"COLLAGE JUKE-BOX"

von Jéròme Joy

[Katalogtext - Kunst in der Stadt]
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  EXCERPTS of COLLAGE and INTERVIEWS with JEROME JOY and OWNER of the BAR

Ich leite seit zwei Jahren das Projekt Collage, das als ursprüngliche Referenz den "aufgezeichneten Ton" und den "fixierten Ton" hat. Sein Zweck ist die Veröffentlichung von Ton- und Musikforschungen in der bildenden Kunst und in der Musik. Diese Forschungen werden in den herkömmlichen Netzen kaum präsentiert und veröffentlicht, und deswegen ist das Projekt für zahlreiche Künstler und Musiker relevant, die sich zusammengetan haben, um gemeinsame Interessen wahrzunehmen. Die Lancierung des Projektes fügt sich nahtlos in meine Arbeit als Komponist ein. Seine Intention war und ist, bestimmte Grenzen zwischen Arbeitsweisen in diesen beiden Bereichen zu untersuchen und ein Gebiet aufzubereiten, das sich heute sehr reich, dynamisch, aber auch verwirrend darstellt. Es stimmt, daß heute in der bildenden Kunst und in der Musik neue Formen entstehen und die traditionellen Arbeitsweisen in Frage stellen, ihren Status, ihre Methodik und ihre Intention.

In der zeitgenössischen Kunst stellen einige Künstler ihr Projekt ganz klar in einen Zusammenhang, der Ton als bevorzugtes Mittel einbezieht, andere wiederum haben in ihrem Werk mindestens eine Arbeit mit Ton. Diese Erfahrung zeigt deutlich die Expansion der Materialien und die Vielfalt der Ansätze in der bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts. Das ist um so bemerkenswerter, als das verwendete Medium nichts mit der Netzhaut (dem Sehen) zu tun hat und den Anspruch auf Immaterialität darstellt, oder gar eine klare Position des Künstlers in der zeitgenössischen Kunst. Diese Experimente und Haltungen sind aus von der historischen Avantgarde übernommenen Praktiken hervorgegangen. Es ist jedoch schwierig, eine Klangkunst zu identifizieren, eben wegen ihrer historischen Anlehnung an die Musik: Die Begriffe experimentelle Musik und Klangkunst können als austauschbar, fast schon als synonym bezeichnet werden. Die Verwendung von Ton in der bildenden Kunst ist doch sehr vielfältig, und diese Vielfalt führt heute zu einer Reihe von Forschungsarbeiten, die hauptsächlich durch die moderne Aufnahme- und Übertragungstechnik ermöglicht wurden: Klangskulpturen, Klanginstallationen, das Radio, die Klangumwelt, die Sammlung, die Performance, der aufgezeichnete Ton, die Indexierung über musikalische Methoden und Darbietungen, Töne als plastisches Material, Töne als Bedeutungsträger, die Umwandlung des Raumes (Akustik, Objekt, rund um das Objekt, sozial, kulturell, usw.), Multimedia und die neuen Technologien, die Phonographie (nach dem Muster der Fotografie), usw.

Auch das Feld der Musikforschung ist weiter geworden durch die neuen elektroakustischen Techniken und die Erforschung der Klangfarben, durch die Infragestellung von Musikmaterialien, Kompositionsmethoden, Tonträgern und Darstellungsarten. Heute geht es weniger darum, die Grenzen zwischen den beiden Bereichen zu definieren, sondern sie wirklich zu erforschen und auszuloten. So können aufgrund von bestimmten Techniken (Sampling, Heimstudio, Verräumlichung von Klang), rechtlichen Bestimmungen (Copyright, Konzerte) oder bestimmten Referenzen (Feste, Raves, politische Haltungen, Unsicherheit) und Tonträgern (CD, Radio, Kommunikationsnetze), Künstler und Musiker gemischte Produktionen erarbeiten, die dauerhafte und subversive Entwicklungen darstellen und die Forschungsmöglichkeiten in der bildenden Kunst und in der Musik noch ausweiten.

Von allem Anfang an war das Projekt Collage konzipiert als Raum nicht nur für die Verbreitung, sondern auch für die Diskussion und Beurteilung des Ausmaßes der Verwendung von Tonaufzeichnungen. Jedesmal, bei jedem Event, wird eine besondere Form der Darbietung vorgeschlagen, und diese Form ist relevant für die künstlerischen und musikalischen Auswirkungen, sowie für die Form des Hörens, die dem Publikum angeboten wird. Die bisher verwendeten Verbreitungsformen wurden immer im Hinblick darauf ausgewählt: der alltägliche Lebensraum, das Fernsehen, der Web Site, die Jukebox. In diesem Sinn ist die Intention des Projektes einfach und klar, und die Titel der in den letzten beiden Jahren durchgeführten Veranstaltungen sind sehr konkret: Collage Musiques d'Appartement (Wohnungsmusik) (Nizza 1996), CollageTV - Das Fernsehen als Radio benutzen (38 Fernsehprogramme, weißer Bildschirm + Ton, Bregenz 1997), Collage Auditorium (Web Site im Internet


Collage JukeBox, (Café Neptun, Bregenz)
<http://www.imaginet.fr/manca/invite/laboratoire/joy/collage/collage.html>

Collage definiert sich über die zeitgenössischen Ausdrucksformen (zeitgenössische Kunst, experimentelle Musik, zeitgenössische Musik, usw.) Der wichtigste Tonträger ist der aufgezeichnete Ton. Die Ansätze der von den Künstlern eingesandten Beiträge sind sehr unterschiedlich (Klanginstallation, Videokunst, Rock, Techno, Fernsehen, elektroakustische Musik, geschriebene zeitgenössische Musik, Radio, Performance, experimentelle Musik, Improvisation, Konzeptkunst, Fluxus, Klangpoesie, Sound Art, usw.). Die wesentliche Intention im Projekt Collage könnte man in den beiden folgenden, ständig präsenten Fragen zusammenfassen:

Welche Rolle spielt Ton heute in den zeitgenössischen Ausdrucksformen?

