RE-PLAY


Catalogue Text by Heidi Grundmann

Dieser Aufsatz ist - so wie die keineswegs vollständige Auswahl von (Audio-) Arbeiten für die Ausstellung RE-PLAY stark von persönlichen Begegnungen einer mit der Berichterstattung über aktuelle internationale bildende Kunst befassten Rundfunkjournalistin mit KünstlerInnen bestimmt, die in den 70er Jahren nicht nur Interviews sondern zunehmend auch Original-Sound-Arbeiten für das Radio anzubieten hatten. Und von der Wiederbegegnung mit Tonbändern, Schallplatten und Kassetten, die mir diese KünstlerInnen bei Veranstaltungen irgendwo in der Welt in die Hand gedrückt, nach Wien geschickt oder bei Besuchen mitgebracht haben.

In dieser Stadt, die sich damals etwa für KünstlerInnen aus Nordamerika "am Ende der (westlichen) Welt" befand, versuchten KünstlerInnen, die sich ziemlich am Rand der Welt und der eigenen Gesellschaft fühlten, nach der traumatischen Abgeschnittenheit der Generation vor ihnen und nach den Befreiungsschlägen des Aktionismus, u.a. mit und in den Technologien einer neuen Zeit zu arbeiten und - gemeinsam mit einigen GaleristInnen, KuratorInnen und TheoretikerInnen - für sich und ihre Arbeit einen angemessenen Platz in der internationalen Auseinandersetzung um einen sich verändernden Kunstbegriff zu finden. In der zweiten Hälfte der 70er Jahre bereits waren Wien, Innsbruck und Graz zu wichtigen Anlaufstellen z.B. für die damals höchst aktuelle Performancekunst geworden.

In dem sich in einem Verbund von Medien artikulierenden Audio-Teil von RE-PLAY geht es nicht um die vielen das 20.Jh. durchziehenden Bestrebungen zu einer Erweiterung der Soundpalette in der Musik (bis hin zum alles umfassenden Rauschen oder der schockierenden Abwesenheit und überraschenden Fülle des Schweigens); es geht weder um die Auseinandersetzung mit der Verfeinerung, Sensibilisierung, Differenzierung und Ökologisierung des Hörens im Rauschen der Medien und Maschinen noch um die immer wieder neue Entdeckung der menschlichen Stimme und ihrer medialen Ent-Körperlichung und auch nicht um die vielen möglichen Metamorphosen und Aggregatzustände von Sprache. Auch eine Klangkunst, wie sie erst kürzlich als eine eigenständige Sparte "jenseits der Grenzen der Gattung Musik" definiert wurde, die sich gleichzeitig an Augen und Ohren richtet (wobei der für die Ohren bestimmte Teil verdächtig nach Musik klingt), ist nicht eigentlicher Gegenstand des Audio-Teils von RE-PLAY. Es geht vielmehr um Medienkunst.

*

Nun möchte man meinen, es sei ein leichtes, in die Archive - besonders jene einer nationalen Rundfunkanstalt - zu greifen und jene Tonträger herauszuholen, die Meilensteine einer sich entwickelnden Ausdifferenzierung der Medienkunst waren. Das mag vielleicht beim WDR in Köln der Fall sein.

Österreichische KomponistInnen und LiteratInnen, die von den 50er Jahren an versucht haben, ihre Arbeit in den Kontext internationaler Entwicklungen zu stellen, mussten ins Ausland gehen, wo eben in Köln oder Paris öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten es zu ihren Aufgaben zählten, ihre Produktions- und oft auch Sendemöglichkeiten jenen zur Verfügung zu stellen, die an der Entwicklung radiofoner Kunstformen wie etwa der musique concrete, der elektronischen Musik und später des Neuen Hörspiels arbeiteten.

Der Tiroler Komponist Bert Breit hatte nach einem Paris-Aufenthalt Anfang der 50er Jahre als einer von ganz wenigen Komponisten Zugang zu einem österreichischen Rundfunkstudio. Dort fand er in dem Toningenieur Walter Sommer einen kongenialen Partner. Bei Radio Tirol in Innsbruck entstanden also schon in den späten 40er und Anfang der 50er Jahre erste Tonbandkompositionen und Radiofonien. Jede Spur von ihnen ist im wahrsten Sinne des Wortes längst gelöscht.

Die Kollaboration - z.T. Koautorenschaft - zwischen Technikern und KünstlerInnen war und ist eine der wichtigsten Produktionsformen im Bereich Kunst und Technologie und führte u.a. zu dem neuen Typ des Künstleringenieurs. Innerhalb des Österreichischen Rundfunks kam es allerdings erst Ende der 80er Jahre zu einer kontinuierlichen Zusammenarbeit zwischen Tonmeistern und KünstlerInnen. Ausserhalb des Rundfunks entstanden in solchen Kollaborationen an den Hochschulen für Musik in Graz, Salzburg und Wien und in ganz seltenen Ausnahmefällen auch in den privaten Studios von Komponisten bereits in den 60er und 70er Jahren innovative technische Entwicklungen statt, die aber noch ihrer Dokumentation harren.

Der oft beschworene Boykott des Neuen Hörpiels durch den Österreichischen Rundfunk zu Ende der 60er Jahre und weiterhin war zwar kein durchgehender, doch gab es keine gezielte Auseinandersetzung mit dieser wichtigen spartenübergreifenden Entwicklung, zu der österreichische AutorInnen einen wesentlichen Beitrag geleistet haben: in Produktionen, die ihnen in den Studios bundesdeutscher Rundfunkanstalten ermöglicht wurden und die in Köln schliesslich in die Entwicklung einer Ars Acustica mündeten.

"das neue hörspiel präsentiert sich nicht mehr in erster linie als literaturgattung, in der eine tragende handlung akustisch illustriert wird, sondern, im allgemeinen sinn, als ein hörereignis, in dem alle schallphänomene, ob laute, wörter, geräusche oder klänge prinzipiell gleichwertig sind: verfügbares material. die gleichwertigkeit der schallphänomene annulliert die grenze zwischen literatur und musik", postulierte Gerhard Rühm aus seiner Praxis in deutschen Rundfunkstudios.

Erst 1980 bei der zweiten Ausgabe des Ars Electronica Festivals in Linz wurden in einem von Rühm zusammengestellten Überblick die Entwicklung der Radiophonen Poesie und des Neuen Hörspiels endlich auch in Österreich kompakt dargestellt. Das 8 Stunden dauernde Programm war über Hörinseln in der ganzen Stadt sowie über ein "Poesietelefon" abrufbar.

Der Zugang zu den Produktions- und Sendemöglichkeiten des z.T. über das neueste Equipment verfügenden öffentlich-rechtlichen Radios war übrigens auch für die Entwicklung der Medienkunst im allgemeinen und die der Videokunst im besonderen wichtig:

"I began as a traditional composer, as you know; then I went from Japan to Germany in 1958, to work at the electronic music studio in Cologne. I met John Cage there. He was a great influence. Also, if you work every day in a radio station, as I did in Cologne, the same place where television people are working , if you work with all kinds of electronic equipment producing sound, it`s natural that you think that the same thing might apply to video", erzählte Nam June Paik in einem Interview mit Douglas Davis. Der Rest der Geschichte ist bekannt und auch, dass das Problem des Zugangs zu den Kommunikationstechnologien weiterhin virulent geblieben ist.

 

"Technologically video has evolved out of sound....the video camera bears a closer original relation to the microphone than to the film camera", betont auch Bill Viola und fährt fort:" Synaesthesia is the natural inclination of the structure of contemporary media. The material that produces music from a stereo sound system, transmits the voice over the telephone and materialises the image on a television set is, at the base level, the same.

With the further implementation of digital codes........there will be an even more extensive common linguistic root."

Jenen österreichischen KünstlerInnen, die Ende der 60er Jahre/Anfang der 70er Jahre ihre ersten Medienkunstprojekte für Video- und/oder Tonbandgeräte entwarfen und teilweise auch realisierten, waren die strukturellen Ähnlichkeiten der Audio- und Videotechnologien durchaus bewusst. (s.a. Reinhard Braun in diesem Katalog). Die neuen Heimtechnologien, die auf den Markt drängten, ermöglichten zum ersten Mal eine Produktion ausserhalb der Institutionen, die Sendemöglichkeiten allerdings blieben weiterhin sehr beschränkt. Ein beliebtes Argument gegen die Ausstrahlung sowohl von TV- wie auch von Radioarbeiten, die mit den neuen Heimtechnologien produziert wurden, war die "broadcast quality", die "Sendefähigkeit". (Ganz ähnliche Argumentationsketten von seiten der Rundfunkanstalten und von seiten jener KomponistInnen, die einen traditionellen Werk- und "Qualitäts-"Begriff bewahren wollen, entspann sich zu Ende der 90er Jahre in bezug auf Real Audio im WWW.)

