Hartmut Geerken
über das hochheben des beins in richtung auf die störung


es gehört zum arroganten selbstverständnis des menschen, dass er nur das als sprache definiert, was er versteht. dabei kennt doch jeder den durch reibung zwischen chitinteilen hervirgerufenen lockruf der heuschrecken und grillen, manche kennen das ohrenbetäubende zirpen der zikaden und ich selber vergesse nie den verzweifelten schrei eines von einer nadel durchbohrten totenkopfschwärmers.

ernst jünger hat nie etwas von den diffizilen sprachen der insekten erfahren. er hat die kreaturen kaltblütig aufgespiesst und zum schweigen gebracht. jean-henri fabre dagegen ist ihnen im südfranzösischen sommer stundenlang auf dem bauch nachgerobbt, um sie zu erforschen und hat dabei nie ein wesen unsittlich berührt. john cage sah in der stubenfliege den kleinsten mobilen lautsprecher.

das summen und brummen der hummeln ist eine der ältesten sprachen auf diesem planeten. die hummeln haben gesummt und gebrummt lange bevor der mensch seinen ersten laut von sich gab und die hummeln werden noch lange summen und brummen, auch wenn die verweildauer des homo sapiens auf diesem planeten längst abgelaufen sein wird.

ottto plath, vater von sylvia plath, und einer der hervorragenden hummelforscher der neuen welt, schrieb in den 30er jahren dieses jahrhunderts: "erstes zeichen der beunruhigung ist bei hummeln das hochheben meist des linken mittelbeins in richtung auf die störung." so wehrt sich ein insekt sogar gegen den übermächtig erscheinenden menschen. stechen tun sie höchst selten, und die chancen stehen gut, dass das insekt siegen wird, nur durch das hochheben des mittelbeins.....

weltweit gibt es etwa 500 hummelarten, davon sind 63 in europa beheimatet, davon wiederum 46 im deutschsprachigen raum und 31 im deutschen. "bombus terrestris", die grosse erdhummel, ist in deutschland die wohl häufigste hummelart.

nur die hummeln haben es unter den etwa 30.000 auf der erde vorkommenden bienenarten geschafft, bis in die arktis vorzudringen. die nördlichste art, bombus polaris polaris, lebt nur etwa 800 km vom nordpol entfernt.

zur gründung eines volkes benötigt man eine hebamme, die im fr¨hen fr¨hjahr eine aus dem winterschlaf erwachte königin mit der hohlen hand einfängt und ihr den weg in den nistkasten anbietet. bis zum spätsommer muss das volk reifen, deshalb ist der verkehr im früsommer besonders intensiv.

im herbst stirbt das volk der arbeiterinnen und drohnen. nur etwa 100 befruchtete königinnen überleben und graben sich den winter ¨ber bis zu 25 cm tief in den erdboden ein. sind die königinnen entsprechend abgehärtet, erfrieren sie erst bei temperaturen um minus 19 grad celsius. trotzdem haben nur etwa 10% der überwinternden königinnen eine chance zu ¨berleben. zu gross sind die gefahren der parasiten.

ein volk ist ein äusserst vielschichtiges akustisches phänomen mit einer lebensdauer von etwa einem halben jahr. wie bei jedem volk gibt es harmonie und dissonanz, kollektive aggression, einverständiges unisono, mutige soli von einzigen, gequälte schreie, glücksfälle und unfälle und rhythmische sequenzen mit mikrotonalen verschiebungen. manchmal also verhält sich das volk wie eine wir-gruppe, manchmal treten welche als solisten, als redner hervor und wir wissen nicht, ob sie das "wort" ergriffen haben oder nur zufällig ganz in der nähe des mikrofons sitzen und somit eine sonderstellung innerhalb des volkes innehaben. politische verfahrensmuster sind auch einem hummelvolk nicht fremd: einer sitzt fast immer unterm loch und fächelt seinem schlafenden volk frischluft zu.

durch unterschiedliche gleichmässigkeiten mehrerer summ- und brummgruppen kommt es zu sehr reizvollen oszillationen. die lautlichen äusserungen der hummeln gehen von den tiefsten frequenzen, die das menschliche ohr grade noch hört bis zu den entsprechend h&omul;chsten. manchmal h&omul;re ich die tiefen glissandi tibetischer mönche zusammen mit dem knistern des feuers, dann wieder das sirren der formel 1 motoren.

verschiedene hummelarten haben unterschiedliche summ- und brummfrequenzen. aber auch hummeln e i n e s spezifischen volkes können in ihren lautlichen äusserungen stark variieren. in der hummelliteratur findet man in absteigender tonhöhe folgende summ- und brummcharakteristika: hoher summton, mittelhoher summton, hoher bis mitteltiefer summton, tieferer brummton, besonders tiefer brummton und extrem tiefer brummton. letzterer stammt von megabombus fragrans, der fragranshummel, die seit vielen jahren nicht mehr beobachtet wurde und als ausgestorben gelten muss. von ihrem extrem tiefen brummton gilt also, was eric dolphy allgemein über die musik sagte: "when music is over, it`s gone in the air and you never capture it again." die hummelliteratur ist üeberhaupt reich an poetischen sätzen wie etwa: "die königinnen der h&omul;henhummel erzeugen einen besonders tiefen brummton."

