Synergien?



Teil 2

Eine leere Tafel auf der durch Einritzung plötzlich neuer Sinn entsteht, so erschien zunächst die Situation in der die zweite Künstlergruppe agierte. Sukzessive eröffnete sich innerhalb von drei Tagen bis zur "Night of the Living Speaker" (12. Mai) eine eigenwillige Laborsituation: eine experimentelle, elektronische Tonstätte, räumlich verteilt. Am Eingang, gleich links in die erste unscheinbare Ecke des Raumes gebracht, von Peter Morrens, dem visuellen Künstler dieser Gruppe, eine "sozialplastische Skulptur", Ort unmittelbarer gedanklicher Eindrücklichkeit und Ausdrücklichkeit gebannt auf A4 Formate im simplen Schriftzug, Bemerkungen, Konstatierungen, Aufforderungen wie "Bring this thing to a content level". Diese an sich unbedeutenste oder besser unauffälligste Ecke des Raumes gewinnt plastische Präsenz und dirigiert fast unbemerkt die übrige räumliche Konstellation, die von den Künstlern selbst bemerkt partiell unbefriedigend bleibt: statisch (die linke Hälfte des Raumes); die andere (Fensterseite) erscheint in allmählicher Fluktuation, lebendig, leider beschränkt auf den Zeitraum der Vernissage, um sie für die Betrachter/Besucher über die ganze Woche deutlich genug sichtbar und erlebbar zu machen. Doch möchte ich hier festhalten, daß Lionell Marchettis und Jérôme Noetingers radikale elektroakustische Dialoge künstlerisch/musikalisch Anspruchsvolles leisten und für mich bisher die spannenste musikalische Performance in der Kunsthalle Exnergasse waren. In diesen Augenblicken synergierte der künstlerische Dialog.

Ein Tischgespräch lang (13. Mai / Brunch) baute sich ein Dialogfenster zwischen beiden Künstlergruppen auf, das weiter geöffnet hätte werden können über die folgenden Tage. Zu schnell erschien die zweite Gruppe (5.5. - 16.5: Jerome Noetinger, Lionel Marchetti, Peter Morrens) fertig und die dritte (12. - 23. Mai: Werner Dafeldecker, N.I.C.J.O.B., Erin McGonigl, Axel Stockburger) beginnen zu wollen. Hatte bereits Peter Morrens am ersten Tag einen Teil der Wand von der Kantine gelöst und auf Lautsprechern an die Wand gelehnt und einen Bildcharakter unscheinbar und kaum bemerkt installiert, etwas, das seine Aufmerksamkeit näher verdient hätte, so wurde deutlich, daß die rudimentäre und teils unschlüssig gewordene Kantine, ihre "dialogische" Funktion verlor. Die Kantine driftet in eine offene Küche fast inmitten des Raumes und in die Umschalung, zu einem von innen bespielten selbständigen Körper nach hinten verrückt um die zweite Eingangstür. Ein Relikt erhält neue Qualität, räumliche Spannung, konnotiert mit "DIS/RUPT" und offen für einen neuen Ereignismoment. Wieweit dies musikalisch überzeugend geschah/geschieht, lasse ich hier offen. Aber unsensibel behauptet die "Mischpultstelle" das Zentrum der Ausstellungshalle, die als räumliches und plastisches Problem von der abgelösten Künstlergruppe bereits erfaßt war, jetzt zwar einen leicht veränderten Standort einnimmt, doch penetranter als zuvor. Auch die Eingangssituation fällt vor die erste nur partiell gelöste Laby-rinth-ar-chitektur zurück. Die BesucherInnen mühen sich durch eine Schlauchschwelle aus Cellophan, aber die Mühe bleibt ohne ersichtlichen Grund, ein Einfall, künstlerisch beliebig, ohne Biß, auch wenn eine zweite Holztür unmittelbar auf die Eingangstür folgt und man in gebückter Haltung forwärtsdringt. Eine Dreifachschwelle, die keinen ersichtlichen Zusammenhang zur Gestaltung im Raum zeigen kann und sich als Ideenfetzen isoliert. Erin McGonigl greift zwar das "Zerbrechliche, Halbtransparente, Hauthafte" in einer Rauminstallation von verklebten Seidenpapier auf, und läßt diese an eben der geöffneten Stelle der ehemaligen Kantine - einen kubischen Raum ummantelnd - von der Decke zu Boden fallen oder wallen, aber die Idee bleibt isoliert und inkonsequent und wie unbesprochen im Raum zurück. Ebenso die große Videoprojektion an die vordere Wand, unverändert zur ersten Gruppe, gefällig, konsumierbar und durch vier installierte Schaukeln erst recht zu einer "Spielwiese" verflacht. Die Gefahr in einem gleichgültigen Nebeneinander der Dinge zu agieren wird offenkundig und dies setzt sich auch in der bis jetzt kaum erkennbar gewordenen Interaktion der KünstlerInnen fort.

Ingo Nussbaumer, 19. u. 20. Mai 1999


ao3 Infoline: Kunsthalle Exnergasse 401 21/42
ao3 Ticketinfo: WUK Kasse 401 21/70 (Mo-Fr 14.00-18.00 Uhr)