[ATTACKEN]

OLIVER MARCHART


6.7.96



Interactive Dance-Connection Party
MTV-Europe

Es ist natuerlich langweilig und sinnlos, den Begriff Interaktivitaet zu pruegeln. Langweilig und sinnlos, weil klar ist, dass es nicht um Interaktion gehen kann, sondern nur um Selbstermaechtigung oder sowas. Also um den Ausgang aus der selbstverschuldeten Inaktivitaet. Das positive Gegenteil von Inaktivitaet ist also nicht Interaktivitaet, sondern schlicht Aktivitaet. Nicht Mit-Machen, sondern Machen. Dazu gehoert, dass man nicht auf ein Menue von vorgebenen Entscheidungsmoeglichkeiten reduziert ist, oder gerade noch Bewegungsreflexe auf Bildschirmen verursachen darf. Aber vergessen wir das. Was in letzter Zeit auffaellt, ist ja viel eher, dass Interaktivitaet zu einer Pop-Vokabel wird. Und Pop-Vokabeln haben es so an sich, dass sie so populaer sind, dass sie eben nichts mehr bedeuten. Was erstmal weder gut noch schlecht ist.

Das Bemerkenswerte ist also, dass alles interaktiv sein kann. Im letzten Kunstforum liest man etwa, Rirkrit Tiravanija verzichte bewusst auf neue Medien, denn: "Bei ihm herrscht die persoenliche Interaktivitaet vor". Gemeint ist damit, dass man in Tiravanijas Installationen an einer Bar lehnen, Thai-essen oder Teetrinken kann. Das koennte man natuerlich auch socializing nennen oder Dialogizitaet oder, als Pfarrer, "zwischenmenschliche Begegnung". Man nennt es aber "persoenliche Interaktivitaet". Nach dieser Beschreibung betrifft Interaktion also absolut jeden und immer, ausser vielleicht einen Autisten in einem Deprivationstank.

Am Samstag fand nun das Dance-Connection Weekend auf MTV statt. Das Gute an den MTV-Themen-Wochenenden ist, dass man immer genau weiss, warum man _nicht_ zuhause geblieben ist. So waere also auch das Dance-Connection Weekend ein Grund fuers Wirtshaus gewesen, wenn nicht fuer den Abend ein richtig INTERAKTIVES Event angekuendigt worden waere. Unter dem Titel einer Interactive Dance-Connection-Party wurden von MTV-Europe Partys in der Tuerkei, Deutschland, Spanien und Holland zusammengeschaltet und die jeweiligen Acts so hintereinander aufgereiht, dass sich keine sendestoerenden UEberschneidungen ergaben. Die Moderatorin Davina kommentierte das mit den erhabenen Saetzen: "We're totally interactive"

Was damit maximal produziert wurde, war natuerlich nicht Interaktion sondern Simultaneitaet. Und selbst die gabs nicht wirklich, da wir ja bekanntlich noch ueber kein Fernsehen verfuegen, das uns erlauben wuerde, aus dem 4er-Party-Menue zu waehlen. Wer weiss schon, was simultan passiert. Der einzige Fall von Interaktion waren die Rueckkoppelungen zwischen Shaggy und der Technik. Interaktivitaet funktioniert also einfach nur als Markenartikel, den man sich rechtzeitig haette schuetzen lassen sollen.

Aktenzeichen XY betrieb unter diesem Aspekt schon immer Interaktion, und das schon wesentlich tiefgehender als MTV. Schliesslich kann man bei Aktenzeichen XY im Gegensatz zur Dance-Connection tatsaechlich anrufen und sich an der Verbrecherjagd beteiligen. Eine Form von Interaktion allerdings, die die Zuscher dreier Laender medial zu einem einzigen universalen Blockwart zusammenschweisst. Interaktion kann in der faschistischen Variante also auch die universale gegenseitige Verdaechtigung bedeuten. Da sind mir nicht-interaktive Partys schon lieber.

In einem aehnlichen Sinn titelt sich "Interaktiv" auch eine VIVA-Sendung, in der man einfach (wie in tausend anderen Sendungen) anrufen und herumsudern kann und dann von einem 14-jaehrigen Moderator Lebensratschlaege bekommt.

Das Ganze ist Indiz vor allem fuer eines: Interaktivitaet ist von einem hauptsaechlich in der Medien- und Telekommunkationskunst beheimateten Begriff zu einem Pop-Begriff geworden. Je mehr er bedeuten kann, desto weniger bedeutet er. Denn mit jeder Popularisierung verliert sich Spezifik. Das ist nichts Schlechtes; es ist genauso die Logik von Politik und Hegemonie: Je universaler meine Forderung wird, desto weniger spezifisch wird sie, desto mehr Kompromisse muss ich eingehen, Koalitionen muss ich bilden, etc. Nichts anderes passiert in der Popularisierung und dem going public von Begriffen, Markenartikeln oder Popstars. Wir werden uns daran gewoehnen, dass Interaktivitaet in Zukunft nicht mehr bedeutet, als dass "irgendwas passiert".

Und so ging ich doch noch zur "persoenlichen Interaktivitaet" ins Wirtshaus.

Oliver Marchart

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