Sowohl im Hörfunk wie im Fernsehen waren es Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre die einen alternativen Kunst- und Kultur- und damit Medienbegriff verfolgenden (Jugend-)Redaktionen eines reformierten österreichischen Rundfunks, die gelegentlich (und gegen Widerstände) auch KünstlerInnen Zugang zu ihren Sendungen eröffneten. In diesen Sendungen wurde der noch lange schwelende Gegensatz zwischen künstlerischer und politisch-gesellschaftlicher Medienarbeit teilweise überbrückt, der nicht nur in Österreich in den 70er Jahren sehr lebendig war.

Sowohl Peter Weibel wie auch Lugus berichten allerdings davon, dass selbst die damals als sehr systemkritisch geltende Hörfunk-Jugendredaktion manche der von den Künstlern realisierten Arbeiten letztlich nicht sendete (senden konnte).

Während Nam June Paik schon 1965 im Cafe Au Go Go in der New Yorker Bleeker Street zum ersten Mal die Realisierung seines Traums von einer tragbaren Kombination aus elektronischem TV und Video Tape Recorder vorführen hatte können, war es für Hermann J. Hendrich in Wien ein ebenso grosser Anlass zur Freude, als er sich 1966 endlich im Besitz eines Stereo-Magnetbandrecorders mit Mikrofonen sah. 1967 realisierte er zur Eröffnnung der Werkstatt Breitenbrunn eine Stereo/Tonband/Montage mit einem Live/Sprecher und bald darauf eine "akustische Umgebung" in verschiedenen Räumen eines Schlosses. In einigen der Räume wurden Alltagssituationen (Kartenspiel, Lesung aus alten Kochbüchern etc.) inszeniert, während über Lautsprecher in alle Räume gleichzeitig Texte und zum Abschluß der Aktion von allen Bändern der gleiche Song der "fucks" eingespielt wurden.

"demonstration 2" 1968: eine schöne Arbeit, die leider unwiederholbar geworden ist. ich legte auf drei tonbandmaschinen endlos-tonbänder auf, die in der länge im verhältnis von primzahlen geschnitten worden waren und jeweils eine wortkombination trugen, die in hauptwort, tätigkeitswort und umstandswort aufgeteilt waren. bei der vorführung ergab sich damit eine sehr grosse anzahl von vollständigen sätzen, die sich erst nach tagen der vorführung wiederholt hätten."

Vier von Hendrich aufgetriebene Magnetophone spielten 1969 bei der Multimediale 1 in der Galerie Junge Generation in der Wiener Blutgasse eine ebenso wichtige Rolle wie das transportable (noch nicht tragbare) Videogerät, das die Künstler sich ausgeliehen hatten. "für das projekt 'MULTI MEDIA I"...konzipierte ich für den eingangsraum einen umlaufenden raumton. die durchführung erfolgte über vier magnetophone und ebensoviele lautsprecher in den ecken des raumes. eine endlos-tonbandschleife, die ein von mir produziertes geräuschereignis enthielt, wurde über alle magnetophone geführt. So wanderte das Geräusch von einer Ecke zur anderen im Kreis um die Zuhörer herum." Hendrichs Raumton fand abwechselnd mit den Live-Video-Aktionen, die die in die Galerie kommenden Besucher zeigten, statt. Aus allen Erzählungen und den eher verwirrenden Dokumentationen zur Multimediale 1 lässt sich ablesen, dass hier mit grossem Einsatz der KünstlerInnen versucht wurde, wichtige Prototypen für zukünftige mediale Arbeiten zu erproben - darunter auch der Prototyp einer interaktiven Installation, deren durch die Besucher ausgelösten Pfeiftöne so penetrant waren, dass sich die Anrainer beschwerten: sie und die KünstlerInnen machten die Erfahrung, dass Sound nicht nur sehr viel Raum einnehmen kann sondern auch unterschiedlichste Räume durchdringt und ausserhalb von Kunsträumen heftige Abwehrreaktionen auslöst.

Valie Export sollte diese Erfahrung 1979 ein weiteres Mal machen, als sie gemeinsam mit Heidulf Gerngross und Helmut Richter bei dem Projekt "Künstlerschaufenster" in Graz ein "Tonmonument" realisierte, bei dem die Mur über riesige Lautsprecher mit Rülpsgeräuschen überbrückt wurde: "Die Stadtfenster zu beiden Seiten des Flusses brüllen sich mit Hilfe von Laut-Sprechern an. Die Art des Tones "Rülpsen" manifestiert die ästhetische Organisation". Das Projekt musste abgebrochen werden.

Wolfgang Ernst blieb mit seinen frühen Soundarbeiten innerhalb des in sich abgeschlossenen Galerieraumes, z.B. mit seinem "Projekt Tonraum" von 1968, bei der die Soundgenerierung den Besuchern überlassen blieb. "mindestens 5 Lichtschranken mit Tonbandanlage. Das Publikum erzeugt die Akustik selbst." oder der Arbeit "Glasscorner" (Halogen, Glasscherben, Neonlicht, Tonbandanlage) von 1969. 1970 thematisierte Ernst in der Galerie nächst St.Stephan den essentiellen Zeit-Unterschied zwischen dem realen Rauschen eines Flusses und seiner medialen Wiedergabe, zwischen einem realen Flow bzw. unserer Vorstellung von ihm und ihrem medialen Bild. Eine gleichermassen gegen die kurze Zeit einer Ausstellung und die Flüchtigkeit der Wiedergabe eines bestimmten, aufgenommenen Geräusches und die Unmöglichkeit ihrer Ausführung ankämpfend war die Anweisung "Das Rauschen des Flusses so lange verstärken bis dieser still ist" auf eine Stahlplatte graviert.

1973 konnte Richard Kriesche in Graz in einer Ausstellung, in der er den Medien "Live, Video, Sound, Polaroid..." auf den Grund ging, den Prototyp von Hendrichs sich auf den ersten Raum der Galerie in der Blutgasse beschränkenden und ihn definierenden "Raumton" so eindrucksvoll - und den Raum selbst zum Gegenstand der Aufnahme machend - auf den Punkt bringen, dass der junge "Herr Lugus" aus Graz 1979 seine eigenen komplexen Soundinstallationen in The Kitchen in New York und in Stuttgart als Homage an Kriesches Soundinstallation von 1973 konzipierte.

Wie die meisten anderen der österreichischen MedienkünstlerInnen arbeitete Kriesche nur gelegentlich ausdrücklich mit dem Medium Sound. In Projekten, Symposia und Ausstellungen, die er z.T. mit Peter Gerwin Hoffmann realisierte, und die Raum für Aktivitäten anderer KünstlerInnen und in einigen exemplarischen Arbeiten auch von NichtkünstlerInnen schufen, fand aber durchaus auch die Auseinandersetzung mit Sound und Audiotechnologien Platz. Die in Graz zunächst von Kriesche und Hoffmann entwickelten Ansätze, in denen der Raum der Skulptur vor allem als ein sozialer Raum definiert wurde, der von den neuen Technologien mitbestimmt wird und in dem auch KünstlerInnen Verantwortung zu übernehmen haben, beeinflussten mehrere Generationen von Grazer KünstlerInnen, zu denen auch Musiker zählen. Diese spielten wiederum in der Telekommunikationskunst der 80er Jahre und 90er Jahre eine wichtige und eigenständige Rolle.

Peter Gerwin Hoffmann selbst hat 1971 einen "Klangbaum" für den öffentlichen Raum entworfen, der nicht Abwehr sondern Sensibilisierung hervorrufen sollte.

Diese Haltung des sozusagen für und gemeinsam mit den anderen Bewohnern/Nutzern eines institutionalisierten, verwalteten öffentlichen Raumes - und als solchen fassten Kriesche und Hoffmann auch den Raum der Medien auf - Erkenntnisse über und Bilder für die Beschaffenheit dieses Raumes zu finden, kennzeichnet auch die gemeinsamen medialen Projekte der beiden Grazer Künstler, die damit in starkem Gegensatz zur Haltung der nach-aktionistischen Wiener MedienkünstlerInnen standen.

