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Email-Interview mit Roland Etzin und Lasse-Marc Riek (Gruenrekorder), geführt von Anna Soucek im Oktober 2009 Wann und warum wurde Gruenrekorder gegründet? Das Label wurde im Jahre 2003 von Roland Etzin und Lasse-Marc Riek in Frankfurt am Main gegründet. Gibt es Organisationen oder Labels die dabei als Vorbilder oder Orientierungshilfen dienen? Das Genre und seine Äußerungen sind nach wie vor sehr übersichtlich, dennoch hatten wir unsere Impulse von Außen und diverse Vorbilder. Im Bereich der Labels waren es zum Beispiel Wergo (Naturaufnahmen von Walter Tilgner), Touch, em:t und Solitudes/Dan Gibson. Einflüsse über Produktionen von Bernie Krause, Walter Tilgner, Bill Fontana, und Ultra Red bis zu den Einstürzenden Neubauten, Moondog, Future Sound of London und Autechre sollten uns auch auf ästhetischen Wegen begleiten. Neben der Label-Aktivität, was macht Gruenrekorder sonst noch? Wir veranstalten seit 2003 größere Festivals und Konzerte, sowie Vorträge und Happenings. 2010 werden wir Workshops mit verschiedenen Ausrichtungen anbieten. Hier wird es um auditive Wahrnehmungen, Soundwalking und Aufnahmetechnik gehen. Weiterführende Workshops werden sich auf Bioakustik, Archivierung, Editierung und Komposition richten. Hierfür arbeiten wir u. a. in Kooperationen mit dem Frankfurter "Verein zur Förderung der Phonographie und experimentellen Musik" zusammen. Dies wird sich nicht nur auf Frankfurt am Main beschränken; die ersten Verhandlungen laufen auch in England und Holland. Wir geben das Online-Fachmagazin "Field Notes" heraus, welches mit dem Band 2 im Oktober 09 erscheinen wird. In dieser Publikationen werden verschiedenen Gedanken und Forschungen zu dem Geräusch von Musikern, Künstlern, Theologen, Philosophen und Wissenschaftlern vorgestellt. Das Ziel wird eine Printversion sein, die die ersten vier Ausgaben beinhalten wird. Das Magazin wird zweisprachig herausgegenben (DE/EN) im Netz ist es auch in Spanisch verfügbar. http://www.gruenrekorder.de/fieldnotes/ Welche Ausrichtung hat das Label? Wir verfolgen von Anfang an verschiedene Disziplinen. Der Focus liegt auf den Field Recordings und den Soundscape Series. Diese werden in Auflagen von 50 bis 1000 Stück herausgegeben. Dazwischen veröffentlichen wir Compilationen und Crossover-Projekte die bis zu Neuer Musik reichen. Welche fünf Arbeiten würdet Ihr jemandem in die Hand drücken, der sich ein Bild von Gruenrekorder machen möchte, gibt es exemplarische Arbeiten bzw. solche die als Ausnahmen die Regel bestimmen? Aus dem Segment der Compilation würde ich gerne auf folgende Veröffentlichung hinweisen: Gruen 033 "Recorded in the field by..." VA (CD) Gruen 053 “Autumn Leaves” (MP3) Aus dem Segment der Einzelveröffentlichungen sind folgende Tonträger von inhaltlicher, wissenschaftlicher und ökologischer Bedeutung: Gruen 064 “Sonic Antarctica” / Andrea Polli, USA (CD) Gruen 066 “Marine Mammals and Fish of Lofoten and Vesteralen” / Heike Vester, Norwegen (CD) Gruen 054 "Some Memories of Bamboo" / Angus Carlyle, UK (CD) Was ist Phonographie und was kann sie alles sein? Wenn wir den englischen Begriff "Field Recording" (akustische Feldaufnahme) zur Hilfe nehmen und in Vergleich mit "Phonography" (Phonographie) setzen, so könnte man folgende Definition stehen lassen: Die Handlung "Field Recording" ist die Beziehung des Handelnden und seinen Aufnahmemedien in Bezug auf das was er aufzeichnet. Er steht also über seine Medien in Bezug und Kontakt zu der gewählten akustischen Umgebung. Eurem Empfinden nach, gibt es in den letzten Jahren ein gesteigertes öffentliches Interesse an Field Recordings, Soundscapes und ähnlichen Formen auditiver Kunst? Wenn wir von den 1950ern, wo die "Musique concrète" dem Geräusch die erste Hilfe für mehr Aufmerksamkeit gab, dann weiter in die 1980er blicken, wo das Geräusch als Additiv bzw. Atmosphäre noch mehr zum Einsatz kam und nun auf 2009 schauen, dann kann man von einer kleinen Emanzipation des Geräusches und der Field Recording