfel die Kantenlänge einfach ein Vielfaches der Wellenlänge des Schalles ist. Und dadurch werden die Knotenpunkte der Welle genau ganzzahlig reflektiert. Das heisst, dieser Raum wird extrem verstärkt. Mit solchen Sachen kann man auch wirklich Räume zum Bersten bringen, oder Brücken zum Einstürzen. Es gibt Schallkanonen, es ist ja alles da. Auch bei meinen Projekten geht das alles eigentlich mit Volksschulmathematik.

Wenn ich zum Arbeiten anfange, versuche ich, ein Grid, ein Raster abzustecken. Vielleicht versuch ich auch der Beliebigkeit zu entkommen. Das ist einfach mein Ansatz, den kann man respektieren oder verwerfen. Und innerhalb dieser Grenzen, die ich abstecke, versuche ich das gerade durch die Grenze noch zu intensivieren. Das hat ja auch eine Geschichte, dass man durch Beschränkungen extrem kreativ wird.

OM: Also das Wichtige ist, dass hinter deinen Errechnungen keine Metaphysik steht, keine Zahlensymbolik, keine Form neumystischer Kabbalistik, etc.

ER: Nein danke. Ich baue keine Zahlenmystik auf. Vielleicht liest man in hundert Jahren irgendwelche Dinge heraus und ich würd mich einfach abhaun drüber.

OM: Da wir ja gerade in Manhattan sitzen: Rem Koolhaas hat über den Grid, also die total kontingente Durchrasterung von Manhattan geschrieben, dass die gerade die grösstmögliche Freiheit schafft. Es ist nicht sinnvoll. Es gibt keine Metaphysik dahinter, warum der Block jetzt gerade so lang ist, wie er lang ist. Und es gibt keinen Architekten, der sich über den jeweiligen Block hinwegsetzen kann, der mal so drüberfahren kann über einen Stadtteil. Befreit sich jemand wie du, der nur mit kontingenten Zahlenkolonnen arbeitet, nicht genau so von der Herrschaft der Metaphysik, der ja die abstrakte Kunst seit es sie gibt unterworfen war: Von Malewitsch aufwärts alles pseudo-theosophische Metaphysiker. Das Zeug ist gut, aber wenn du liest, was die dazu geschrieben haben...

ER: Ja ich bin auch der Meinung. Ich bin draufgekommen, je falscher die Theorie, desto besser die Kunst. Denn dadurch muss das Kunstwerk so stark sein, dass es die Fehler der Theorie auskittet. Ich finde, man kann sich theoretisch ziemlich viele Fehler leisten. Das ist, warum ich z.B. auch wieder nicht in den Zusammanhang der Moderne gebracht werden will, weil ich den Wahrheitsanspruch nicht habe. Man kann das derzeit viel entspannter sehen, man sagt einfach: Ich hab diese Theorie.

OM: Sie könnte auch eine andere sein.

ER: Sie könnte auch eine vollkommen andere sein.

OM: Darin sehe ich genau die Parallele mit dem Koolhaas-Beispiel, weil der Block könnte auch zehn Meter kürzer sein.

ER: Er könnte zehn Meter kürzer sein oder dreieckig. Jeder muss seine eigenen Koordinaten ziehen. Wir haben jetzt die Freiheit zu sagen, das ist wirklich meine Koordinate und die muss keinen Anspruch haben, dass sie am nächsten Block noch gültig ist. Das sieht man gerade in New York fantastisch, denn man kommt von der melting mot-Theorie weg und sagt nur noch, es ist ein Mosaik. Den melting pot gibt es ja nicht, es sind nur lauter kleine Puzzles, die sich gottseidank nicht den Schädel einhauen. Deswegen leb ich auch sehr gern in Brooklyn, da ist die hispanische Kultur sehr stark. Dann gibt es die chassidisch-jüdische Kultur, die leben noch ungefähr 1890, und dann ist diese Künstlerkolonie dort. Es gibt auch sehr wenig Feindseligkeiten. Dass das vom Flugzeug gesehen aussieht wie ein melting pot, ist ganz klar, aber wenn man dann drinnen ist, findet man selten so viele krasse Unterschiede von Block zu Block.

OM: Machst du deine Corner-Studies also auch an den Ecken von Brooklyn?

ER: Damit hab ich kein Problem. Nur die wissen sofort in Brooklyn, dass du ein Künstler bist. Weil alle Weissen zwischen 20 und 40 sind dort Künstler.

OM: Wie steht das Bild in Verbindung mit der Musik?