Eine Sonderstellung unter den österreichischen MedienkünstlerInnen nahm der Vorarlberger Gottfried Bechtold ein, der schon sehr früh die Faszination des Telefons und der Funktechnologien und damit den skulpturalen Raum des sich gleichzeitig an mehreren Orten Befindens erkannte. Ganz am Anfang standen Zeichnungen eines Telefons mit dazu vermerkter Telefonnummer "wobei da diese Wertigkeit des tradtionellen Mediums Zeichnung und die Wertigkeit des Mediums Information, in Form der Nummer, einfach hart aufeinandergeprallt sind. Daraus haben sich dann so radikalisierte Arbeiten entwickelt wie, dass ich wirklich Tonbandaufzeichnungen von Gesprächskonstruktionen gemacht habe und performanceartige oder aktionistische Arbeiten, die tatsächlich Telefonate waren. .....Das ist doch eine faszinierende Idee: Jeder Mensch in der Welt kann dich anrufen oder du kannst jeden Menschen in der Welt anrufen...das müsste einen Bildhauer ein Leben lang beschäftigen allein schon wegen der Raumfunktion"

Bechtold hat neben seinen bekannten Arbeiten bei der Documenta 6 in Kassel ("100 Tage Präsenz": über die Lautsprecheranlage im Fridericianum wurde der jeweilige Aufenthaltsort des Künstlers verlautbart) und in Edinburgh einige Male die Medien Telefon und Radio miteinander verbunden, so z.B. in der Sendung Diagonal, Österreich 1, 1980, in der er nach dem Zufallsprinzip eruierte Telefonnummern anwählte und Gespräche führte.

 

*

Zunächst über die der visuellen Poesie und Konzeptkunst gewidmeten Veranstaltungen, die Peter Weiermair Ende der 60er Jahre in Innsbruck kuratierte und dann auch über die Internationalen Malerwochen in Graz (1970) war mit dem Italiener Maurizio Nannucci ein Künstlertyp immer wieder auch in Österreich präsent, der nicht nur Sprache, Licht, Musik, Fotografie, Video und Sound als Material und Medium verstand sondern neben dem Buch und der Schallplatte schon sehr früh auch das Tonband und den Computer und ganz selbstverständlich auch das Radio als Produktions- und Distributionsmöglichkeiten in seine Arbeit einbezog. 1970 wurden sein Computerkonzert, das er 1968 als Mitglied eines Kollektivs realisieren konnte, welches in Pisa Zugang zu einem General Electric 115 hatte, und Beispiele seiner Soundpoetry von Radio Steiermark gesendet. 1974 stellte er im ORF aus Anlass einer Ausstellung in Graz seine Radioarbeit "World Symphony" vor, die 1971 entstanden war: Nannucci hatte 6 nationale Rundfunkanstalten (diese als eine interkontinentale Struktur von Aufnahme- und Wiedergabemaschinen begreifend) auf allen Kontinenten gebeten, ihm je 15 Minuten Umweltklang zu schicken. Er legte diese Klänge zu seiner "World Symphony" übereinander. Noch besser bekannt ist seine Arbeit "Parole" von 1976, für die Nannucci in der Rolle eines Radioreporters mit tragbarem Aufnahmegerät Passanten bat, ihm das erste Wort, das ihnen einfiel, auf Band zu sprechen. "Parole" erschien als Schallplatte, als Kassette und wurde vielfach im Radio gesendet. Doch Nannucci, der einem damals in Italien weiter als in Österreich ausgeprägtem, politisch motivierten Trend folgend als Mitglied verschiedener Kollektive agierte, produzierte nicht nur seine eigenen Schallplattten, Bänder und Bücher sondern gründete 1974 in Florenz gemeinsam mit anderen Künstlern das ZONA Archiv , eine gemeinnützige Organisation, die auch heute noch "Tendenzen der zeitgenössischen Kunst studiert und erfasst." Zona präsentierte 1975 z.B. alternative Verlage, darunter österrreichische. 1977 wurde eine Phonothek mit Audioarbeiten von KünstlerInnen als Installation präsentiert, die in der Zwischenzeit wie man sich u.a. 1997 in Bregenz überzeugen konnte, zu einer umfangreichen Sammlung von Soundarbeiten bildender KünstlerInnen herangewachsen ist. Nannucci sieht sein Sammeln von Arbeiten anderer KünstlerInnen als eine Tätigkeit gegen "Fragmentierung und Auflösung, gegen Entfremdung und Vergessen..". Schon zuvor hatte Nannucci die Schallplatte als adäquates Medium für Anthologien von Sound-Poesie genutzt, u.a. mit Arbeiten von Ernst Jandl.

Für die ausschliesslich Österreichern gewidmete Ausstellung "Kunst aus Sprache", die 1975 im Museum des 20.Jhs. in Wien stattfand - und den internationalen Ausstellungen zur visuellen/konkreten Poesie und Konzeptkunst nachfolgte, die Peter Weiermair Ende der 60er/ Anfang der 70er Jahre in Innsbruck und Wien (Galerie nächst St.Stephan) gezeigt hatte, - listete Peter Weibel in einem Werkverzeichnis "Hörstücke von 1967 -1974" auf. "diese hörstücke sind teilweise auf video dokumentiert, da die konstruktion der texte auf bestimmten prinzipien (zumeist schleifen) von tonband-installationen beruht, d.h. die hörtexte erweitern sich in räumliche dimensionen der skulptur (wie es ja bereits durch das stereo-verfahren eingeleitet wurde)." Diese Hörstücke waren im Kontext der Ausstellung "Kunst aus Sprache" sehr gut plaziert, waren sie doch sehr einer Tradition verhaftet wie sie etwa Gerhard Rühm auch für das Radio oder etwa ganz spielerisch und von den Mühen der tatsächlichen Umsetzung abgehoben 1975 in einer Anweisung wie der folgenden entwickelt hat. "wirf einen hellen ton zum fenster hinaus und schick ihn um die erde. warte, bis er rückwärts durch die tür wieder eintriff - angereichert mit allen tönen, denen er auf seinem weg begegnet ist. lass dich von diesem klang zu boden schmettern."

In dem Heft werkstatt aspekt 3, das mit dem Titel "die medien als instrumente zur erhaltung des status quo" erschien, kommentierten Hendrich und Weibel 1971 den bekannten ebenfalls abgedruckten Text von Laszlo Moholy Nagy "Neue Gestaltung in der Musik. Möglichkeiten des Grammophons", einen Text, den Douglas Kahn als einen wichtigen frühen Vorschlag zu einer phonographischen Kunst, die sich vom Primat des Visuellen ablöst, betrachtet: "Moholy Nagy made explicit proposals for experimentation with sound, film and, by stating that sound should be experimented with apart and prior to its integration with the visual images, effectively proposed a phonographic art."

Weibel blieb bei seiner Betrachtung der den Aufzeichnungstechnologien inhärenten Verschiebung des Verhältnisses von Abbildung und Vorbild bei einer Gleichsetzung von visuellen und auditiven Medien. "die wirklichkeit (das sind die realen musiker, instrumente, landschaften, frauen und männer, gegenstände usw.) galt bisher als conditio sine qua non der abbildung, als anfangsglied der ketten von ab- und umbildungen. tv und schallplatte sind die ersten verkürzungen dieser kette. nicht nur zwischenglieder werden ausgelassen, sogar des anfangsgliedes kann man sich entäussern.........einer technologischen philosophie bleibt es überlassen, die direkten veränderungen der wirklichkeit, die zustandsänderungen der materie durch neue interpretationen der zeichenverarbeitung, ins begriffliche umzumünzen. für die zwecke der kunst genügt es vorläufig, auf den erkenntnistheoretischen wert der schallplatte und des videorecorders hinzuweisen."

Es war schliesslich eine Arbeit mit dem inzwischen weit zugänglicheren und leichter manipulierbaren Tonband, mit dessen Hilfe Weibel seine "Bachkomposition" realisierte, in der er das Thema der Veränderung der Abbildungsfunktionen wieder aufgriff. Weibel veränderte in dieser Arbeit die Geschwindigkeit der Aufnahme eines Bachgeräusches und belegte, dass dieses Geräusch sich selbst mit abnehmender Geschwindigkeit immer ähnlicher wurde und mit zunehmender Bandgeschwindigkeit seine Abbildungsfunktion in Richtung auf ein undefinierbares Rauschen verlor. Weibel versah 1978 die Sendung dieser Arbeit im Österreichischen Rundfunk mit einer selbst gesprochenen Erläuterung, nach der er das Stück noch einmal senden liess: auf diese Art hielt er mit seiner Bachkomposition auch den üblichen Fluss des Radios auf, der gewöhnlich nicht reversibel ist.

*

Die Schallplatte - die schon zu Beginn des Jahrhunderts zu einem Massenmedium geworden war - war in der Kunst der 60er und beginnenden 70er-Jahre u.a. dank der starken Bezüge von Fluxus zu musikalischen Formen und der Entmaterialisierungstendenzen der Konzeptkunst so allgegenwärtig, dass Germano Celant sie als ein eigenes Medium in den Titel seines Buches "Offmedia. Nuove Techniche Artistiche: Video Disco Libro" aufnahm und Hand in Hand mit seiner mehrjährigen Arbeit (seit 1971) an diesem Buch auch eine Schallplattensammlung aufbaute, die schliesslich in der Ausstellung "The Record as Artwork: From Futurism to Conceptual Art" durch verschiedene Museen wanderte.