Welche künstlerische und musikalische Aktivität ist heute möglich?


Das Projekt läuft so, daß wir Künstler, Komponisten und Musiker auffordern, uns Beiträge zu liefern. Die Kontakte entstehen auf zwei Arten: über Internet und über "organische" Beziehungen. Internet hat die offenere Weitergabe und Verbreitung von Informationen über das Projekt Collage "ohne Barrieren" sehr gefördert, (auch wenn man dazu natürlich einen Internet-Anschluß braucht), ohne Rücksicht auf Status und Bekanntheitsgrad, und aufgrund der Tatsache, daß jeder Teilnehmer die Information selbst weitergeben und andere Künstler zum Mitmachen auffordern kann, ähnlich wie bei der Kooptierung. Ohne die Unterstützung durch Internet hätte das Projekt nie eine solche Verbreitung erfahren. Internet muß heute als neuer Akteur und Katalysator für Kontakte zwischen Künstlern gesehen werden. Das Projekt fördert also Zusammenschlüsse, Entwicklungen und Kooperationen. Jeder Teilnehmer sendet seinen oder seine Beiträge (Audiokassetten, DAT, MiniDisc, CD, Tondateien) an das Projekt, je nach den Gegebenheiten oder Erfordernissen des Events.

Das Projekt Collage ist weder ein kollektives Werk, noch ein Werk von Jérôme Joy oder eine kollektive Ausstellung (es gibt keinen Kurator, keinen Organisator, nur so etwas wie einen "Moderator"), sondern ein Projekt im eigentlichen Sinn. Jeder Teilnehmer muß sein Engagement in diesem Projekt beurteilen, und zwar abhängig von den Anforderungen für die Durchführung des Events. Die Teilnehmer behalten ihre ideellen Rechte und das Copyright an den eingesandten Arbeiten. Der Titel Collage könnte Verwirrung über den Inhalt der Beiträge stiften, aber es geht ganz bestimmt nicht um einen ästhetischen Bezug (Cut-ups, Collagen, usw.), der eine Erwartungshaltung gegenüber dem Inhalt bestimmen würde, und auch nicht um die Art der Darbietung. Die Wahl dieses Titel sollte eher auf die Gegenüberstellung von verschiedenen Methoden und Praktiken rund um die Tonaufzeichnung hinweisen. Die Art der Beiträge ist auch nicht definiert. Es können Werke sein, Auszüge aus Werken, aus Dokumenten, usw., nur der Tonträger muß einem Standard entsprechen. In den ursprünglichen Ankündigungen wollte man vorschlagen, daß jeder Teilnehmer das Projekt Collage übernehmen und die Gegebenheiten für ein neues Event definieren kann, indem er den "Fundus" an bereits eingesandten Beiträgen verwendet und erneuert. Er könnte auch selbst einen Aufruf machen, um neue Beiträge zu bekommen. Bei jedem neuen Event würde natürlich die Zustimmung der Künstler eingeholt, die schon Arbeiten eingesandt haben. Ich stelle jedoch fest, daß es den meisten Teilnehmern um die Realisierung von Klang- und Musikstücken geht, die spezifisch für die angekündigten Events sind. Mehr als 200 Künstler, Komponisten, Musiker und Schriftsteller haben schon am Projekt Collage teilgenommen oder sind immer noch dabei.

Abgesehen von der Absicht, ein "Archiv" zu gründen, was durchaus der Zweck dieses Fundus an Tonaufzeichnungen sein könnte, die von den Künstlern eingesandt wurden, will das Projekt Collage auch ein Raum für die Evaluierung und die Diskussion sein, der mit dieser "Datenbank" bereits gegeben wäre und nur noch reaktiviert werden müßte. Das neue Collage-Projekt, Collage JukeBox, geht in diese Richtung.

Nach dem letztjährigen Projekt CollageTV verwendet Collage JukeBox die Jukebox, um dem Projekt Collage Mobilität und Permanenz zu geben. Es wird nun in Form einer Edition erscheinen, die von der Vereinigung ICI betreut wird. Die Edition besteht aus multiplen evolutiven Datenbanken von Audio-CDs und betrifft nicht die technische Anlage selbst, sondern den Inhalt, nämlich die CD-Datenbanken. Das Projekt wird mobil sein, da mehrere JukeBoxes gleichzeitig an verschiedenen Orten laufen können. Außerdem wird es permanent sein, denn die Vereinigung ICI bemüht sich um die Kontinuität der Edition, indem sie andere Künstler zur Teilnahme auffordert. Das Event dieses Sommers betrifft also die erste Edition auf Audio-CD, die in die JukeBox integriert wird. Die Anlage wird im Café Neptun stehen, nicht an einem speziell dafür vorgesehenen Ort (Kunsthaus, Museum, usw.), um die ganze Bedeutung der Publikumsbeteiligung (des Hörens) zu bewahren.

Jéròme Joy, 1998



Informationen über das Projekt Collage seit 1996 finden Sie unter:
http://www.imaginet.fr/manca/invite/laboratoire/joy/collage/collage.html

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