ER: Am Anfang stand die Entscheidung, ich möchte nur mit schwarz/weiss arbeiten. Interessant ist das, weil unser Auge nicht schwarz/weiss sieht, sondern in Farben. Wir sehen in rot/gün/blau. Die Idee war die von Computer-Testpattern, Testprogrammen von Monitoren, die nur aus Streifen- oder Pixel-Pattern bestehen, die man einstellen kann. Sieht man drei Minuten auf diese schwarz-weiss-Streifen, wird unser Auge unruhig, weil es nach Anhaltspunkten sucht, die jenseits dessen liegen, was man eh schon sieht; es versucht, dahinter zu schauen, obwohl nichts dahinter ist.

OM: Wie beim Grid. Da ist auch nichts dahinter.

ER: Es inspiriert aber unser Bewusstsein. Danach habe ich das Schwarz zum Grau hin kalkuliert und das weiss zum Grau hin kalkuliert. Und das gleiche passiert im Sound-Bereich. Wenn die Streifen nur schwarz/weiss sind, sind das wirklich nur reine Akkorde, ohne irgendwelchen noise. Ich habe immer einen Standardton, ein Orgelsample, mit dem ich gar nicht kreativ werde.

OM: Genau. Scheiss auf die Kreativität.

ER: Warum soll ich das "designen", wenn der Inhalt schon stark genug ist. Und dann lass ich das Ganze sich verschieben ins Grau, und wenn es grau ist, möcht ich mit noise arbeiten.

OM: Das heisst, die vertikalen optischen Linien verschieben sich.

ER: Sie schieben sich aufeinander zu. Weiss und Schwarz schieben sich ineinader, und dasselbe passiert im Sound-Bereich. Wenn es nur Schwarz/Weiss ist, hörst du nur die reinen Töne und bei Grau ist die Orgel weg und du hast Rauschen. Zusätzlich hat mich die Bewegung interessiert, worauf ich mit einem Kreis experimentiert habe.

OM: Der Kreis bewegt sich von links nach rechts.

ER: Der Kreis geht von links nach rechts über zwei Monitore. Zwei Monitore sind eher kontrapunktisch als einer. Kontrapunkt ist für mich ein totales password. Es muss sich eine Linie herstellen und irgendwann hat das halt mit dem Kreis geklappt, nachdem es Probleme gab, weil mein Computer nicht so schnell ist. Ich versuche immer Dinge zu machen, die technisch nicht wirklich anspüruchsvoll sind. Mich interessiert dieses High-Tech-Blendtum überhaupt nicht. Ich habe manchmal extrem technisch komplexe Installationen gemacht, und die Leute haben mich gefragt, wie hast du das gemacht, was für ein Programm, und was macht dieser Schaltkreis. Das sind nicht die Fragen, die das Publikum interessieren sollten oder im Vordergrund stehen sollten. Diese Trennung zwischen dem Publikum, das nicht so literate in Technologie ist und den Hardcore-Programmierern ist sehr gefährlich. Dieser smart-white-male-programmer-nerd, von dessen Weltbild muss ich mich distanzieren.

OM: Das ist doch genau das, was früher unter Handwerk gelaufen ist. Dass du g'scheit deine Figuren malen kannst und die Farbe mischen. Diese technischen Fähigkeiten beim Malen, das ist jetzt das Programmieren, bzw. die Fähigkeit, die Sachen möglichst sophisticated zu designen.

ER: Gegen Handwerk hab ich nichts, denn intellektuelle Konzepte zu entwerfen ist genauso ein Handwerk. Der Intellektuelle ist für mich ein Handwerker, nur ist seine Hand im Kopf. Ich hab nichts dagegen, wenn der Bill Viola ein guter Videotechniker ist. Ist er wahrscheinlich auch. Es ist nur eben nicht ein Qualitätskriterium für mich.

OM: Ich sag ja nicht, dass es umgekehrt schon ein Qualitätskriterium ist, wenn man nicht weiss, wo der Power-Schalter am Videorecorder ist. Nur ist High-Tech-Wissen immer eine Form von Herrschaftswissen.

ER: Man muss da sehr aufpassen, da gehts teilweise wirklich um weissen Imperialismus. Wenn auf allen Festivals etwa die Amerikaner sehr dominieren, weil sie einfach die besten Maschinen im Kommerzbereich haben. Mich interessiert diese Hochtechnologiekunst nur sehr am Rande. Diese Technologieelite lehne ich als politischer Mensch ab.

OM: Ja, das Band ist leider aus. Nach der Philosophie des Grid müssen wir jetzt aufhören.

ER: Oder die zweite Seite vollreden.




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