"In line with the reductive theories of the period, the record contributes to the isolation of one component of art work - sound - while on the other hand it enriches the array of linguistic tools available for the task of exploding the specifically visual, and pushing back the limits of the art process", schreibt Germano Celant sowohl in seinem Buch Offmedia wie in der Einleitung zum Katalog seiner Ausstellung. Und in beiden Publikationen stellt Celant keineswegs nur die Geschichte der Schallplatte als Kunstwerk selbst dar sondern ausgehend von Lautgedichten am Ende des 19.Jhs. die Geschichte von Sound und Kunst im allgemeinen, eine Geschichte also, die auch jene der visuellen, konkreten und auditiven Poesie, oder der Performancekunst, der musique concrete und anderer Entwicklungen in der Musik, der Ars Acustica, der Radiokunst, der Telekommunikationskunst und der Videokunst ist.

Eine nächste wichtige Station in der Darstellung der Schallplatte als Kunstwerk - die von Ursula Block und Michael Glasmeier zusammengestellte Ausstellung "Broken Music - Artists´Recordworks" -bezog sich 1988 explizit auf die Arbeit des tschechischen Künstlers Milan Knizak, der schon in den frühen 60er Jahren Schallplatten (und damit u.a. ihren musealen Anspruch auf die Erhaltung von Meisterwerken und Sternstunden der Musik) in Stücke brach und ursprünglich nicht zusammengehörende Teile zu Plattenobjekten zusammensetzte, die durchaus spielbar sind: "das Abspielen solcher Platten (wodurch Diamant und Platenspieler oft genug kaputtgingen) brachte eine vollkommen neue Musik hervor, eine unerwartete, nervenzerreissende, eine aggressive Musik. Die Kompositionen konnten eine Sekunde dauern oder endlos sein - z.B. wenn die Nadel des Plattenspielers in einer Rille steckenblieb und wieder dieselbe Phrase ertönte. Mein System habe ich noch durch Überkleben, Bemalen und Ansengen der Platten weiter ausgebaut, auch zerschnitt ich einige Platten und klebte fremde Teile wieder zusammen, dadurch unendliche Klangvarianten gewinnend...." Dass Knizak, dieser wichtige europäische Exponent der Fluxusbewegung (und u.a. Vorläufer des Scratchings und Samplings) in Österreich nicht präsent war, hat wohl nur zum Teil mit dem Eisernen Vorhang zu tun. Fluxus hat nur sehr gelegentlich zeitgleiche Spuren in Österreich hinterlassen (vor allem in der Galerie nächst St.Stephan, wo Beuys und Henning Christiansen Ende der 70er Jahre "konzertierten") und ist auch nur in Spuren und auf sehr österreichische Weise in die Arbeit z.B. der Aktionisten eingeflossen. Dem Künstler und Menschen Milan Knizak allerdings hat sich Österreich in Form eines einmonatigen Aufenthalts in einem Wiener Polizeigefängnis unauslöschlich ins Gedächtnis eingegraben. Im Gefängnis entstand u.a. ein Performance im Kopf des Künstlers, deren "Partitur" auf Papier festgehalten ist.

Knizaks Konzept einer destroyed oder broken music kann auch als Vorläufer von zahlreichen Versuchen gesehen werden, der starken Tendenz der Musikalisierung von Sound entgegenzutreten. So verwendete der noisician G.X.Jupitter Larsen den Ausdruck 1983 für seine regelmässige stundenlange Radioshow bei CFRO-FM, Vancouver, "to describe his dedicated attempt to remove any trace of music from the sound" )

Selbst Künstler, deren Arbeiten auf Schallplatte publiziert worden waren, griffen mit dem Auftauchen der Tonbandkassette sehr gern auf dieses schnelle, billige, und ohne vermittelnde Infrastruktur handhabbare Medium zurück, das ohne grosse Umstände das Herstellen der gerade benötigten Anzahl von Kopien erlaubt, um ihre Arbeiten ganz einfach auf dem Postweg zu verteilen. So gelangten z.B. Schallplattenarbeiten von Lawrence Weiner genauso wie etwa seine Radioarbeit "Need To Know" auf Kassette direkt vom Künstler in die Kulturredaktion des ORF, von der ab 1976 als völliges Novum eine Radiosendung über bildende Kunst produziert wurde, die nicht aus einem Ausstellungsrundgang in Form aneinander gereihter verlesener Zeitungskritiken bestand, sondern sich internationalen Trends, Events und kunstpolitischen Fragen mithilfe der Methoden des aktuellen journalistischen Features näherte. In dieser Sendung wurden bald Kassetten von Künstlerarbeiten zumindest ausschnittsweise gesendet und 1977 eine regelmässige Rubrik "Kunst zum Hören" eingerichtet. Häufig kontextualisierten Interviews mit den KünstlerInnen die Arbeiten, die bei den HörerInnen nicht immer auf Verständnis stiessen.

Eine Radiokunst, wie sie 1987 bei der Umwandlung der journalistischen Nachfolgesendung von "Kunst heute" in einen Ort für Radiokunst auf dem Kulturkanal des Österreichischen Rundfunks, Österreich 1 ("Kunstradio-Radiokunst") postuliert wurde, war in den 70er Jahren als etwas, das vor allem mit bildender Kunst, mit Konzeptkunst, mit einer Erweiterung des Skulpturbegriffes zu tun hatte, erst in Ansätzen greifbar.

Die erste Folge von "Kunst zum Hören" war dem "Labyrinth Scored for the Purrs of 11 Different Cats" von Terry Fox gewidmet, einer im komplexen Zusammenhang einer jahrelangen Auseinandersetzung des Künstlers mit dem Labyrinth von Chartres stehenden Tonbandarbeit, die im kalifornischen Sender KPFA-FM in ihrer vollen Länge von 95 Minuten ausgestrahlt worden war. Der Künstler verwendete das Labyrinth als Partitur und nahm für jeden der 11 konzentrischen Kreise, die der Pilger abschreiten muss, um ins Zentrum zu gelangen, das Schnurren einer anderen Katze auf. Dieses Schnurren wurde in sich nicht geschnitten. Es entstand eine Arbeit, die wie das Labyrinth selbst einen sehr starken meditativen Sog ausübt. Terry Fox, der in den 70er Jahren sehr häufig aus Kalifornien und dann New York nach Europa kam und in der Zwischenzeit in Europa lebt, arbeitet meist ohne Technologie. Er betrachtet sich als Bildhauer und beschäftigt sich als solcher mit dem Raum und der realen Zeit in diesem Raum. Eine Eigenschaft des Raumes in der Zeit ist der Klang.

1977 gab Terry Fox - einer der frühen Vertreter der Performance-Kunst, der Body-Art, der Soundskulptur, ein Interview, das über den Ausgangspunkt und Wandel der Performancekunst in den 70er Jahren einiges aussagt:

"Die Live/Performance / das was heute Performance genannt wird, hatte damals keinen Namen, es gab nur Titel für die einzelnen Arbeiten und die Laute kamen einfach. Es gab noch kein künstliches Namensschild. Ich glaube, es war Willoughbz Sharp, der schliesslich den Ausdruck Body Art erfunden hat. Zwei, drei Jahre hat man diesen Ausdruck verwendet und dann kam der Begriff Performancekunst auf.. Ich würde sagen, so von 1975 an sagte man Performance Art. Für die Kunstkritiker und Subventionsgeber sind solche Kategorien natürlich wichtig.

Ich kann nur sagen, wo meine eigene Arbeit herkam, es handelte sich um einen langen Prozess.. Es dauerte 3 Jahre bis ich das Stadium erreichte, in dem ich wirklich vor einem Publikum eine Performance machte. Es hatte damit zu tun, dass ich 1968 als Bildhauer in Paris war und dort Zeuge einer sehr direkten Konfrontation zwischen Menschen geworden bin, die keine Medien als Übersetzer brauchten. Es war eine Person zu Person Situation. Als ich nach San Francisco zurückkam, machte ich Strassentheater und gleichzeitig Skulpturen, die mit Wasser, Feuer und Wind zu tun hatten. Meine letzte Arbeit mit Feuer war eine Live Aktion zum Vietnam Krieg vor dem Museum in Berkeley, wo ich mit einem Flammenwerfer die Pflanzen vor dem Gebäude zerstörte. Das war meine letzte Skulptur und meine erste Performance, denn es waren damals wegen einer Eröffnung zwei/ dreihundert Leute anwesend. Von da an arbeitete ich vor Publikum und ich verstand meine Arbeit als das Schaffen von Skulpturen vor einem Publikum.

