ZERO

The Art of Being Everywhere

2-Jahresprogramm der Steirischen Kulturinitiative.
Aufbau einer internationalen Kunst-Mailbox/Datenbank.
Gemeinsam mit Robert Adrian X.


Einleitender Text von Robert Adrian X

Das 20. Jahrhundert ist noch nicht einmal zu Ende und schon können wir uns kaum noch seiner erinnern, und wenn, dann höchstens als déjà- vu - so sehr gleicht sein Ende dem Beginn. Imperien brechen zusammen; nationalistische Fanatiker wüten durch Osteuropa und den Balkan; im Schatten der beunruhigenden Realität eines vereinten Deutschlands ersteht Mitteleuropa von neuem; Großbritannien und Frankreich rasseln mit ihren Waffenarsenalen und engagieren sich in Strafexpeditionen gegen aufmüpfige (Ex-)Kolonien. Könige und Prinzen sind zwar zum Großteil verschwunden, doch gibt es immer noch die Industriebarone, und dazu die neue Aristokratie der Manager und Megamanager, die von ihren Glas- und Stahltürmen aus mehr Macht ausüben als sich das die Monarchen vergangener Zeiten in ihren ärmlichen Steinpalästen je träumen ließen. Sogar das Allheilmittel "Vereinigte Staaten von Europa", durch das sich die Konflikte und Gegensätzlichkeiten aus 10000 Jahren Blutvergießen in Wohlgefallen auflösen sollen, umweht ein Hauch von 19. Jahrhundert. Die Völkerwanderungen das späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, als die Industrialisierung die Menschen aus Ost- und Mitteleuropa vertrieb, wiederholen sich jetzt, da die Fabriken durch die De-Industrialisierung geschlossen werden. Plus Áa change, plus c'est la mÍme chose.


Natürlich gibt es heute einige Millionen Menschen und Produkte mehr als vor 100 Jahren. Sie sind viel enger zusammengedrängt, und zugleich bewegen sie sich schneller und häufiger. Das Reisen hat den Charakter der Oszillation, der Schwingung angenommen - wie Moleküle im leicht schimmernden Wasser. Wenn man in der Reisekapsel unterwegs ist, - ob zu Lande oder in der Luft, der Reiseraum ist überall der gleiche - ein Flughafen/Flugzeug/Auto/Autobahn gleicht der/dem andere(n) genauso wie jedes größere Kino, jeder Supermarkt, jedes Kaufhaus oder jede Kaufstrasse praktisch mit allen anderen Kinos, Supermärkten, Kaufhäusern und Kaufstrassen identisch ist. Es sind dieselben Geschäfte, Produkte, Preise und Schwärme von Konsumenten/Reisenden/Spaziergängern, von denen sie alle belebt werden. Es ist letztlich die Beschleunigung, die in uns das Gefühl erzeugt, sich nirgendwo hinzubegeben und überall zugleich zu sein.


Das gesamte 20. Jahrhundert wurde vom Telefon beherrscht, und seit kurzem auch von Telefonzubehör wie dem Modem, das die direkte Telefonkommunikation zwischen elektronischen Einrichtungen genauso erlaubt wie die zwischen den Faxmaschinen, die zur Zeit die Bürokommunikation beherrschen.
Die moderne Kommunikationstechnolgie hat es möglich gemacht, bestimmte Produkte zu dematerialisieren und ganz einfach nur die Anweisungen zu ihrer Herstellung zu transportieren; die bekanntesten, alltäglichsten Produkte dieser Art sind internationale Publikationen. Tatsächlich hat die Dematerialisierung eines Großteils der Produktion von Konsumartikeln schon bei der Verlagerung des Schwergewichts von der Fertigung zum Marketing stattgefunden - das Produkt ist nicht etwa das, was sich in der Schachtel befindet, sondern vielmehr das auf die Box aufgedruckte Markenzeichen: Das Logo ist das Produkt. Indem sie ihre Modems aktivieren, können multinationale Gesellschaften ihre Logos, ihre Marketingstrategien und ihre Herstellungsanweisungen dematerialisieren und in die Matrix des elektronischen Kommunikationsraumes einfließen lassen, um sie dann irgendwo auf unserem Planeten als Markenartikel - Toyota genauso wie Pepsi - wieder zu rematerialisieren.


Es ist das Gefühl, mit allem verbunden zu sein, das die Gesellschaft, in der wir leben, zu bestimmen scheint - jene Gesellschaft, die jetzt unter 300 Jahren des Industrialisierens und der Industrialisierung zum Vorschein kommt. Die Metaphern von Maschinen und Prozessen weichen Metaphern von Schaltkreisen und Schwingungen. Am Keyboard des Computers, an der Kassa des Supermarkts, am Telefonhörer, an den Drehkreuzen von Bahnhöfen, Flughäfen oder Autobahnmautstellen befindet man sich jeweils an einem point of connection, sowie man vor dem Fernseher sitzt, im Bewußtsein dessen, das man irgendwie mit 3 oder 30 oder 300 Millionen Menschen verbunden ist, von denen jede/r in ähnlicher Haltung mit ähnlicher Einstellung dasselbe Image betrachtet. Der Fernsehschirm ist wie der Flughafen eine kulturelle Schnittstelle.


Angeschnallt in einem gepolsterten Sitz hoch über dem Atlantik oder auf der Autostrada del Sole hat man nicht mehr das Gefühl des Reisens sondern das des In-der-Schwebe-Seins. Da der Ankunftsort imgrunde dem Punkt der Abreise entspricht, wird einem die Periode des Übergangs von einem zum anderen am ehesten noch durch die Ablenkungen und die Unbequemlichkeiten eines Verkehrsstaus oder einer versäumten Flugverbindung bewußt. Ähnlich wie die Kriege, die Tyranneien, die utopischen Träume, die technisch-wissenschaftlichen Triumphe des 20. Jahrhunderts nun, da wir uns seinem Ende nähern, zu einer Sammlung von Anekdoten über das 20. Jahrhundert verkommen. Wenn wir aus unserer Kapsel steigen, finden wir an diesem Ende des Jahrhunderts einen Lärm und eine Verwirrung vor, die dem Lärm und der Verwirrung am anderen Ende des Jahrhunderts nur allzusehr gleichen.


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