flügel, die das mikrofon kurz ber¨hren oder hummelbeine, die fl¨chtig darüber hinwegkrabbeln, erzeugen die akustik eines unscharf eingestellten radiosenders. es bleiben nur die zischlaute einer sprache übrig oder das knistern einer verstaubten langspielplatte.

beim genauen hinhören entdeckt man metasprachen, von denen hummeln selber nichts ahnen. zeitzeugen berichten, dass das geräusch der sterbenden in den gaskammern von auschwitz an das summen und brummen in einem bienenstock erinnert habe. jeder hörer entdeckt wieder andere metasprachen und jeder hat damit sein eigens höererlebnis.

die akustik des volkes ist vielfältig, soweit sie mit wörtern aus der menschensprache benennbar ist: brummen, summen, wispern, zirpen, knarren, rascheln, schnarren, zischen, lispeln, flüstern, murren, murmeln, sirren, rauschen, knurren, sirren, knistern, surren, knistern, sausen, stottern.

die pygmäen haben bestimmt noch mehr termini für die akustik der hummeln, die eskimos sicher weniger.

die akustik von bombus terrestris verändert sich mit der tageszeit, der aussentemperatur, dem fortschreiten der jahreszeit und mit dem wachstum des volkes. ein volk ist ein halbes jahr lang ein in sich vibrierender organismus.

in unregelmässigen abständen vernimmt man die dumpfen lärmpegel der menschen mit ihren autos auf der vom aufnahmeort etwa 50m entfernten strasse, den beherrschenden lärm ihrer flugmaschinen und das gnadenlose stampfen einer dampframme in der nachbarschaft. meistens können jedoch solche störungen dem volk nichts anhaben: die geräusche, die von draussen in das nest eindringen, bleiben schatten und oft kann man kaum unterscheiden, ist das jetzt ein 50 m entfernt vorbeifahrender lkw oder ist es das tiefe brummen einer königin in nächster nähe. besonders die dampframme erzeugt ein typisches geräusch der menschlichen spezies, doch die insekten schaffen es fast, sie zu übertönen.

die vögel dringen mit ihren hochfrequenten lauten bis tief ins nest der bombus terrestris ein und an manchen stellen erinnert mich das dumpfe brummen der hummel an die bombemflugzeuge, deren geräusche ich seit meiner kindheit in den ohren habe.

die rotorblätter des helikopters, der zufällig während der aufnahme über das hummelnest folg, entsprechen den flügeln der hummeln, die nicht auf- und abschlagen, sondern 200 mal pro sekunde rotieren.

wenn ich mit dem volk der hummel kontakt aufzunehmen versuchte, stellte sich heraus, dass eine sprache aus wörtern ein v&omul;llig unzureichendes mittel war. mit bedauern auch denke ich daran zurück, dass ich manchmal, während die aufnahme lief, an den nistkasten anklopfte. das volk grüsste dann zurück in wildem zornigem gekreisch. ich sehe heute ein, dass ich kein recht hatte, anzuklopfen. ich habe mich wie ein diktator aufgeführt, wof¨r ich mich ausdrücklich entschuldigen will. wer von aussen an ein volk klopft, muss mit aufruhr im innern rechnen.

in meiner ausweglosigkeit habe ich schliesslich versucht, mit den fertigen tonaufnahmen zu kommunizieren. ich habe meine sprechwerkzeuge von aller semantik befreit und gebrummt und gesummt, gekreischt und geschmatzt, mit meinem speichel phonetisch gespielt und auch versucht über die morsesprache zugang zum volk zu finden. ich habe mich dabei an die sprache der hummeln angepasst und versucht, mit lippen und zunge die rotierenden flügel zu erreichen.

so gesehen ist bombus terrestris also kein hörspiel im herkömmlichen sinne, sondern ein beitrag zur erforschung der brumm-, summ- und zwirbeltöne von hummeln und der versuh einer kommunikation zwischen insekt und mensch.

die aufnahmen, die ich zusammen mit den hummeln gemacht habe, kamen ohne alle tricks zustande. die analogen bänder habe ich 1:1 aneinander, aber nicht übereinander montiert. das gewitter habe ich nicht nach ästhetischen gesichtspunkten eingesetzt. es zog während einer aufnahme über das volk hinweg, der wolkenbruch korrespondiert lautlich mit den rotierenden flügeln und dem knistern der beinchen auf den mikrofonen. hummeln sind wie kleine pantoffeln.

die aufnahmen von bombus terrestris sind die intimsten, die es bisher gibt. die stereomikrofone wurden an verschiedenen stellen auf dem nest oder um das nest plaziert oder tief im nest vergraben. der hörer muss einen transformationsprozess ins innere des nestes mitmachen. er muss von seinem beobachtungssockel herabsteigen und sich auf intimitäten in allernächster nähe einlassen.

bombus terrestris ist ein stück fast unberührter natur in einer vor künstlichkeit strotzenden medienlandschaft.