Statt daheim in meinem Atelier zu bleiben, dort eine Skulptur zu machen und diese dann in einen anderen Kontext zu entlassen, wollte ich selbst die Verantwortung für den Kontext meiner Arbeit übernehmen. Ich führte meine Arbeit vor.

Zur gleichen Zeit hielt in New York Vito Acconci Lesungen als Dichter und diese Lesungen fanden selbstverständlich live vor einem Publikum statt.

Ich weiss, dass seine erste Performance darin bestand, dass er von seiner Wohnung aus zum Ort einer Lesung zu Fuss ging. An jeder Strassenecke telefonierte er mit den Leuten am Ort der Lesung. Seine Anrufe, in denen er angab, an welcher Strassenecke er angekommen war, wurden über Lautsprecher in den Saal übertragen. Natürlich kam er nicht rechtzeitig zu seiner Lesung in dem Saal an. Die Lesung bestand aus den Telefonanrufen, und das war eine Art von Performance. Sowohl bei Acconci wie auch bei mir entwickelte sich also die Performance sehr organisch aus unserer Arbeit.

Einer der Gründe, warum die Performance/Art zu diesem Zeitpunkt in den USA entstanden ist, war der Vietnam/Krieg. Das Klima in den Vereinigten Staaten war von einem Misstrauen gegen die Medien gekennzeichnet, die tagtäglich Zahlen von Gefallenen veröffentlichten, - 200.000 Vietnamesen und zwei Tote auf amerikanischer Seite, und jeder wusste, dass das nicht stimmte. Zumindest unter den Leuten, die ich kannte, in der Kunstszene führte das zu einem schrecklichen Misstrauen gegen die Medien. Die (frühe) Performance/Art war vor allem auch deswegen interessant, weil es in ihr keine elektronischen Medien gab. Man verwendete weder Kassettenrecorder noch Video, manche Performances wurden aufgezeichnet, aber die Grundidee war, dass die Performance live für ein bestimmtes Publikum vor Ort stattfand. Das war ihre Existenzberechtigung. Eine Aufzeichnung war eben nur eine Aufzeichnung, und nur die eigentliche Performance war Kunst.

1967 war ich vier Monate lang in Amsterdam und lernte dort die Decollage/Bücher von Wolf Vostell kennen, ich kannte die Fluxus/Bewegung und ich kannte die Decollagen, ich machte selbst noch keine Performances. Wir wussten, dass es die Möglichkeit gab, seine Arbeit vor einem Publikum zu schaffen, aber ich glaube nicht, dass es einen Einfluss von Europa auf unsere Entwicklung gab. Den Wiener Aktionismus habe ich z.B. erst 1972 kennengelernt. Wir kannten Beuys, hauptsächlich Beuys. Ich machte 1970 gemeinsam mit ihm eine Performance. Aber wir wussten nichts über den Wiener Aktionismus. Ich erinnere mich noch daran, wie ich zum ersten Mal darüber gelesen habe. Wir hatten grösste Schwierigkeiten, den Aktionismus zu begreifen.

Ich kann nur für mich selbst sprechen, aber ich glaube, das, was heute passiert, ist reaktionär, es wird alles auf den Kopf gestellt. Am Anfang hat man versucht, die Medien zu eliminieren und für mich bedeutete das, auch auf alle herkömmlichen Materialien zu verzichten, weil diese ja auch eine Art Medium darstellten und gleichzeitig eine Einschränkung. Ausserdem hatte ich kein Geld für künstlerisches Zubehör und so machte ich Kunst ohne Zubehör und hergebrachtes Material. Kunst mit vorgefundenem Material und meinem Körper.

Was heute in New York passiert, ist die völlige Rückkehr zu den Medien. Man könnte genauso gut daheim bleiben und sich das ganze im Radio anhören oder sich ein Videoband anschauen. Man geht in die Galerie und dort sind dann Sesselreihen aufgestellt wie im Theater, man sieht ein Videoband, zur gleichen Zeit läuft ein Tonband und der Künstler liest über Mikrofon und Lautsprecher einen Text, dazu werden Dias projiziert und das war' s dann auch. Man geht wieder heim. Was man erlebt hat, war eine Medienerfahrung. Es ist die totale Rückkehr zu den Medien.

Ich bin erst seit 10 Monaten in New York, aber ich habe dort bereits viele Leute getroffen, die mit Akustik arbeiten, Leute, die die Akustik eines vorgefundenen Raumes, der vorgefundenen Umgebung verwenden. Ich halte das für eine sehr interessante Sache. Aber was die Performance Art betrifft, so habe ich nicht gesehen, was nicht voller Medien und Elektronik gewesen wäre. Trotzdem halte ich die Performance Art für eine sehr wichtige Kunstform und nicht etwa für eine Modeerscheinung.

Ich glaube, es ist immer noch wichtig, den Menschen persönlich entgegenzutreten, wahrscheinlich wichtiger als je zuvor.

Ein weiteres Motiv für die Performance war die Verwendung aller Sinnesorgane, nicht nur des Sehsinns. Eine Performance schliesst Riechen ein, Berührung und das Hören. Ich verwende immer Geräusche in meiner Arbeit, selbst dann, wenn es sich um das Fehlen von Geraueschen handelt. Geräusche und Töne waren zwar nie das ausschliessliche Kommunikationsmittel, aber sie sind sehr wichtig für die Kommunikation, und sie sind noch nicht genügend erforscht. Die Klaviersaiten, die ich zur Zeit verwende, sind eine Möglichkeit neue Dinge zum Thema Raum zu entdecken. Die Saiten sind nur Werkzeuge, um den Raum zum Mitschwingen zu bringen, einen Fensterrahmen z.B. oder einen Heizkörper zum Klingen zu bringen, mit Tönen, die ein grosses Volumen haben, mit denen man den ganzen Raum füllen kann. Umgekehrt kann man einen Raum mit gewissen hohen Tönen verkleinern. Das sind sehr skulpturale Anwendungsweisen von Ton und Klang.

Ich habe in meiner Arbeit nie Sprache im Sinne von Worten verwendet. Es gibt neben der Sprache aus Worten viele andere Sprachen. Sound ist für mich eine sehr reine Art von Sprache, man braucht keine Intelligenz, man braucht kein Verstehen, alles, was man braucht, sind die Trommelfelle, ein System von Knochen, ein Zwerfell und schon kann man diese Sprache empfangen".

*

"Traditionally sculpture has dealt with the realization of an idea in three dimensions through a variety of materials: wood, stone, or metal; plastic, clay, or even recycled junk. In the 1970s, however, many sculptors found that the ideas they were most committed to centered on their interaction with the materials they used. And their materials extended to even greater variety: their own bodies, social situations, sound, light, air, scientific investigation, politics - anything could be an art material".

Lawrence Weiner, für den Musik genauso wie Sprache und Sound skulpturales Material ist, war sich dessen sehr bewusst, dass auch der traditionelle White Cube, in dem z.B. Malerei gezeigt wird, alles andere als ein schalltoter Raum ist: "When you look at a painting in a gallery you hear somebody talk behind you about their feet hurting. You hear all the noises around you. You start to talk to other people and that is how you see art. So why not hear it as well as see it all at the same time? But it is not a Gesamtkunstwerk. Everything is moving along at the same time . They are all growing. There is not one domininant"...Lawrence Weiner deutet hier in einem informellen Gespräch eine Haltung an, die nicht auf Synästhesie, auf Verschmelzung aus ist, sondern vielmehr die unterschiedlichen Ebenen eines in mehreren Medien gleichzeitig ablaufenden Geschehens - wie jenes, mit dem wir es im Alltag laufend zu tun haben - als mehrere Kanäle mit ihren jeweils spezifischen Eigenheiten der Anbindung an etwas Dahinterliegendens versteht.

Dieses Dahinterliegende ist jedoch keineswegs metaphysisch sondern politisch-gesellschaftlich bestimmt. Weiner geht es explizit um gesellschaftliche Verantwortung des Künstlers und der Kunst, um einen "social way to deal with the world". (In dem Gespräch bezog er sich ausdrücklich auf Sartre).

Weiner erarbeitete seine Soundstrukturen meist mit Freunden, unter ihnen die Musiker Richard Landry oder Peter Gordon. "We had a very good situation in New York at one point in the 60ies and 70ies: James Umland had a program on WBAI. From that program lots of artists, myself, Acconci, Barry were all able to use sound and present it out into this space." Weiner nannte seine Radioarbeit "Need To Know" übrigens in Anspielung auf Orson Welles ein "experimental theatre of the air". Besonders wichtig für ihn: das grosse und heterogene Publikum, das diese Arbeit, die an einem Nachmittag ausgestrahlt wurde, gehört hat.

