[ATTACKEN]

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AMSTERDAM/ROTTERDAM - 19., 20., 21. JANUAR 1996



O.M.: Was sagst du zu dieser Cybergnosis-These von Wilson, dass der Cyberspace der neue entkörperlichte Himmel ist, während der Neurospace über Transzendenzpraktiken wie Drogen die Chance bietet, wieder zurück zum Körper zu kommen. Zum ersten Punkt würd ich nämlich auch sagen, dass es genauso ist, wobei ich dann beim zweiten Schritt nicht mehr mitkomme.

Pit Schultz: Auch diese verschwörungstheoretischen Ebene darin kann ich nicht mehr ganz nachvollziehen, dass also irgendwo die gnostischen Illuminaten der Corporate States die Welt lenken. Dass irgendwo in einer Konferenz die zwanzig Illuminaten sitzen, die jetzt in Microsoft und ATNT kommen. Wilson, Autonomedia, Semiotext(e), das ist für mich aber eine Entfaltung von Deleuze/Guattari, eine Exegese von Anti-Ödipus und Tausend Plateaux.


O.M.: Aber das läuft doch eigentlich dem Ansatz zuwider, wo du sagst, genossen wird nicht der Datenüberfluss, sondern genossen wird der Datenstau. Ihr sagt: "für den Wunsch ist es notwendig, dass die Maschine nicht funktioniert". Bei Deleuze und Guattari hab ich mir immer gedacht, das ist das genaue Gegenteil davon, die können das nicht einbauen, oder die sehen diese Disfunktionalität tatsächlich als Manko, während bei Lacan als dem Gegenmodell, gegen das sie sich richten, diese Disfunktionalität gerade kein Manko ist, sondern notwendige Bedingung dafür, dass es überhaupt zu sowas wie Begehren kommen kann.

Pit Schultz: Wenn ich mich recht erinnere, geben sie ja das Wunschmaschinenmodell auf in Tausend Plateaux, das kommt da nicht mehr wirklich vor, da kommen abstrakte Maschinen, das wird ausgeweitet, es kriegt eher so religiöse, esoterisch Komponenten, während in Anti-Ödipus klar war, dass es politisch klar aktivistisch ausgerichtet ist. Und in Bezug auf Technik, auch auf Lacan, also auf diese latente Kybernetik bei Lacan, setzen sie das Asignifikante, die asiginifikanten Wunschströme als quasi vitalistisches Modell der reinen Ströme, die Richtung Delirium tendieren und dann segmentiert werden, reterritorialisiert werden. Aber wenn ich mich recht erinnere, ist die Wunschmaschine dort schon als disfunktionale Maschine gedacht. Sie kann, was dann in Tausend Plateaux ausgebaut wird, zur Kriegsmaschine mutieren, die sich dann wieder gegen sich selber richten kann, wenn man nicht genügend Vorsicht walten lässt, oder sie wird eben reterritorialisiert, zergliedert, integriert ins kapitalistische System. Sie kommen dann mit den ganzen Modellen von Freud und den ganzen elektrischen Apparaten, die Anfang des Jahrhunderts durch die psychoanalytische Literatur geistern, die Beeinflussungsmaschinen, wo das Begehren auf die Maschine projeziert wird und dann zurückkommt. Aber immer die Verkopplng der Wunschströme mit der Maschine, also die Junggesellenmaschine. Man muss die Wunschmaschine ganz klar als männliches Konstrukt sehen aufgrund eines bestimmten Fehlens im männlichen Psychosetting.


O.M.: Daraus folgt eigentlich, dass Wilsons Modell falsch ist, wenn er unterscheidet zwischen Cyberspace und Neurospace, weil dann Neurospace bereits integraler Bestandteil von Cyberspace ist, und man gar nicht so unterscheiden kann zwischen diesem Wunsch-Ding und dem Delirium-Ding auf der einen Seite, das er bevorzugt, weil er da so eine Wiederverkörperlichung reinprojeziert, und auf der anderen Seite diesem körperlosen, maschinischem In-Sich-Laufen oder diesem himmlischen In-Sich-Laufen, dieser Selbstgenügsamkeit. Das heisst, dass man diese Unterscheidung so überhaupt nicht machen kann.