Bewegung sprechen. Viele Filmemacher arbeiten in dem Feld und entfernen sich mehr und mehr vom Bild. Das ganze konzentriert sich weiterhin auf England, Frankreich, Amerika, Japan und vielleicht auch Österreich und Deutschland. Durch die visuelle und akustische Verschmutzung im urbanen Raum gibt es erste kleine Bewegungen, die auch in die Soundwalking-Praktiken mündet. Die Überflutung der Reize zwingt die eine und den anderen zu Einzeln-Signalen zurückzukehren und darin auch einen Genuss zu entdecken. Das Individuum wird hierbei eingeladen einen eigenen Zugang aufzubauen und sich darinnen sogar kreativ zu bewegen. Bei einer voll durchkomponierten, bearbeiteten Arbeit werden sehr viele Impulse vorgegeben. Welchen Stellenwert hat Umweltschutz bei Euch? Wir sehen uns immer mehr in der Pflicht, über die Arbeit im Feld, also konkret in der Landschaft und den damit verbundenen Zuständen, den Problemen und den Ereignissen verschobene Werte zu revitalisieren bzw. zu schützen. Was waren Eure Überlegungen zu natürlichem und artifiziellen Raum innerhalb eines urbanen Gefüges, die in „urban sound stories“ zu tragen kommen? Die Idee war es die Unterschiede und Gemeinsamkeiten dieser beiden Räume klanglich zu untersuchen und musikalisch zu interpretieren. Dabei fiel es schwer eine Trennung beider Räume vorzunehmen, da die Grenzen fließend verlaufen und stark der Wahrnehmung des einzelnen unterworfen sind. Die Entscheidung ob es sich um einen natürlichen oder künstlichen Raum handelt soll in letzter Instanz dem Hörer überlassen werden. Wir fragen damit auch sehr gerne: Was ist denn heute Natur bzw. was wollen wir uns bewahren? Inwiefern sind Field Recordings "gestaltete" Tatsachenberichte, wird eine Realität abgebildet oder sind Aufnahmen auch bereits Konstruktion? Der Begriff Field Recordings ist schwer zu fassen. In erster Linie ist es das Aufzeichnen und Speichern von Klängen. Dabei kann immer nur ein Auszug von Wirklichkeit wiedergegeben werden, gleichwohl wie bei einem Foto nur ein Ausschnitt der Realität zu sehen ist. Der Positionierung des Mikrofons und die Auswahl des Equipments, all das ist in gewisser Weise schon ein beeinflussendes gestalterisches Mittel. Zum Verhältnis von Bild und Klang: welches Verfahren wurde angewandt, um die Fotos in Sound zu übersetzen? Software? Folgt das bei allen fünf Teilen den gleichen Regeln? Dem Künstler wurde bei der Wahl des Verfahrens völlige Freiheit gegeben. Es gibt eine Reihe von frei verfügbarer Software im Internet, welche eine Umwandlung von Bildmaterial in Klang ermöglicht. Alle Programme folgen unterschiedlichen Algorithmen, basierend auf dem Ursprung der Fotos. Die Ergebnisse können klanglich sehr verschieden sein, gehen aber aller nach dem Konzept und sind so in gewisser Weise in einen Vergleich zu stellen. Gibt es klangliche Korrespondenzen zwischen den beiden Teilen? Ist das hörbar gemachte Foto abstrahiert? Könnte man es auch wieder rücktransformieren? Es gibt mit Sicherheit klangliche Korrespondenzen zwischen beiden Teilen. Der zweite Teil der Arbeit, welcher mehr der künstlerischen Einwirkung unterliegt, folgt einem zu Beginn gewähltem Verfahren, welches nachvollziehbar ist. Das Ergebnis ist eine subjektive Verarbeitung der gesammelten Daten aus Klang und Bildmaterial, welches es nicht immer ermöglicht den Urzustand wieder herzustellen. Wie gehen die Arbeiten auf die Präsentationsform der Radiosendung ein, die natürlich unter anderen Parametern funktioniert als eine Internet-Ausstellung, eine räumliche Klanginstallation oder etwa eine CD? Die akustische Übertragung im Radio ist die letzte Instanz der Suche nach den natürlichem und artifiziellen Geräuschen einer Großstadt. Durch die Übertragung im Radio wird der Hörer zurück zur ersten Instanz geführt, welche das Suchen und Aufnehmen von Field Recordings beinhaltet. Die akustische Nähe zu den Aufnahme Orten wird wieder hergestellt und das Geräusche wird selbst wieder zum Geräusch. Am Ende schließt sich der permanente Kreislauf des Hören und Zuhören. |