Bachkomposition, 1978  
   

Peter Weibel

The white noise of radio - the noise of a small river - the white noise of radio: a loop of perception of the sound of water running in a natural and in an artificial bed - in an artificial reproducable medium. I.e.: reproduction of the natural perception in a medium of artificial perception.

Radiorauschen-Bachrauschen-Radiorauschen: Schleife der Wahrnehmung des Geräusches des Wasserfließens (in einem künstlichen und natürlichen Bachbett) in einem künstlichen reproduzierbaren Medium, d.h. Wiedergabe der natürlichen Wahrnehmung in einem Medium künstlicher Wahrnehmung

In the radioversion of his "Bachkomposition" (which by altering the speed of the recording comes closer and closer to an "image" of water running and then again closer and closer to the "white noise of radio") Peter Weibel himself appeared as a recorded voice commenting on the piece, explaining it. And then he had the piece played again for second, different "informed" perception.

 

"Was Sie soeben gehört haben war Teil einer Bachkomposition, das heißt einer Komposition mit Bachgeräuschen. Und zwar waren das zwei mal je drei Phasen und eine kurze Pause dazwischen. Die ersten drei Phasen stammen von einem Bach ohne größere Steine, der also schnell fließt in einem künstlichen Bachbett. Der zweite Bach fließt langsamer in einem natürlichen Bachbett und mit größeren Steinen. Die ersten drei Phasen sind so aufgeteilt, daß Sie den Bach eins zuerst in einer normalen Geschwindigkeit nämlich 38 Zentimeter pro Sekunde eine Minute lang hören. Die nächste Minute hören Sie ihn bei halbierter Geschwindigkeit, 19 Zentimeter pro Sekunde und am Schluß zu einem Viertel der Originalgeschwindigkeit. Wohl bemerkenswert ist, erst durch die extreme Verlangsamung wird das Bachgeräusch als solches, nämlich in dem man kleine Abläufe wahrnimmt, hörbar. Wir kommen hier nun bereits auf den Kernpunkt dieses Musikstückes, das sich als solches, nämlich durch seinen bildnerischen Ansatz von anderen Musikstücken unterscheidet. Nämlich mir ist es dabei gegangen den Unterschied zwischen unmittelbarer, natürlicher Wahrnehmung von Geräuschen, und reproduzierten künstlicher Wahrnehmung herauszuarbeiten, dazu kommt nämlich auch noch ein zweiter Moment, daß ja die gleiche Wassermenge doppelt so viel Zeit beansprucht um bei Ihnen vorbei zu fließen, das heißt wenn Sie in zweiter Phase eine Minute den selben Bach hören, hören Sie eigentlich nur mehr die Hälfte des Baches, nicht mehr die gleiche Menge wie vorher und am Schluß hören Sie überhaupt nur mehr ein Viertel des der gleichen Bach Wassermenge an Ihrem Ohr vorbei rauschen. Wie gesagt, die zweite Phase fängt dann an mit der normalen Geschwindigkeit und hier wird aber die Geschwindigkeit immer verdoppelt, das heißt von 38 Zentimeter pro Sekunde ist die fünfte Phase dann 76 Zentimeter pro Sekunde, dann habe ich einmal eine übersprungen und die Schlußphase, die sechtse Phase des zweiten Baches mit größeren Steinen im natürlichen Bachbett hat eine Bandgeschwindigkeit von 3 Meter, 4 Zentimeter pro Sekunde. Damit Sie eben diese Musik, und wie Sie wissen, ist Musik ein Elektrolunch der Nerven und wenn Sie es noch nicht wissen sollten dann wissen Sie es vielleicht jetzt oder nehmen es zumindest zur Kenntnis, wird diese Musik wiederholt damit Sie eben Ihr Ohr sensibilisieren können an diesen jeweiligen Unterschieden ein und desselben natürlichen Geräusches, das eben in der Welt der reproduzierten, künstlichen Wahrnehmung vielfältige ineinander verflochtene Geräusche erzeugt. Zum Schluß noch der interessant Hinweis eben beim zweiten Hören, das der Bach im künstlichen Bachbett, eben das natürliche Geräusch, unwirklich klingt und durch die Verlangsamung natürlicher wirkt und, daß es umgekehrt, beim Bach zwei im natürlichen Bachbett die natürliche Geschwindigkeit auch natürlich klingt und durch die Geschwindigkeitszunahme eher unnatürlicher wird, sich sozusagen vom Bachrauschen zum Radiorauschen entwickelt…" (P.W.)

"Bachkomposition" was also published in the MAG Magazin
Kunst Heute 8.10.1978