Pit Schultz: Wilson ist ganz klar Dualist, oder Dualist, der zum Monismus hintendiert, zu so einem materialistischen Monismus des Körpers und des Begehrens. Pleasure als Wiedervereinigung von Mind und Body. Er verbindet schon verschiedene Ströme, aber er ist in bestimmten Komponenten einfach noch in den Sixties drin oder in den Seventies. Er ist Altmarxist, er ist Hippie, was sein Körpermodell angeht. Ich find es sehr interessant, das Modell von Vielheiten zu verwenden oder ein Dreiermodell. Also du hast eben nicht nur Materie und Information oder Mind und Body, sondern du hast immer noch ein Drittes, das das System in alle möglichen Teilgleichungen auflöst - und dann gibt es zwischen Neurospace, das das Materielle für mich darstellt, und dem Informationsspace immer noch was, das dazwischen vermittelt. Es liesse sich so ein Konstrukt auch aus meiner Elektro-Smog-Forschung entwickeln, dass sich die nächsten Interfaces weit mehr in den Körper hineinbewegen und diese Zweiteilung wirklich nur mehr aufgelöst wird in einer wirklichen Verschmelzung. Dort geht es immer mehr hin mit VR und Neuroforschung, was Gehirnwellen angeht und die Steuerung von Computern über Gehirnwellen, einer elektrisch- oder computerverstärkten Telepathie. Früher war das Dritte das Element der Energie innerhalb dieses Systems. Normalerweise wird immer unterschieden zwischen Hardware und Software, zwischen Information und Materie, und du hast immer noch diese dritte Grösse der Energie, die sehr mystifiziert wird, und jetzt Stück für Stück von der Wissenschaft von mehreren Ecken aus bearbeitet wird, weil meiner Meinung nach der blinde Fleck als mythologisches Konstrukt wechselt von Energie zu Information. Information wird absolut mythisiert und Energie wird jetzt immer mehr handhabbar innerhalb biokybernetischer Modelle, während Information gesellschaftlich immer mehr zum gnostischen Gott hochstilisiert wird.


O.M.: Auch wenn du Informatik studierst, was ich nie hab, hörst du am Anfang mal zig Definitionen von dem, was Information ist, gleichzeitig haben Informatiker aber natürlich nicht die geringste Ahnung davon, was Information ist. Was einerseits damit zusammenhängt, dass natürlich jede Wissenschaft über ihren Grundbegriff keine Ahnung hat und keine Ahnung haben kann, dann wäre die Wissenschaft gelöst und beendet. Andererseits aber damit zusammenhängt, dass Information tatsächlich zu so einem leeren Signifikanten geworden ist, der alles abdeckt und dadurch keine spezifische Bedeutung mehr hat.
Jetzt möcht ich dir noch die allerletzte Frage stellen. Ihr sagt, "Jugendkultur wird ununterscheidbar zu Corporate Culture, solange sich ihr Einfluss weiterhin in die unterentwickelten Zonen ausdehnen kann. Unternehmerische Schulung ist durch die Entdeckung von Marktnischen erstezbar, es gehört zum guten Ton des skeptischen Hedonismus, auf die Kreativität der Subkulturen zu vertrauen". Also die Reterritorialisierung der Subkulturen läuft ja im Bereich Digital Activism sehr stark. Du hast eine Selbstvorstellung des Netzes als absoluter Counter Culture, wo alle unglaublich dissident sind, gleichzeitig ist es aber dasselbe Netz, über das die ganzen Geldströme usw. laufen. D.h., du hast von ein und derselben Sache die Sicht absolute Counter Culture und die Sicht reinster himmlischer, gnostischer Kapitalismus. Mir kommt es so vor, als sollte man diese Unterscheidung nicht mehr treffen. Das Problem daran ist, dass obwohl alle wissen, dass es so ist, und obwohl dir alle sagen: eh vollkommen klar, Subkultur gibts eh nicht, "hamm wir immer schon gewusst", es gibt nur Mainculture, die halt als eine Produktionsnische Subculture hat, obwohl dir das also alle sagen, leben sie trotzdem mit genau dem Subkultur-Bewusstsein, in ihrer persönlichen Lebensführung mit genau dieser Vorstellung. Weils auch gar nicht anders geht, das ist jetzt kein Vorwurf. Euer Zitat kommt mir diesem Verdacht sehr verwandt vor.