(Lawrence Weiner hat übrigens - wie Laurie Anderson mit "Oh Superman" in Europa - durch eine Kombination von populärem Radio und Schallplatte ("Deutsche Angst") in Japan auch über die Hitparade Menschen erreicht, die sonst kaum jemals mit zeitgenössischer Kunst zu tun hatten. In den 90er Jahren plazierte er Spots in einem kommerziellen Sender im Ruhrgebiet).

"Oh Superman" war übrigens 1981 von dem Künstler Bob George produziert und in der einflussreichen John Peel Show der BBC plaziert worden. George hatte zuvor u.a. auch schon Laurie Andersons Single "It's not the Bullet" (1977) für die Ausstellung der Künstlerin in der Holly Solomon Galerie produziert und gab ebenfalls 1977 mit der Doppel LP "Airwaves" eine wichtige Anthologie von Künstlerarbeiten heraus. Dieser Initiator, Kurator und Vermittler von Arbeiten anderer Künstler, der auch selbst Kunst machte, sagte 1979 in einem Interview "Vor 10 Jahren begannen in New York Künstler wie Vito Acconci und Dennis Oppenheim, statt Bilder Töne in die Galerien zu bringen. Sie waren nicht mehr ausschliesslich an der visuellen Seite einer Ausstellung interessiert sondern auch am Ton innerhalb des Galerieraumes. Ansatzpunkt für diese neue Ausdrucksform war die Bildhauerei. Die offensichtlichste Veränderung besteht wohl darin, dass das Tonband eingesetzt wird, u.zw. als Material, das genauso manipuliert werden kann wie jedes andere Material für eine Skulptur".

*

" ...what I`am trying to do is make art that`s as close to real life as I can without its being real life." (Tom Marioni).

Der amerikanische Künstler Tom Marioni gelangte 1968/70 von der Musik und einer minimalistischen Skulptur kommend zu der Auffassung, dass eine alltägliche Handlung - vom Künstler ausgewählt und isoliert - zur Skulptur werden kann. Die Form dieser Skulptur wäre dann die Handlung selbst. 1968 wurde Marioni Kurator des Richmond Art Center in Kalifornien. "I saw also my activities at the Richmond Art Center as activities in which I could realize my sculpture concerns by organizing exhibitions of other people`s work in group shows and theme shows. Assembling shows according to relationships of people and styles is the same as putting relationships of objects together in more traditional sculpture.". Diese Einsicht weiterverfolgend gründete Tom Marioni 1970 in San Francisco das Museum of Conceptual Art, MOCA, ein öffentliches Kunstwerk in progress, das über viele Jahre hin auch anderen Künstlern Raum für ihre künstlerischen Aktivitäten bot und jeden Mittwoch zwischen 2 und 4 Uhr nachmittags in der unter dem Museum gelegenen Breens Bar unter dem Titel "Café Society" auch Nichtkünstlern Gelegenheit gab, Teil von Kunst zu sein, indem sie in der vorgegebenen Zeit z.B. Bier tranken.

Die zweite Ausstellung des MOCA Ende April 1970 hiess Sound Sculpture As. Marioni hatte neun Künstler zu dieser inzwischen legendären Ausstellung eingeladen und realisierte als Beitrag seines Alter Egos Allan Fish auf einer Leiter stehend und in einen darunter stehenden Kübel zielend die Skulptur "Pissing". Marioni betrachtete "sound as an element that could be used as a sculpture material which could only exist in time and was not static. To me it seemed that the sound should be the result of an action that I made. ". Paul Kos und Richard Beggs plazierten 8 Mikrofone rund um zwei schmelzende Eisblöcke, Jim Melchert rief zwei Mal aus Breens Bar an und liess das Telefon jeweils 15 Mal im Ausstellungsraum des MOCA klingeln, usw. Die Ausstellung gilt in der Zwischenzeit als ein früher Meilenstein einer nicht unter Musikaspekten rubrizierbaren Sound Art. Sie war sicher eine der frühesten, wenn nicht die früheste, die ausdrücklich der Soundskulptur gewidmet war und zwar einer dematerialisierten Soundskulptur, die nichts mit den klingenden Skulpturen eines Harry Bertoia, der Brüder Baschet oder eines Stephan von Huene zu tun hat, wie sie 1975 in der von John Grayson kuratierten Ausstellung "Sound Sculpture", zu der auch eine LP erschienen ist, in der Vancouver Art Gallery gezeigt wurde.

Tom Marioni dehnte sein MOCA als "Café Society" nicht nur in den öffentlichen Raum von Breens Bar aus - wo er übrigens auch Videos zeigte,- sondern auch in den medialen Radioraum: "Sound Sculpture As" wurde - zeitversetzt - gesendet, und ein Jahr später kuratierte Marioni unter dem Titel MOCA-FM 25 Ein- Minutenstücke von Künstlern. Sowohl "Sound Sculpture As" wie MOCA-FM wurden von KPFA- FM in Berkeley ausgestrahlt

Marioni war in den 70er Jahren häufig in Europa, (auch in Österreich) und realisierte Versionen seiner skulpturalen Arbeiten, darunter auch aus seiner "Drumbrushing"-Serie, bei der er sozusagen als Gegenbild zu technologisch-medialen Vermittlungsstrukturen allein mit Schlagzeugbesen Sound erzeugte und als Kommunikationsmittel verwendete. "Im Laufe der Zeit habe ich verschiedene Sound-Experimente entwickelt und kam schliesslich zu den Drumbrushing-Arbeiten, die ich als eine Art von Informationsübertragung/vermittlung betrachte. Je mehr ich mich damit beschäftigte, desto komplexer wurden sie. Ich versuchte sie als psychisches Phänomen zu entwickeln, wobei ich mich durch ein Trance-Trommeln wie in primitiven Kulturen selbst hypnotisierte. Ich versuchte Bilder auf telepathischem Weg zu übermitteln.." Die Drumbrushes hinterliessen auf der jeweiligen Unterlage - meist Papier - sich während der Performance verdichtende graphische Spuren.

Die junge Österreicherin Renate Kocer ging 1978 bei ihrer "optisch-akustischen Aufzeichnung" und anderen Arbeiten (z.B. "eine Bewegung erzeugt ein Geräusch, das Geräusch beeinflusst die Bewegung") ähnlich vor ohne allerdings wie Marioni einen spezifisch kommunikativen Aspekt herauszustellen. Kocer verwandelte ihre (Auf-)Zeichnung vielmehr in eine Installation, in der Fotografie und Tonband zwei unterschiedliche einander ergänzende und erhellende Zugänge zu einem vergangenen Prozess der Erzeugung eines Geräusches durch eine Handlung (Zeichnung) waren. Die Zeichnung selbst war nicht Gegenstand der Installation. Die Kontextualisierung blieb in der Sendung der das Primat des Geräusches unterstreichenden Radioversion der "optisch-akustischen Aufzeichnung" der Ansage überlassen, in der darauf hingewiesen wurde, dass das Geräusch als Aufzeichnung einer sich immer mehr verdichtende Zeichnung entstanden war.

*

"Things are being said - listen!" (Bill Furlong)

In London entwickelte von 1973 an der von dem sehr beweglich gewordenen sich vielfältig verändernden und erweiternden Skulpturbegriff der britischen Kunstszene der 60er und frühen 70er Jahre kommende Bill Furlong ein work in progress, das bis heute nicht abgeschlossen ist: die Tonbandkassettenedition AUDIO ARTS. (Furlong hat das Medium Tonbandkassette bis heute nicht aufgegeben). Das Projekt Audio Arts bringt jährlich mindestens 4 Tonbandkassetten heraus, dazu kommen noch "Supplements" (z. B. die 7 Kassetten, die Bill Furlong gleich im Anschluss an das Symposium Audio Scene' 79 auf Schloss Lengenfeld in Niederösterreich herausgegeben hat) oder einem bestimmten Thema gewidmete Ausgaben des Kassettenmagazins (z.B. "Live to Air" - ein breiter Überblick über Soundarbeiten von Künstlern auf 3 Kassetten mit einem dünnen Katalog in einer A 4 Pappschachtel von 1982). Auf vielen Kassetten von Audio Arts befinden sich Gespräche mit KünstlerInnen, aufgenommen von Bill Furlong, der nun schon über ein Vierteljahrhundert lang mit seinem Aufnahmegerät bei allen wichtigen internationalen Kunstveranstaltungen präsent ist oder KünstlerInnen in ihren Ateliers aufgesucht hat. AUDIO ARTS gibt also nicht nur Soundarbeiten von KünstlerInnen Raum sondern auch ihren Gedanken und Theorien. Furlongs Kassetten-Editions- Werk hat keinen wirklichen Anfang und schon gar kein Ende. Man kann es überall betreten, in Fragmenten hören, die Zeit zurückspulen, mit fast forward zu einem ganz anderen Ort gelangen usw. usf. Selbst manchen KunstkritikerInnen allerdings ist entgangen, dass es sich bei AUDIO ARTS um ein Kunstprojekt handelt - eines von jener Art wie es z.B. auch das Museum of Conceptual Art von Tom Marioni war. Während dieses sich aber noch an einem realen mit medialen Räumen vernetzten Ort entfaltete, ist AUDIO ARTS selbst mediatisiert und ohne eine Aufzeichnungs- uund Wiedergabetechnologie wie jener der Tonbandkassette undenkbar, die von Furlong sehr früh als billigstes Medium für eine Distribution "on demand" erkannt worden ist. "...Furlong is, then, the exemplary inexpressive artist. The artist not as inventor, nor as magician, nor as philosopher-revelator, but the artist as editor, as curator, as listener (= critic): ...the creator of possibilities and provider of materials for the creative use of others." In der Ausstellung "AUDIO" Kunst in der Stadt 2" des Bregenzer Kunstvereins (1998), die auch eine Bill Furlong Retrospektive enthielt, wurde deutlich, dass dieser Künstler neben der unermüdlichen Arbeit an AUDIO ARTS auch sein Oeuvre aus exemplarischen Audio-Installationen und -Skulpturen im Raum von Museen und Galerien wie auch im öffentlichen städtischen Raum und im Radio ständig erweitert.

