[ATTACKEN]

OLIVER MARCHART


Die GLOBAL VILLAGE '96



17.-23. Februar 1996
Wien, Rathaus


Zum zweiten mal fand dieses Jahr im Rathaus die "Global Village", die größte österreichische Werbeveranstaltung für Telearbeit und ähnliche Segnungen statt.



Eine kleine Polemik zum Frühstück.

Was ist global am Global Village? Diese Frage beantwortete die Global Village '96 mit einer anderen: "Gibt es die Erde? Ist sie nicht ein dem Sprechen sich entziehendes Woher der Flucht?". So hieß es jedenfalls im superdämlich philosophelnden Beitrag Helmuth Kohlenbergers zum Programm der GV '96. Angesichts solcher "Medien-Theorie" überkäme auch gleich den kritischen Besucher die Frage nach dem Wohin der Flucht. War nicht die letzte "GV" eine Managerversammlung im Rathaus, die nur durch das Insistieren von ein paar sozialpädagogischen Magistratsbeamten auch einen Ableger in der DonauCity bekam? Muß denn das schon wieder sein? Was wolln die Leute eigentlich?

Doch Stop. Die Erde mag sich zwar "dem Sprechen entziehen", aber zum Glück entziehen sich weder der Veranstalter Franz Nahrada noch die Wienerstadt, weshalb wir auch um ihre Motivation wissen. Was wollen sie also mit dem "Village" (das "Global" entzieht sich ja im Worher der Flucht). Nun, was Franz-"durch diese digitale Gasse muß er kommen"-Nahrada will, ist, das hat er oft genug erklärt, eine Ökologisierung der Stadt durch Auslagerung in selbstversorgte Einheiten mit der Kuh im Stall und der Standleitung zum Arbeitgeber. In diesem Sinne versteht Nahrada "Village", nämlich im wörtlichen. Der Gemeinde Wien wiederum kommt es auf ihr technologiepolitisches face-lifting an, mit Selbstdarstellung als innovativ, aufgeschlossen, fortschrittlich. Schließlich hat man im Rathaus, das ja von avantgardistischen Kadern der 70er durchsetzt ist, erkannt: Demokratie, das ist Kapitalismus plus Elektronifizierung.

Darüberhinaus wird das Investment in neue Kommunikationstechnologien als eine Vermenschlichung der Bürokratie, die also dadurch näher an die Menschen rückt, gehandelt. Dem sollte entgegengetreten werde. Keiner will näher zur Bürokratie. "Bürgernähe" ist prinzipiell abzulehnen. Sie führt zu Situationen, in denen - wie in unserer Ausländergesetzgebung - absurde Gesetze beschlossen werden und dann die Weisung an die Beamten kommt, das auch bitteschön "menschlich" zu exekutieren. In genau dieser Situation ist man aber den Beamten am meisten ausgeliefert. Menschliches Exekutieren, offiziell geduldetes Herumschummeln, heißt, es werden die rausgeworfen, die eine schiefe Nase haben und den Beamten nicht anlächeln können (oder anheulen wollen). Das genau ist "menschliche Bürokratie". In einer bürgernahen Kameralistik ist man eben der Willkür der Beamten stärker ausgeliefert, als in einer, die nur formal nach dem Buchstaben funktioniert.

Aber vom Spiel und Spaß der Wiener (Aus-)Weisungspolitik zurück zum Ernst der Unterhaltungselektronik. In der "Globalen Gasse" der Aussteller fädelten sich: IBM Österreich, Medizin Online, der VR Club Austria, Siemens, die Kapsch AG, die Arbeitsgruppe für Rehabilitationstechnik, die Wiener Verkehrsbetriebe, Telehäuser NÖ, Oracle, Telekabel, Der Standard, Bank Austria, die Post und Magistratsabteilungen mit allen möglichen Ziffern. Also der ganze Hacker-Underground.

Meine Lieblingsfirma ist Kapsch TeleCare. Care ist im zweifachen Wortsinn zu verstehen. Mit dem angebotenen System "LifeCare" behütet Kapsch telemäßig ältere, schwache oder alleinstehende Personen im Fall von medizinischen oder "anderen Notfällen". "HomeStar", das zweite System, gilt dem Objektschutz und dient, wie das GV-Programm weiß, "der Überwachung und Absicherung von Einfamilienhäusern, Wohnungen, kleineren gewerblichen Objekten, Arztpraxen, etc. HomeStar besteht aus einer Alarmzentrale mit automatischem Wählgerät zur Fernalarmierung und verschiedenen über Funk angebundenen Alarmmeldern und Sensoren". Offensichtlich will sich die Global Village künftig als Sicherheitsmesse profilieren. In der Produktkombination von Kapsch TeleCare - nämlich LifeCare und HomeCare - werden die Foucaultschen Alpträume von einer Kombination aus Behüten und Überwachen wahr. "Alarmmonitoring" ist der entsprechende Term für einen solchen Teledienst.

Trotz dieser fürsorglichen Militanz hing ein Hauch von Vanitas über der Global Village. Vielleicht weil so halbkommerzielle Messen etwas von der Eitelkeit von dogshows haben. Die eigenen großartigen Leistungen wie telebanking, digitale Städte, Telehäuser und Teleüberwachungsanlagen werden von ihren stolzen Besitzern an der Leine im Kreis geführt. Die anderen Herrchen und Frauchen rümpfen heimlich die Nase über die Konkurrenzhunde, applaudieren aber einander, während die unbeteiligten Beobachter mit den Schultern zucken. Schließlich passiert hier ja nichts. Im Unterschied zu ordentlichen Messen der Unterhaltungselektronik fehlt bei der Global Village ganz und gar die Unterhaltung. Was bleibt, ist der Kommerz (nur was ist schon Kommerz ohne Unterhaltung, da kann man ja gleich die Produktionsmittel sozialisieren).

Selten merkte man so deutlich, wieviel Luft im Netzwerke-Hype steckt, wie hier, wo die inzwischen trivialsten und alltäglichsten Features präsentiert werden wie die erste Mondlandung (eine WWW-Homepage, pfoh, toll, da kann jemand HTML-programmieren!!!). Dabei stand das alles eh schon in der Kronen-Zeitung. Weshalb die Wiener, die sich ansonsten sogar über Heeresparaden mit Pinzgauern begeistern, inzwischen wohl abgebrüht genug sind, um es als das zu nehmen, was es ist: nett. Der Besuch war - soweit man das den Leuten ansieht - emotional keineswegs euphorisiert. Wozu also der hype?, könnte man abschließend fragen. Ein Hund ist ein Hund. Als solchen sollte man ihn auch bezeichnen.

Einen positiven Punkt gibt es übrigens doch. Die breite Masse wurde - im Unterschied zum Vorjahr - sogar in die Workshops vorgelassen. Ganz ohne 2.000 ÖS hinblättern zu müssen.




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