Pit Schultz: Also ich habs ja miterlebt in Berlin mit der ganzen Techno-Geschichte, wie sich das entwickelt hat. Das war zeitgleich mit der ganzen Befreiungsbewegung, die da '90 erstanden ist und gleichzeitig für die Linke fatal war. Die Autonomen und die Berliner Linke hat extrem an Terrain verloren, während alles, was so in Richtung Hedonismus und Party und antipolitische (es wurde antipolitisch genannt zu der Zeit) Spasskultur gelaufen ist, viel Geld gemacht hat. Da hat sich bei mir ein anderer Blick darauf entwickelt, mit welchen Methoden man mit den kapitalistischen Grossmaschinen, mit den zentralen Apparaten umgeht. Dass es da viele Abstufungen gibt. Man kann vor allem nicht sagen, es gibt nur das Kommerzielle und das Antikommerzielle. Das sind einfach Pole. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass es Zonen gibt, in denen Tauschverhältnisse bestehen, die nicht kommerziell sind, die ausserhalb von Geldwerten laufen. Ein extremes Gegenbeispiel wäre, stell dir vor, du müsstest deine Erziehung abrechnen. Am Ende deiner Jugend müsstest du deinen Eltern ihre Erziehung zurückzahlen, was volkswirtschaftlich eine Grösse ist. Es gibt immense Leistungen innerhalb der Gesellschaft, die nicht vergolten werden, und das wächst eher noch durch den Rückbau der Sozialleistungen. Das gilt nun nicht nur für Leistungen auf der Sozialebene, sondern auch für Leistungen auf der Informationsebene. Oder für Leistung einfach auf kultureller Ebene: das heisst, man macht eine Party, man gibt sich unglaublich Mühe drei Wochen lang, kriegt dann seine 25 Mark pro Kopf. Man kann sich aber auch keine Mühe geben und eine schlechte Party machen. Es kommt im Endeffekt drauf an, wie sehr sich in dieser Kultur genügend kritischer Geschmack entwickelt, um dann, schon in einem Wettbewerbsverhältnis vielleicht, zu entscheiden, wo die Plätze sind, die gut sind. Da ist zum Beispiel das Elektro aufgetaucht in Berlin, das ganz klar antikommerziell war, wo es keinen Türsteher gab, wo das Bier relativ billig war. Das funktioniert aber nur als Parasit wieder zum E-Werk und zum Tresor, wo die DJs nach dem Tresor, wo sie vorher aufgelegt haben, ins Elektro gegangen sind und dort aufgelegt haben. Für nichts oder für 30 Mark, was halt grade in der Kasse war. Auf der anderen Seite wieder hat das Elektro den Mythos der Freiheit im Techno verkörpert und hatte extrem mit so einer übersteigerten Erwartung auch zu kämpfen.


O.M.: Ist das so ein ähnliches Problem wie zum Beispiel bei den HipHopern, dass du deine Verbindung zu den Roots in einem bestimmten jugendkulturellen Paradigma auf keinen Fall aufgeben darfst, weil du dann auf beiden Ebenen - auf der kommerziellen und in deiner Szene - draussen bist.

Pit Schultz: Ich hab das in Berlin erlebt mit der HipHop-Welt gegen Techno-Welt. Ich bin irgendwo auch in beiden Welten zuhause gewesen. Mein Bruder hat eher so einen HipHop-Ragga-Club gehabt und Daniel eben einen Techno-Club. Also ich denke, das hängt sehr mit "ethnischen" Minderheiten zusammen. Wenn die nicht da sind, dann wird gerade HipHop zum absoluten Phantasma oder Konstrukt. Das geht alles wirklich um eine Aneignung von urbanen Kämpfen und in Berlin eher um die Frage, was machen jetzt die Türken, z.B. Und da kommt es jetzt mit einer ziemlichen Verzögerung zu oriental-HipHop-Sachen. Es gab nach einiger Zeit eine Identifizierung Bronx/Kreuzberg. Und die war interessanterweise völlig ausgeschlossen aus der HipHop-Kultur. Gerade die Black Culture in den Clubs hat eine sehr stark invertiert rassistische Komponente, wo die "Medien-Afrikaner", die "schwarze" Moderatorin auf MTV, etc., ziemlich kultiviert werden. Es gibt Beispiele wie die Stereo-MCs, wo das klappt, wo dieses Bild wirklich transformiert wird, aber es gibt dann Beispiele wie die Fantastischen Vier, das ist zwar lustig irgendwie, aber es ist nicht wirklich ironisch genug für mich, dass das Projekt klappen würde. HipHop ist für mich ein gutes Beispiel, wie Jugendkultur innerhalb des Medienapparates gescheitert ist. Und da muss ich echt sagen, Techno ist dann einfach konsequenter, was Fragen angeht wie Technologie und Netze. Und für mich ist mittlerweile auch interessanter, was musikalisch geleistet wurde. Also die Anbindung an musique concrète, an minimal music, auf einer ganz einfachen musikalischen Produktion. HipHop wiederum ist dann gut, wenn es um die Etablierung Temporärer Autonomer Zonen geht. Ein Club bei uns in Berlin war immer so eine TAZ, mit Flohmarkt und zwei Bühnen, da hat es funktioniert. Vorausgesetzt, es sind dann auch die Leute da.

O.M.: Na dann Grüsse an die Leute.


[ATTACKEN]