Der Zugang von weder der Literatur noch der Musik zuordenbaren KünstlerInnen zum Radio war und ist wir in sehr vielen Ländern übrigens auch in Grossbritanien im öffentlich-rechtlichen Bereich keineswegs institutionalisiert, d.h. es gibt etwa bei der BBC bis heute keine ständige Radiokunst-Sendung. Er hängt also vom Interesse einzelner Redakteure ab. Die Stringenz der - durch ihre Veröffentlichung in AUDIO ARTS und später auch in "Radio by Artists" international bekannt gemachten und beachteten - Arbeit "Advertisement of an Idea" von David Troostwyck wird auf diesem Hintergrund noch unterstrichen: Troostwyck verschaffte sich selbst Sendezeit, indem er sich mit seinem Advertisement ganz regulär in die Werbezeit des vielgehörten Senders "Capitol Radio" einkaufte.

In Österreich war es die Schuhfirma Humanic, die von dem Künstler-Initiator-Organisator-Kurator Horst Gerhard Haberl dazu gebracht wurde, sowohl die Produktions- wie auch die Sendemöglichkeiten ihrer Werbung an KünstlerInnen abzutreten. Auf diese Art hatten KünstlerInnen, SchriftstellerInnen, KomponistInnen und MusikerInnen viele Jahre lang nicht nur zur eigentlichen Prime-time des Fernsehens zugang sondern auch zu einem damals noch gar nicht wirklich wahrnehmbaren hybriden Produktions- und Distributionskontext des Medienverbunds TV-Radio -Printmedien. Die KünstlerInnen agierten also in einem von Haberl appropriierten öffentlich-medialen Raum und blieben zugleich u.a. durch Haberls vielfältige Aktivitäten in der Kunstwelt auch im Kunstkontext gut verankert.

*

Der Begriff des "radio artist" und der "radio art" ist mir ausdrücklich im Zusammenhang mit der zeitgenössischen bildenden Kunst und hier wiederum mit der Skulptur zuerst in Kanada begegnet, wo Künstler verhältnismässig leicht Zugang zu Universtitätsradios und Community-Radios fanden und finden. Diese Stationen, die ganz Kanada überziehen und sich als Alternative zum kommerziellen aber auch zum öffentlich-rechtlichen Radio verstehen, haben dazu beigetragen, dass sich die kanadische Radiokunst besonders gut ausbilden konnte. Allerdings stehen diesen Stationen keine Produktionsstudios zur Verfügung. Die Projekte finden und fanden aber z.T. Unterstützung durch von KünstlerInnen selbstverwaltete Produktions- und Distributions-Spaces, die in Kanada während der 70er Jahre entstanden sind und - mit öffentlicher Förderung - für die kanadische Medienkunst i.a. eine sehr wichtige Rolle spielten und spielen.

"Radioarbeit unterscheidet sich von der Skulptur im öffentlichen Raum dadurch, dass man das Radio erst einschalten muss, und sie gleicht der Skulptur im öffentlichen Raum darin, dass sie sehr zugänglich ist, und zwar über ein breites Spektrum von kulturellen Möglichkeiten hin", sagt Ian Murray, der bereits 1969 mit Radioarbeiten begann, und zwar im Osten Kanadas, wo die Nova Scotia School of Art in Halifax mit vielen Gästen aus New York eine Hochburg der konzeptuellen Kunst darstellte. Murray sah Radio zunächst einmal als ein vorgefundenes System, das er wie andere ein Ready-Made in seine Arbeit als Bildhauer einbezog. Seine erste Arbeit und laut Dan Landers "Übersicht über die Radiokunst in Kanada 1967 - 1992" die erste eines bildenden Künstlers nannte sich "Radio Loops" und bestand aus zwei sich wiederholenden Tonband-Loops mit Popmusikfragmenten, die zwischen den normalen Sendungen gespielt wurden. "Wenn man sich mit zeitgenössischen Medien beschäftigt, hat man es mit Systemen von Macht und Einfluss zu tun, die sich über ein Land ausdehnen. Das ist selbstverständlich politisch, aber diese Art von Arbeit erfordert auch eine Reihe von formalen Entscheidungen." Ian Murray setzte sich als einer von sehr wenigen KünstlerInnen früh mit jenem Repertoire von vorgegebenen, genau getimeten Sendungsformaten und ihren Zwängen auseinander, das aus dem Radio "the clock of Western civilization" gemacht hat. Murray intervenierte zwischen den üblichen Sendungen, montierte 1970 die ersten zehn Sekunden jedes "Top One Hundred" Songs der vorangegangenen 10 Jahre zu einem 17 Minuten Band und liess einen Schlagzeuger das Band, das dieser noch nicht kannte, unter dem Titel "Keeping on Top of the Top Song" live begleiten. Murray nahm das Schweigen auf, das er 1970 noch zwischen Radiosendungen fand, und sendete es, er zerkratzte Schallplatten, bevor er sie sendete, er forderte Leute auf, ihr Lieblingsprogramm nachzumachen, und raffte in "Studies Towards A Northern Service" (1977) in nicht einmal 20 Minuten einen Prototypen zusammen, der vorführte, wie auch ein Community Radio der Innuit im Hohen Norden Kanadas die übliche Programmabfolge haben würde - vom Wetterbericht, über die Verkehrsnachrichten, die Tierecke, das Talk Radio, bis hin zum Schulfunk und den Top Ten.

Von 1978 bis 1980 produzierte und kuratierte Ian Murray die Serie "Radio by Artists". Es handelte sich dabei ausschliesslich um Arbeiten von bildenden KünstlerInnen. Diese Arbeiten wurden zu zehn Programmen in der Dauer von je einer halben Stunde zusammengestellt. Die ungewöhnliche Anthologie fand schnell das Interesse von Medienkunst-KuratorInnen. Murray verweigerte ihnen Kopien, wenn sie nicht garantieren konnten, dass sie die Arbeiten tatsächlich im Radio senden würden. Die Arbeiten sollten auf keinen Fall in Ausstellungen und als Kassetten-Edition ausserhalb des Radios enden. In Österreich konnten die Arbeiten nicht gesendet werden, weil sowohl eine ausreichende Sendezeit wie vor allem selbst jenes bescheidene Budget fehlten, das zum Ankauf der Radio-Anthologie notwendig gewesen wäre. Diese Situation änderte sich erst 1987 mit der Einführung der Sendung "Kunstradio-Radiokunst" , die KünstlerInnen auch zugang zu den Produktionsmitteln des ORF vermitteln kann.

Damit, dass er auf der Ausstrahlung von "Radio by Artists" bestand, thematisierte Ian Murray, was in den 90er Jahren in einem Manifest des "Kunstradios" so formuliert worden ist:

TOWARD A DEFINITION OF RADIO ART

1.Radio art is the use of radio as a medium for art

2.Radio happens in the place it is heard and not in the production studio.

3.Sound quality is secondary to conceptual originality.

4.Radio is almost always heard combined with other sounds - domestic, traffic, tv, phone calls, playing children etc.

5. Radio art is not sound art - nor is it music. Radio art is radio.

6. Sound art and music are not radio art just because they are broadcast on the radio.

7. Radio space is all the places where radio is heard.

8. Radio art is composed of sound objects experienced in radio space.

9. The radio of every listener determines the sound quality of a radio work.

10. Each listener hears their own final version of a work for radio combined with the ambient sound of their own space.

11. The radio artist knows that there is no way to control the experience of a radio work.

12. Radio art is not a combination of radio and art. Radio art is radio by artists.

In Vancouver, wo R. Murray Schafer und seine MitarbeiterInnen den Begriff einer Soundökologie entwickelten und als erstes eindrucksvolles Beispiel des von ihnen initiierten "World Soundcape Project" den Sound der Stadt Vancouver archivierten, - die "Soundscape" ist mittlerweile international ein wichtiges Radio-Genre geworden - wurde zwischen Jänner 1976 und September 1984 auf CFRO FM, einem immer noch bestehenden Coop Radio, eines der ungewöhnlichsten der bildenden Kunst zuzuzählenden Radioprojekte realisiert: die HP Show von Hank Bull und Patrick Ready. Die beiden Künstler arbeiteten schon seit 1967 zusammen (zunächst via Mail Art) und dann - mit anderen KünstlerInnen - in kollaborativen Performances im Stil von Hörspielen. Für ihre wöchentliche Live H.P.Show (ab 1975) verwendeten Bull und Ready Formen des populären nordamerikanischen Radios und schleusten in diese Formen gelegentlich auch durchaus ernste Inhalte ein. Sie manipulierten Tonbänder auf die unterschiedlichste Art - beeinflusst durch das cut-up von William Burroughs und Brion Gysin, sie entwickelten eine Science-Fiction Serie, sie telefonierten mit den HörerInnen usw. Dieses sich über 8 Jahre erstreckende Work in Progress bot auch anderen Künstlern die Möglichkeit, sich in das Medium Radio einzubringen. "Radio war für uns wie eine leere vorgefundene Hülse, die wir mit neuem Leben erfüllen wollten...". Bull und Ready sahen im Radio die Möglichkeit, ein Publikum direkt ohne den Umweg über den Kunstbetrieb zu erreichen. "Wir richteten uns an eine breite Hörerschaft und nicht an ein spezialisiertes Publikum. Die Ästhetik wurde zur Strategie und die eigene Performance zur sozialen Aktion. Man denkt plötzlich in viel politischeren Begriffen über seine Arbeit." sagte Hank Bull in einem Interview und fuhr fort: "Für mich ist Radio in Wirklichkeit eine Art von Skulptur. Ich bedenke jenen Raum mit, der entsteht, wenn man live sendet oder jenen in dem Zimmer, wo man die Geräusche live hört...sie sind um einen herum, irgendwie hat das ganze keinen Rahmen wie z.B. bei der Malerei." Für Hank Bull und Patrick Ready gab es keinen Zweifel daran, "that we were at the end of the era of the masterpiece, the avant-garde and the individual creative genius." Ganz nebenbei löste sich in den live-Absurditäten der HP Show (z.B. The HP Underwater Special, The World`s First Completely Underwater Radio Show) auch der Werkbegriff auf.

"Our interests changed and developed as the show grew", schreibt Patrick Ready in den 90er Jahren "When we began, Hank was most concerned with the effect radio would have on us as we experienced the energy of live performance. As the show progressed, this emphasis expanded to where his primary attentions are now focused; on global networking, involving radio as part of a larger field of communication which also involves computer mail, faxes, telecommunications."

*

1979 fanden in Wien und Lengenfeld (N.Ö.) eine Ausstellung, eine Performance-Reihe und ein Symposium der Modern Art Galerie (Grita Insam) mit dem Titel "Audio Scene '79 zum Thema Sound, Medium der bildenden Kunst" statt. Unter den beteiligten internationalen KünstlerInnen waren Laurie Anderson, Hank Bull, Terry Fox, Bill Furlong, Bob George, Tom Marioni, Bruce McLean, Ian Murray und Maurizio Nannucci. Aus Österreich nahmen Aperque, Norbert Brunner, Michael Schuster, Georg Decristel, Fritz Rupprechter und Peter Weibel teil. Unter den TheoretikerInnen waren René Block, Peter Frank, Joachim Diederichs, Antje von Graevenitz, Michael Köhler und Georg F.Schwarzbauer. Fritz Rupprechter und Norbert Brunner kamen von der bildenden Kunst und der elektro-akustischen Musik, bei Aperque mit ihren z.T. unangekündigten Stimmimprovisationen standen medienkünstlerische Aspekte nicht zur Diskussion. Georg Decristel - ein Grenzgänger zwischen literarischen und bildnerischen Interventionen mit "armen" Materialien (darunter einer Maultrommel), Wandelaufführungen und Strolling Performances in Europa und den USA, war mit KünstlerInnen und KuratorInnen in aller Welt nicht zuletzt durch seine Kassettenobjekte verbunden.

Laurie Anderson, die Ende der 70er Jahre, obwohl sie erst seit wenigen Jahren im Kunstbetrieb präsent war, wie keine andere KünstlerIn einerseits die durch die Video- und Performancekunst plötzlich sehr offensichtliche Präsenz von Frauen im Kunstbetrieb verkörperte und andererseits für eine neue im Umgang mit Technologien, Medien und Kontexten souveräne Generation stand, zeigte ihre Installation "The Handphone Table (Remembering Sound)", die das Thema der Aufzeichnung/Erinnerung bis in die mit dem aufgezeichneten Sound vibrierenden Hohlräume der Schädel der Besucher und die von diesen einzunehmende Hörhaltung (die Ellbogen in zwei Vertiefungen auf dem Tisch gestützt, die Ohren von den Händen bedeckt) durchspielte.

Sowohl Douglas Kahn als auch Dan Lander haben mehrfach darauf hingewiesen, dass es in der ungeheuren Vielfalt von Funktionen, die Sound innerhalb der Künste unseres Jahrhunderts übernommen hat und angesichts der Grenzerweiterungen, die die Musik etwa durch Russolo oder Cage erfahren hat, äusserst schwierig ist zu einer Theorie und Geschichte des Sounds zu gelangen, die nicht unter einem erweiterten Musikbegriff subsumierbar ist. "If a critical theory of sound (noise) is to develop, the urge to 'elevate all sound to the state of music', will have to be suppressed". Die Veranstaltung "Audio Scene'79" war auch international gesehen ein wichtiger und auf lange Zeit einzigartiger Versuch, die Arbeit bildender KünstlerInnen mit Sound aus dem Schatten einer Metamusik herauszuholen und auf ihre Eigenheiten hin zu überprüfen. Sie deutete zumindest an, dass in den 70er Jahren wichtige Entwicklungen stattgefunden haben, die nicht von einem "musical conceit" (D.Kahn) gekennzeichnet waren.

Noch wichtiger vielleicht als für die Entwicklung einer Sound Art oder Klangkunst war der skizzierte, in den 70er Jahren (auch) anhand von Sound erweiterte Skulpturbegriff für die Pionierphase der Telekommunikationskunst und das ihr zugrundeliegende skulpturale Verständnis eines "elektronischen Raumes" und einer gesellschaftlichen Verantwortung des Künstlers. In den 90er Jahren und bis heute spielen skulpturale Strategien wie sie zuerst etwa von Marioni, Furlong, Nannucci, Bull, Murray oder in Österreich von Kriesche/Hoffmann und Adrian X entwickelt worden sind, bei der künstlerischen Konzeption und Definition von Situationen, "Räumen" und Parametern z.B. jener distribuierten on air-on line -on site Projekte eine wesentliche Rolle, wie sie vom Kunstradio seit fast 10 Jahren produziert worden sind. Ohne die künstlerischen Entwicklungen der 70er Jahre wäre es in den 90er Jahren angesichts der nach wie vor behaupteten Vorherrschaft des Visuellen und trotz der technologischen, die Soundprodukion und -Distribution favorisierenden Entwicklungen z.B. im WWW undenkbar gewesen, Sound als wichtiges und eigenständiges Interface zu und Metapher für ein sich aus der Konvergenz von Massenmedien, Telekommunikation und Computer herausbildendes Megamedium zu begreifen und künstlerisch einzusetzen. Sound (der aus Musik bestehen kann aber nicht muss) hat in vielen vernetzten, distribuiert produzierten Kunstprojekten der 90er Jahre vor allem die Funktion des Peiltons, der Adressierbarkeit, des mit dem hybriden Netzwerk aus alten und neuen Technologien Verbundenseins, der Anwesenheit in kollaborativen, künstlerischen Konstellationen, die ihre Aufgabe darin sehen, dasjenige sichtbar und für jede Beteiligte/UserIn als jeweils eigene Konstellation/Version erinnerbar zu machen, "was der Wahrnehmung unzugänglich und nur sehr schwer vorstellbar ist."